Der Meister kommt
Vor 78 Jahren zeigte Picasso in Zürich seine erste Übersichtsschau. Ab Freitag ist ein Teil der damals ausgestellten Werke wieder im Kunsthaus Zürich vereint. Bewegt Picasso auch heute noch? Der «züritipp» hat sich im Vorfeld umgehört.

Christoph Doswald, Vorsitzender Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum
«Picasso hat vieles hinterlassen. Als Glamourfigur, als Medienstar, der keine Gelegenheit ausliess, sich für die Kamera in Szene zu setzen. Als Begründer einer Kunstdynastie, deren Einfluss noch heute im frankofonen Raum deutlich spürbar ist. Vor allem aber als Künstler, der sich immer wieder neu erfinden konnte, dessen Werk die Höhenflüge und Katastrophen des 20. Jahrhunderts als inspirativen Echoraum benutzte und der uns mit seiner schier unermüdlichen Schaffenskraft immer wieder von Neuem berührt und inspiriert. Lieblingswerke? Viele! Der kubistische «Harlequin»; «Dora Maar au chat»; der «Akt vor blauem Vorhang», ein Bild, das schon 1932 im Kunsthaus ausgestellt war. Und natürlich «Guernica», ein monumentales Kunstwerk, das Picasso für die breite Öffentlichkeit schuf – ein Kriegsmahnmal, dessen eindringliche Aussagekraft heute noch durch Mark und Bein geht.»
Mirjam Varadinis, Kuratorin, Kunsthaus Zürich
«Mit Picasso verbindet mich eine lange Geschichte – schliesslich war er einer der ersten Künstler, die mir den Zugang zur Kunst eröffneten: Als Teenager ging ich mit meiner Mutter oft ins Museum, so auch ins Picasso-Museum in Paris. Dort kaufte ich mir aus lauter Begeisterung ein Plakat, das dann jahrelang in meinem Zimmer hing – neben Postern meiner damaligen Popidole. Später an der Uni setzte ich mich intensiv mit einigen von Picassos Ikonen auseinander, allen voran mit «Guernica» und den wunderbaren «Demoiselles d'Avignon». Letztere sind mir besonders ans Herz gewachsen, als ich während des Studiums ein Praktikum im Moma in New York machte, wo ich das Bild Tag für Tag im Original betrachten durfte. Picasso gehört zu jenen Künstlern, die mich auch nach all den Jahren immer wieder faszinieren und überraschen. Erst kürzlich hab ich Roman Ondak – einen zeitgenössischen Künstler, mit dem ich eine Ausstellung vorbereite – durch die Sammlung des Kunsthauses geführt. Vor einem der Gemälde von Picasso sind wir hängen geblieben, weil es einfach ein unglaublich gutes Bild ist und nichts von seiner Kraft eingebüsst hat. Beide staunten wir erneut über die beeindruckende Produktion dieses Künstlers und über die Qualität vieler seiner Werke. Egal, wie oft man die Bilder schon gesehen hat – sie packen einen immer wieder. Das ist schon faszinierend. Und dass Picasso 1932 seine allererste Museumsausstellung im Kunsthaus Zürich hatte, freut mich natürlich ganz besonders!»
Nicola von Senger, Galerist
«Als ich hörte, dass die von Picasso im Jahre 1932 kuratierte Schau im Kunsthaus rekonstruiert werden soll, war ich für diese Idee sofort Feuer und Flamme. Picasso hatte damals die Werkauswahl selber getroffen; der Gedanke, die Werke des Meisters gewissermassen mit seinen Augen sehen zu dürfen, nachvollziehen zu können, welche Arbeiten seiner Meinung nach wichtig waren, ist ein einzigartiges Erlebnis. Gerade im Fall von Picasso, der wohl der grösste Künstler des 20. Jahrhunderts war: Jeder auf der Strasse weiss, wer Picasso ist, seine Bilder dürften so bekannt sein wie die von keinem anderen. Entsprechend war sein Einfluss auf nachfolgende Generationen lange Zeit unerreicht – obwohl ich glaube, dass ihm in dieser Hinsicht Marcel Duchamp mittlerweile den Rang abgelaufen hat, dessen intellektuelle Herangehensweise für viele heutige Kunstschaffende vielleicht der interessantere Anknüpfungspunkt ist. Picasso aber wird immer derjenige bleiben, der am besten jenen Künstlertypus vertritt, der aus einer inneren Notwendigkeit heraus arbeitet – gewissermassen aus dem Bauch heraus. Picasso hatte sein Leben lang einen unbeschreiblichen Schaffensdrang: Bereits als 19-Jähriger hatte er seine erste Einzelausstellung und hat bis zu seinem Tode unentwegt gearbeitet. Ein spätes Selbstporträt zeigt ihn im Alter von etwa 90 Jahren. Der Anblick dieses fast zum Skelett abgemagerten Picasso, der einen mit den riesigen Augen eines erschrockenen, alten Schimpansen ansieht, ruft bei mir immer eine Gänsehaut hervor.»
