Der Rücktritt von Angela Merkel ist überfällig
Gedanken eines CSU-Funktionärs nach einer verheerenden Bundestagswahl.

«Ich kann nicht oben küssen und unten treten. Das nimmt mir keiner ab», sagte ein erfahrener CSU-Funktionär auf der Wahlparty in Nürnberg in einer Zwei-Satz-Wahlanalyse. Was er damit meinte: Die bayerische CSU hatte nach der überraschenden Grenzöffnung für Flüchtlinge am 4. September 2015 durch Kanzlerin Merkel massiven Druck ausgeübt, in der Berliner Koalition immerhin zwei verschärfende Asylpakete und erleichterte Abschiebungen für ausländische Straftäter durchgesetzt – und erklärte Anfang 2017 den Streit schlicht für beigelegt und zog mit CDU-Chefin Merkel als gemeinsamer Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahl.
Ein Bruch der alten Verbindung mit der CDU wurde in der CSU 2015 und 2016 ernsthaft diskutiert, doch letztlich schreckte man davor zurück. Es überwogen die Bedenken, dass die Schwesterpartei, wenn sie dann in Bayern anträte, die CSU in ihrer Existenz gefährden könnte.
Mutter aller Schlachten
Die Quittung kam prompt: Die CSU stürzte von 49,3 Prozent bei der Bundestagswahl im Jahre 2013 auf 38,8 Prozent ab. Die CSU wurde praktisch für die CDU und Kanzlerin Merkel mit abgestraft. 38,8 Prozent wären für alle anderen Parteien – einschliesslich der CDU – ein grossartiges Ergebnis. Aber nicht für die CSU, die unter Franz Josef Strauss stets mit dem Motto «55 Prozent plus X» in jede Wahl gezogen war. Im Herbst 2018 steht zudem die bayerische Landtagswahl ins Haus, und der Verlust der absoluten Mehrheit würde den Nimbus der weiss-blauen Unbesiegbarkeit der Christsozialen zerstören.
Was man dazu wissen muss: Die Landtagswahl ist für die CSU eigentlich, wie wir sagen, die «Mutter aller Schlachten». Die CSU-Mehrheitsfraktion im bayerischen Landtag ist die Herzkammer der Partei.
Der Wähleranteil der Union insgesamt (CDU und CSU) sank bundesweit von 41,5 auf 33,0 Prozent. Die Wähler wanderten zum grossen Teil zur liberalen FDP (1,3 Millionen bundesweit) und zur rechspopulistischen AfD (knapp 1,1 Millionen). Wie kann die Union «die Wähler von der AfD zurückgewinnen», wie Kanzlerin Merkel ankündigte?
Meine Antwort: Mit Merkel vermutlich überhaupt nicht.
Das hat sie durch den Bruch ihrer ruhigen, bis dato sehr berechenbaren Politik selbst verursacht. Mit der plötzlichen Grenzöffnung von 2015 hat sie die konservative Stammklientel in Bayern und anderswo dermassen vor den Kopf gestossen, dass sie in grossen Scharen die Wahlkampfauftritte der Kanzlerin auf vielen deutschen Marktplätzen mit «Merkel muss weg» und «Hau ab»-Rufen störten. Merkel hat bei ihnen jede Glaubwürdigkeit verloren.
Die CSU könnte die verlorenen konservativen und liberalen Anhänger vermutlich teilweise zurückgewinnen, wenn sie bei den nun anstehenden Koalitionsverhandlungen im Bund starke konservativ-liberale Positionen durchsetzen kann: Nicht nur die Obergrenze von 200'000 Flüchtlingen pro Jahr, sondern auch weitere scharfe Massnahmen zur Verbrechensbekämpfung und spürbare Steuersenkungen für die Fleissigen, die angesichts monatlich wiederkehrender Steuer-Rekordeinnahmen endlich einmal etwas mehr vom selbst verdienten Geld auch selber behalten wollen.
Letzteres wäre mit der FDP sicher zu machen – aber mit den Grünen? Und: Beide lehnten eine Obergrenze entschieden ab, die CDU mochte diese Forderung bisher auch nicht unterstützen. Und all das aus einer geschwächten Position heraus?
Die konservative Stammwählerschaft sähe ein Bündnis mit den Grünen, die beispielsweise bis 2030 Verbrennungsmotoren abschaffen wollen, sowieso sehr kritisch. Ein erneuter Denkzettel bei der Landtagswahl droht 2018.
