Der Mann mit dem Kopftuch
Consigliere und Boss: Steven Van Zandt (66), besser bekannt als Little Steven, kommt nach Zürich.

Steven Van Zandt wurde 1950 als Steven Lento in einem Vorort von Boston geboren, er ist auch als «Miami Steve» oder «Little Steven» bekannt. Sein Grossvater ist aus Kalabrien, die Eltern seiner Mutter aus der Nähe von Neapel. Er wuchs in New Jersey auf und begegnete als Teenager Bruce Springsteen. Sie wurden dicke Freunde. Van Zandt spielte aber nicht von Anfang an bei der E-Street-Band als Gitarrist, er stiess erst beim legendären Album «Born to Run» dazu. Steven Van Zandt gründete 1982 seine eigene Band, die «Disciples of Soul». Das aktuelle Album «Soulfire» erschien Mitte Mai. Am 29. Juni spielen «Little Steven and the Disciples of Soul» im Zürcher Kaufleuten.
BaZ: Little Steven, ich habe Sie zuletzt live auf der Bühne gesehen, als Sie mit Bruce Springsteen unterwegs waren. Das war auch in Zürich, aber im Letzigrund vor 50 000 Zuschauern. Jetzt kommen Sie mit der eigenen Band – The Disciples of Soul – und Sie kommen ins Kaufleuten, statt ins Stadion. Was macht mehr Spass?
Little Steven:Es spielt nicht wirklich eine Rolle, wie gross der Ort ist, wo ich auftrete. Es macht immer gleich viel Spass.
Haben Sie bei einem Auftritt im Kleinen mehr Kontakt mit dem Publikum als im Stadion?
Man baut diese Verbindung zu den Leuten im Publikum langsam auf. Niemand von uns fängt mit Konzerten vor 50 000, 60 000 Leuten an. Aber wenn man es so weit bringt als Musiker, kann man das. Für mich ist es jetzt wichtig, die Beziehung zu meinem eigenen Publikum wieder zu knüpfen, also zu den Leuten, die wegen mir und den Disciples of Soul kommen. Es wäre falsch zu vermuten, dies seien dieselben Leute, die wegen Bruce und der E-Street-Band kommen – auch wenn es sicher solche darunter hat.
Und wie fühlt es sich an, auf der Bühne selber der Boss zu sein?
Es ist gut, manchmal der Boss zu sein (lacht). Ich war ja ganz am Anfang auch schon der Kopf meiner eigenen Band in New Jersey, bevor ich mit Bruce zusammenarbeitete. Ich kenne beide Seiten schon lange.
Es fällt Ihnen nicht schwer, Entscheidungen zu treffen, Menschen zu führen?
Ich habe immer schon mein eigenes Ding gemacht. Ich war und bin Produzent, ich managte Southside Johnny and the Asbury Jukes. Heute hab ich ungefähr ein Dutzend verschiedener Firmen, die ich führe …
… Sie wissen, wies geht?
Sagen wir es so: Es ist nicht neu für mich.
Wenn Sie schon Southside Johnny and the Asbury Jukes erwähnen: Bei einigen der Lieder auf Ihrem neuen Album «Soulfire» höre ich durchaus die Nähe zu dieser Musik. Ich fühle mich in die Zeit Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre zurückversetzt, als ich über die Platten von Bruce Springsteen Southside Johnny entdeckte.
Ja, das ist Absicht. Ich kreierte damals mit Southside Johnny einen spezifischen Sound. Wir schufen unsere eigene Identität: Rock 'n' Roll trifft Soul Music. Das machte so damals niemand. Ich führte das dann in meinem eigenen, ersten Solo-Album weiter.
Wären Sie beleidigt – oder vielleicht geschmeichelt –, wenn ich sage, das ist altmodische Musik?
Aber es ist Musik von 2017! Hat diese Musik Wurzeln? Ja! Aber alle anderen, die Musik machen, haben auch Wurzeln, nur sind die vielleicht zum Teil etwas weniger fassbar, während die meiner Musik offensichtlicher sind. Als ich jetzt dieses Album machte und meine alten Sachen wieder hervornahm – acht der Songs habe ich für andere geschrieben –, wurde mir klar: Über die Jahre bin ich zu meinem eigenen Genre geworden. Es gibt fast nichts Vergleichbares. Zugegeben, es fühlt sich ein bisschen an wie etwas aus den 60ern, aber nur wenn Sie die 60er kennen, you know. Wenn Sie jünger sind, merken Sie nicht, wo die Wurzeln dieser Musik sind. Aber das ist schon okay. Und wenn Sie mich und die Band live sehen, werden Sie merken, wie gut diese Musik funktioniert. Das hat nichts mit Nostalgie zu tun.
Das wollte ich auch nicht sagen. Wissen Sie, für mich ist das immer noch die Art Musik, die mich anspricht. Wenn ich mir «Some Things Don't Change» auf «Soulfire» anhöre, dann höre ich Sam Cooke. Das ist grossartig.
Da haben Sie recht. Sie hören Cooke, Sie hören aber auch viele meiner eigenen Helden über das ganze Album verteilt. Für mich ist es wirklich ein tolle Gelegenheit, mich dem Publikum wieder vorzustellen. Ich habe ja nie eine Art Vorstellungsalbum gemacht, mich den Hörern präsentiert. Bei «Soulfire» ist das anders. Ich habe einen Blues-Song darauf, einen Doo-Wop-Song, da sind Coverversionen, da ist etwas Jazz, etwas R 'n' B. Das definiert wirklich, wer ich bin und wo ich herkomme.
Diese Art Musik live zu präsentieren, bedeutet aber: Gruppenreise. Da hat es Bläser, Backgroundsänger. Das ganze Programm.
Oh ja. 15 Leute in der Band, dazu eine Crew. Ich glaube, wir reisen etwa mit 23, 24 Leuten. Das wird teuer (lacht). Es ist eine ordentliche Investition bis ich mein neues Publikum finde, aber das ist okay, you know. Wir gehen raus und spielen das Zeug live – darum geht es.
Warum nicht eine kleine Band und billig reisen?
Mit diesem Album? Nein! Und ich bleibe diesem Sound treu. Also wird es wohl nie mehr eine kleine Band sein. Ich will dieses Mal, was meine eigenen Alben anbetrifft, konsistenter sein als beim ersten Mal. Von den ersten fünf Soloalben hört sich jedes stilistisch anders an als der Vorgänger. Das soll mir nicht mehr passieren.
Soll das heissen, Sie gehen nicht mehr mit Bruce Springsteen und der E-Street-Band auf Tournee?
Nein, das heisst es nicht. Wenn die E-Street-Band auf Tour ist, bin ich dabei. Aber Bruce hat mir bereits gesagt, dass er dieses Jahr nicht unterwegs sein wird – also bin ich es. Vielleicht wird es jedes andere Jahr eine Tournee mit den Disciples geben. Immer im Wechsel mit Bruce und der E-Street-Band. Und im Winter eine Fernsehserie. Mal sehen. Hoffentlich überlappt sich das alles nicht zu sehr.
Jeezez, wie viel Energie haben Sie eigentlich? Mit Verlaub: Sie sind nicht mehr gerade ein Jungspund.
Sagen Sie mir das nicht! Ich vermeide alle Spiegel. Und wenn Sie mich fragen, wie alt ich bin: 25. Schauen Sie einfach auf die andere Seite, wenn ich an Ihnen vorbeigehe, dann ist alles in Ordnung, okay? (lacht).
Okay. Aber ernsthaft: Ich habe Sie mit der E-Street-Band schon oft auf der Bühne gesehen und staune immer wieder, wie viel Energie Sie ausstrahlen. Wie machen Sie das?
Kommen Sie ins Kaufleuten. Ich zeige es Ihnen. Wir machen echt kraftstrotzende Musik. Es gibt nicht Besseres als fünf Bläser, die Ihnen das Hirn aus dem Schädel blasen.
Okay, ich komme jetzt mit der dummen Frage: Hält Musikmachen jung?
Nun, ich glaube, aktiv zu bleiben, erhält jung, jedenfalls was die Mentalität betrifft. Ich habe eine ganze Liste von Dingen, die ich machen will und für die ich keine Zeit finde. Ich habe immer das Gefühl, ich hinke hinterher. Ich hatte Attention Deficit Disorder, lange bevor das in Mode kam. Für mich heissts immer, go, go, go. Ich hasse es zu warten. Ich hasse Bürokratie. Ich hasse es, irgendwo Schlange zu stehen. Ich hasse die Tatsache, dass immer alles zu lange dauert. Ich wünschte mir, ich hätte noch mehr Produktivität. Aber, you know, die Maschine bremst ständig. Sie ist so fucking langsam. Du musst mit ihr arbeiten, in ihr arbeiten, um sie herum arbeiten.
