Der Präsident und der Mindestlohn
Barack Obama fordert in seiner Rede zur Lage der Nation eine markante Erhöhung des Mindestlohnes. Damit greift er ein politisch und ökonomisch heiss umstrittenes Thema auf.

Zum Thema Mindestlohn führen Ökonomen einen erbitterten Glaubenskrieg. Die Vertreter der klassisch-liberalen Schule argumentieren dabei wie folgt: Wenn die Löhne tief genug sinken, hat jeder Arbeit und es herrscht Vollbeschäftigung. Droht Arbeitslosigkeit, dann lautet die Lösung, dass die Arbeitsmärkte flexibilisiert werden müssen. Will heissen: Die Löhne müssen sinken und Gesetze und Verordnungen, die Arbeitsplätze sichern, abgeschafft werden. In dieser Optik ist der Mindestlohn ökonomisch unsinnig. Er verhindert, dass Jobs geschaffen werden, erhöht die Arbeitslosigkeit und macht so die Armen noch ärmer.
Das Gegenstück zur klassisch-liberalen Ökonomie sind die Theorien von John Maynard Keynes. Kurz zusammengefasst besagen sie: Arbeitslosigkeit ist eine Folge von mangelnder Nachfrage. Wenn die Löhne sinken, dann haben die Menschen kein Geld, um Güter und Dienstleistungen zu konsumieren, die Unternehmer keinen Anreiz zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Der Mindestlohn sorgt für mehr Nachfrage und damit auch für mehr Jobs und ist daher sinnvoll.
Der Entscheid kann nur politisch sein
Wer hat recht? Empirisch lässt sich dieser Streit nicht entscheiden. Es gibt zwar zahllose Studien dazu, doch sie werden nach dem Motto verfasst: Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Dank einer immensen Datenfülle kann jede Seite deshalb Zahlen präsentieren, welche die eigene Position vermeintlich unterstützen. Weil es keine objektive Lösung gibt, muss die Frage politisch entschieden werden. Genau dies hat Präsident Barack Obama jetzt getan. Er fordert eine massive Erhöhung des Mindestlohnes von derzeit 7.25 Dollar auf 9 Dollar pro Stunde. Falls er sich im Kongress durchsetzen kann, wäre das die grösste Erhöhung seit Jahrzehnten.
Politisch und moralisch gesehen hat der Präsident zweifellos sehr gute Argumente. Derzeit müssen rund 15 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner mit dem Mindestlohn auskommen. Er reicht nicht aus, um selbst einen bescheidenen Lebensstandard zu bestreiten. Das bedeutet, dass Millionen auf Sozialhilfe angewiesen sind, obwohl sie einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen. «Das ist falsch», erklärte der Präsident in seiner Rede. «Lasst uns dafür sorgen, dass in der reichsten Nation niemand, der vollständig erwerbstätig ist, in Armut leben muss.»
Mittel für den Mittelstand
Auch langfristig gesehen spricht vieles für einen Mindestlohn. Wachsende Ungleichheit und das Entstehen einer neuen Oligarchie sind das dringendste soziale und wirtschaftliche Problem in den USA. Selbst von der staatlichen Hilfe profitieren vor allem Gutbetuchte. Der kleine Mann wird nur in den Sonntagsreden gefeiert. In der Praxis sind beispielsweise 60 Prozent der Hypothekar-Hilfen nach dem Platzen der Immobilienblase an die zehn Prozent reichsten Einwohner geflossen. Das trifft auch auf die Subventionen im Gesundheits- und Alterswesen zu.
Deshalb ist der Mittelstand heute primär auf staatliche Anschubhilfe angewiesen. Das will der Präsident nicht nur mit einer massiven Anhebung des Mindestlohnes tun, sondern mit einem weitreichenden Programm. Es umfasst eine Reform des Steuersystems, einen Ausbau der vorschulischen Erziehung, eine Erneuerung der Infrastruktur und mehr Freihandel mit Europa.
Mindestlöhne in Deutschland und der Schweiz
Nicht nur Obama hat sich einen höheren Mindestlohn auf die Fahnen geschrieben. In Deutschland etwa hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nach langem Ringen auf die Seite der Gewerkschaften gestellt und setzt sich nun ebenfalls für dieses Anliegen ein. In der Schweiz kämpft der Gewerkschaftsbund für einen gesetzlich verankerten Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde.
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