Deshalb muss die bayerische CSU es darauf ankommen lassen: Mehrere Funktionäre sagten bei einer Vorstandssitzung nach der Wahl bereits, man müsse jetzt in den «Kampfanzug» schlüpfen und nötigenfalls in die Opposition gehen, wenn man wichtige konservative Forderungen nicht durchsetzen kann. Denn ohne die Stimmen der CSU funktioniert in Berlin keine Koalition, weder CDU-FDP-Grün noch CDU-SPD.
Ohne Position
Der erste Schritt wäre, die CDU wieder auf einen konservativen Kurs einzuschwören und mit diesen gemeinsamen Positionen in alle weiteren Verhandlungen zu gehen. Die grosse Unionsschwester ist unter der Führung von Angela Merkel über die Jahre zu einem reinen Kanzlerwahlverein verkommen. Inhaltlich hat die CDU keinerlei eigene Programmatik mehr zu bieten, alles wird der Taktik des Machterhalts untergeordnet. In die Koalitionsverhandlungen 2013 ging die CDU praktisch ohne eigene Position ausser dem Ausschluss von Steuererhöhungen – ein Unding für die führende Kraft einer deutschen Bundesregierung.
Seit Jahren räumt die CDU eine konservative Position nach der anderen – vom überstürzten Atomausstieg bis zur Abschaffung der Wehrpflicht, von der No-Bailout-Klausel bei der Eurorettung bis hin zum Verbot der Staatsfinanzierung über die Notenpresse der EZB. Bei einer «Jamaika»-Koalition CDU/CSU-FDP-Grüne drohen die letzten inhaltlichen Konturen der CDU endgültig zu verwischen. Das Zurückholen von AfD-Wählern bliebe dann wohl frommer Wunsch.
Merkel konnte sich jahrelang darauf ausruhen, dass die Konservativen im Lande ja sowieso keine Alternative zur CDU haben – doch diese kristallisierte sich als AfD heraus und sitzt nun im Bundestag. Die Kanzlerin hat die CDU viel zu lange inhaltlich ausgehöhlt. Ihr Abgang nach diesem Wahldesaster wäre überfällig – aber wer soll, wer könnte die Palastrevolte wagen?
Niemand steht in der zweiten Reihe bereit. Merkel selbst hat alle möglichen innerparteilichen Konkurrenten frühzeitig verdrängt, und der als liberal-konservativ geltende Finanzstaatssekretär Jens Spahn ist noch zu jung.
Die Union muss die rechtspopulistische AfD nun offensiv stellen – und zwar nicht durch Verunglimpfungen als «rechtsradikal» oder «rechtsextrem». Diese Volten in der Endphase des Wahlkampfes signalisierten bloss die wachsende Nervosität bei der Union und kamen der AfD noch zupass: Protestwähler lassen sich nicht von solchen Vokabeln abschrecken.
Im Gegenteil: Die AfD stilisierte sich erfolgreich als Opfer des Establishments aus «Altparteien» und Medien. Die massive mediale Kritik beispielsweise an den Äusserungen des AfD-Spitzenkandidaten Gauland, die Deutschen könnten «stolz sein auf die Leistungen der Wehrmacht» und sollten die SPD-Integrationsbeauftragte Özoguz «in Anatolien entsorgen», verschaffte der AfD zusätzlichen und vermutlich entscheidenden Rückenwind.
Sinnlose Kompromisse
Angesichts des Umstandes, dass die AfD in der Endphase des Wahlkampfes Stammwähler der CSU mit Parolen wie «Die AfD hält, was die CSU verspricht» und «Strauss würde AfD wählen» abwarb, muss die Botschaft der Union in allen künftigen Wahlkämpfen lauten: Die AfD hält gar kein Versprechen, weil sie nichts durchsetzen kann. Sie ist in jedem Parlament isoliert. Nur die Union ist in der Lage, konservative Positionen durchzusetzen. Daher ist jede Stimme für die Rechtspopulisten kontraproduktiv, weil sie die Union schwächt und in sinnlose Kompromisse und Bündnisse mit linken Parteien zwingt, die die konservativen Positionen weiter verwässern.
Zur Illustration sei folgende Rechnung gemacht: Wenn die AfD am Sonntag vier Prozentpunkte weniger erhalten hätte und die Union vier Punkte mehr, hätte es für ein christlich-konservativ-liberales Bündnis gereicht – also Schwarz-Gelb ohne die Grünen. Der AfD muss mit Inhalten begegnet werden. Klar ist dann aber auch, dass die Union konservative Positionen haben und den Tatbeweis ihrer Umsetzung erbringen muss.
Anton Heinrich ist ein Pseudonym. Der Autor ist Vorsitzender einer lokalen Gliederung der CSU.Sein Name ist der Redaktion bekannt.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch