Der noble Patriarch ist tot
Der englische Schauspieler und Regisseur Richard Attenborough («Gandhi») ist 90-jährig gestorben.
Seltsam, dass er einem, so weit man zurückdenken kann, immer alt vorkam, immer etwas Sankt-Nikolaus-haft in seiner Würde oder seiner Verrücktheit, so wie der elisabethanische Staatsmann William Cecil in «Elizabeth» oder der Saurierzüchter Hammond in Spielbergs «Jurassic Park»; und wie in «Miracle on 34th Street», wo er den Nikolaus selbst spielte, sowieso. Es umgab den Schauspieler Lord Richard Attenborough, Commander of the British Empire, Baron of Richmond-upon-Thames, schon lange so etwas wie die Aura des verehrungswürdigen, sympathischen (wenn auch nicht immer makellosen) Greises, obwohl man sich ja auch an seine jüngeren Jahre erinnern könnte, an den energischen englischen Offizier in «The Great Escape» (1963) oder daran, dass man ihm einmal auch den Frauenmörder geglaubt hat (in «10 Rillington Place», 1971). Grosseltern, soweit sie Engländer und Theatergänger sind, könnten gar den jungen Mann noch vor Augen haben, der 1952 als Sergeant Trotter zur Erstbesetzung der legendären «Mausefalle»-Inszenierung im Londoner New Ambassadors Theatre gehörte.
Jedoch, die Rede muss ja vor allem vom Regisseur Richard Attenborough sein, nicht vom Schauspieler, der zwar das Charisma hatte, aber vielleicht doch nicht alle Mittel zur wirklichen Grösse. Als Regisseur hatte er beides. Man möchte ihn einen Vertreter des konservativen Handwerks nennen, aber darin war er ein wirklicher Meister. Er hatte den Atem, dramatische Kreise zu schliessen und epische Geschichten zusammenzuhalten, selbst wenn sie so verschachtelt waren wie in seinem letzten Film mit dem fast schon programmatischen Titel «Closing the Ring» (2007).
Er hatte den unsentimentalen Sinn für einen gebrochenen Heroismus in «A Bridge Too Far» («Die Brücke von Arnheim», 1977), als er englischen und amerikanischen Schauspieleradel in den Weltkrieg und das Elend des Häuserkampfs schickte. Er hatte auch den feinen Sinn für die Leichtigkeit, hinter der Schwerarbeit und Tragik stecken, in «Chaplin» (1992) etwa oder in «A Chorus Line» (1985), wo die Unmenschlichkeit des rücksichtslosen Kunstwillens sich quasi enttarnt. Und sein Bestes war, ist und bleibt «Gandhi» (1982).
Denn «Gandhi» steht als ein Monument in der Filmgeschichte. Nicht nur weil es ein monumentaler Film ist in seiner weiträumigen biografischen Dramatik und in der genau recherchierten Üppigkeit seines Kolorits. Nicht nur, weil er seinerzeit acht Oscars gewann (unter anderem zwei für Richard Attenborough, den Produzenten und Regisseur, und einen für Ben Kingsley, den Hauptdarsteller, der sich ebenfalls Unvergesslichkeit erwarb). Für die Ewigkeit ist das, weil da das Herzblut eines differenzierten Mannes floss, der an der Geschichtslast des britischen Empires mittrug: in einem historischen Erinnerungswerk mit den filmischen Argumentations- und Gefühlsmitteln. In «Gandhi» hat Attenborough nicht nur ein Leben für die Gewaltlosigkeit gefeiert, er hat die unfreundliche Hartnäckigkeit nicht vergessen, zu der die Freundlichkeit auch fähig sein muss, wenn sie die Welt bewegen will.
Und er hat gearbeitet an der Schuld des englischen Kolonialismus. Womöglich hat er sogar geholfen, ein Stücklein davon abzutragen in der Wahrnehmung der indischen Opfer und ihrer Kinder; und seis nur durch die unfilmische Pietät, mit der er nach der Darstellung des Massakers von Amritsar (mindestens 379 unbewaffnete Menschen erschoss ein Trupp britische Soldaten 1919) zwei Minuten Schwarzbild einblendete, die ein sprachloser Teil der Erzählung sind.
Am Ende leidvoll gealtert
Er hat die Öffentlichkeit nie gemieden, solange es ging. Es soll ihm eine ausgesprochene Jovialität zu eigen gewesen sein, und das soziale Engagement, als Dozent, als Präsident der National Film and Television School, als Gründer karitativer Einrichtungen, war ihm, dem Sohn einer gutsituierten Labour-Familie aus Cambridge, wahrscheinlich in die Wiege gelegt. In den letzten Jahren hat er zurückgezogen gelebt, immer noch weltoffen und zu Witzen aufgelegt, wie sein Bruder, der Naturfilmer David Attenborough berichtet, aber sehr alt geworden, älter, als man ihn in Erinnerung hat, und leidvoller gealtert, als man es ihm gewünscht hätte.
Dass im Dezember 2004 seine älteste Tochter und seine Enkelin in Thailand dem katastrophalen Tsunami zum Opfer fielen («dieser schlimmste Tag meines Lebens»), sei als Schatten auf ihm gelegen. Ein lang gehegtes Herzensprojekt, sein Film über den englisch-amerikanischen Aufklärer und Revolutionär Thomas Paine, blieb unerfüllter Traum. Und alle öffentliche Aktivität endete, als ihn 2008 ein Schlaganfall und ein Sturz in den Rollstuhl zwangen. Mit seiner 92-jährigen Frau, der ehemaligen Schauspielerin Sheila Sim, die ihn nun überlebt nach fast siebzig Jahren Ehe, verbrachte er, was ihm in den letzten zwei Jahren noch vom Leben blieb, in einem Altersheim für Schauspieler bei London.
Die Frau war ihm lang schon in die Demenz entglitten. Nun ist Lord Richard Attenborough, der Schauspieler, Regisseur und noble Patriarch einer Theaterfamilie, kurz vor seinem 91. Geburtstag gestorben. Er wolle gar nicht, dass man an ihn als besonders kreativen Filmemacher denke, sagte er. Er sei ein einfacher Geschichtenerzähler – diese Erinnerung kann man ihm garantieren.
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