Philip Ursprung, Professor für Moderne und zeitgenössische Kunst an der Universität Zürich
«Bei Picasso denke ich daran, wie lange das 20. Jahrhundert nun schon zurückliegt. Jahrzehntelang hat er den modernen Künstler schlechthin verkörpert: unversiegbare Kreativität, ständige Verwandlung, fortwährende Neuheit und scheinbar ewige Jugend. Seine kubistischen Skulpturen und die Gemälde «Demoiselles d'Avignon» und «Guernica» gehören zu den Meilensteinen der Kunstgeschichte. Aber als in den 1950er-Jahren New York die Stadt Paris als Zentrum der Kunstwelt ablöste, begann auch Picassos Ruhm abzunehmen. Für seine Mischung aus Bohemien und Aristokrat gab es in der Postmoderne keinen Platz. Er wurde zum Mythos, und längst prangt sein Name als Markenzeichen auf Autos und Parfüms. Immer rascher entrückt er, und ich weiss nicht, wie er mit dem Hier und Jetzt zusammenhängt.»
Yvonne Volkart, Kuratorin, Shedhalle Zürich
«Natürlich führte auch mein Weg in die Kunst nicht an Picasso vorbei: Ah, Picasso! Ah, Kunst! Als Teenager war ich begeistert von der blauen Periode und diesen unglaublichen Köpfen, die keine mehr waren. Mit 19 war die Liebe schon vorbei. Er war mir zu geheimnislos. Der riesige Picasso-Katalog steht noch heute bei meiner Mutter. Picasso erfüllte alles, was der bürgerlichen Vorstellung von Kunst entgegenkam: Er entwickelte eine Handschrift, einen Stil, inszenierte sich als Genie und Kreator, Frauenheld oder Maler mit Muse. Künstler wie Marcel Duchamp oder die Surrealisten wie etwa Max Ernst oder Salvador Dalí finde ich wichtiger. Sie haben radikaler das durchgearbeitet, was Walter Benjamin den «Schock der Moderne» nannte, nämlich die kritische Auseinandersetzung mit der Mechanisierung und Durchkapitalisierung von Mensch und Umwelt. Sie haben Methoden entwickelt – Dalí etwa die «paranoisch-kritische Methode» oder Marcel Duchamp die Ready-Mades –, die der Vorstellung vom Kunstwerk als Original und Produkt einer genialen Handschrift im Kern widersprachen. Und sind damit auch aus heutiger Sicht noch aktuell.»
Peter Haerle, Direktor Kultur Stadt Zürich
«Pablo Picasso hat mich als Bub eine Erfahrung machen lassen, die für Erwachsene selbstverständlich ist, für Kinder jedoch nicht. Picasso war für mich damals ein exotisch klingender Name, den ich mit seltsamen Darstellungen verband: Auf Kalendern oder Postern sah ich farbige Figuren, zusammengesetzt aus Vierecken, Dreiecken, Kreisen; sie schienen fremde Wesen zu sein und waren doch als Menschen erkennbar. Das Kubistische, das war für mich damals Picasso. Ein, zwei Jahre später stiess ich im Zimmer meiner grossen Schwester auf einen Druck, auf dem zwei hagere Gestalten melancholisch dreinblickend an einem Tisch sitzen, vor ihnen eine Flasche, das Ganze in Blautönen gemalt. Man sagte mir, dass dieses Bild ebenfalls von Picasso stamme, aus der sogenannten blauen Periode. Das war für mich seltsam: zwei so unterschiedliche Darstellungsweisen mit dem gleichen Pinsel gemalt. Damals lernte ich etwas Banales, aber Entscheidendes: dass man die Welt, je nach Blickwinkel, Alter und Interesse ganz anders sieht. Ich freue mich, Picasso in Zürich wieder von einer neuen Seite zu entdecken.»
tipp/dsa
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