Ich glaube, ich höre gerade das süditalienische Blut in Ihnen. Ich habe zwei Kollegen auf der Redaktion, die haben auch diesen Energielevel, diese Ungeduld. Und diese Lebendigkeit. Vielleicht. Aber sagen Sie mir, wie kommt ein Typ wie Sie – mit all dieser Lebendigkeit – darauf, nach Lillehammer zu gehen? Norwegen? Sind Sie verrückt? (Lacht.) Das ist eine verrückte Geschichte. Sie geht so: Ich besitze eine Plattenfirma und ich produziere eine Band aus Norwegen. Als ich dort war, kam ein Paar auf mich zu, Mann und Frau. Sie schreiben Sachen zusammen. Die sagten mir: «Wir haben eine Fernsehserie für Sie verfasst!» Und ich sagte: «Wow, das ist ein ziemliches Kompliment.» Es gab nur ein Problem.
Das war?
Die wollten, dass ich schon wieder einen Gangster spiele.
Wie bei «The Sopranos».
Ja, nur war jetzt die Idee, dass dieser Gangster sich in ein Zeugenschutzprogramm begibt, und zwar nach Lillehammer in Norwegen. Da konnte ich nicht widerstehen. Ich konnte vor allem der Idee nicht widerstehen, Star einer TV-Serie in einem fremden Land zu werden. Das war ein zu grosses Abenteuer, um nein zu sagen. Und es war ein netter Rollenwechsel: Bei den «Sopranos» war ich der Consigliere, der hinter den Kulissen die Arbeit erledigt. Und in «Lilyhammer» bin ich der Boss. Ein bisschen extrovertierter und verrückter. Das bot mir die Gelegenheit, ein bisschen anders zu spielen. Es war toll. Ich war dreimal ein halbes Jahr in Norwegen. Und zum ersten Mal verkaufte sich eine norwegische TV-Serie im Ausland. In 130 Länder! Es gab mir Gelegenheit, das, was ich in der «Schule» gelernt hatte – das waren die «Sopranos» für mich – anzuwenden.
Die Parallele zur Musik liegt ja auf der Hand: Bei Bruce sind Sie der Consigliere. Bei den Disciples sind Sie der Boss wie bei «Lilyhammer».
(Lacht.) Da haben Sie recht.
Ist denn die Schauspielerei so erfüllend wie Musik machen?
Das ist ein ganz anderes Handwerk. Es war faszinierend, etwas Neues zu lernen, in dem Alter, in dem ich war, als ich bei «The Sopranos» anfing. Aber es war hilfreich, dass ich ein autobiografischer Songwriter bin. Vor allem, wenn es darum ging, zu erarbeiten, wer dieser Charakter ist, den ich spiele. Da musste ich auch in der Lage sein, in mich hineinzuhören, zu wissen, wer ich bin. Es ist wie jedes Handwerk: Man hört nie auf zu lernen, nie auf, besser zu werden.
Eine weitere Parallele: Weder der Musiker noch der Schauspieler ist bei seiner Kunst allein. Anders als der Maler oder der Schriftsteller.
Unbedingt. Es ist eine Zusammenarbeit mit anderen.
Sind Sie eher ein Zusammenarbeiter als ein Alleinmacher?
Ja, ich bin wirklich ein Band-Typ, ein Mensch fürs Ensemble. Ich bin gerne in einer Position, in der ich meinen Teil beisteuern kann und doch auch Kontrolle habe. Es ist wunderbar, als Musiker sein Leben zu verdienen. Aber mindestens die Hälfte meines Lebens, wenn nicht mehr, muss dem Schöpferischen gewidmet sein. Ein leeres Blatt Papier vor mir zu haben, etwas zu schaffen – das brauche ich genauso wie das andere. Ich brauche die Balance.
Müssen Sie für das Schöpferische allein sein? Sich zurückziehen?
Das ist das Knifflige. Sie werden auf «Soulfire» mehrere Songs finden, die ich mit jemanden zusammen geschrieben habe. Aber ich war nie jemand, der sich gemeinsam mit jemanden anderen hinsetzte und Songs entwickelte, wie Jagger/Richards oder Lennon/McCartney. Ich greife Ideen auf und mache was daraus, aus einem Riff, einem Titel. Dann gehe ich in mich und es kommt ein Song heraus. Aber der, der die Idee hatte, der Co-Writer, ist immer auch daran beteiligt, dass etwas entsteht. Ich wünschte mir, Bruce und ich hätten mehr Songs zusammen geschrieben.
Sie haben Bruce Springsteen als Teenager in New Jersey kennengelernt. Hatten Sie eine Ahnung, dass Sie es mit der Musik zu etwas bringen würden?
Was wir damals wirklich gemeinsam hatten: Wir waren die Einzigen, die wir kannten, die wirklich nichts anderes tun wollten – und konnten. Wir waren die beiden Einzigen, die übrig blieben. Alle anderen, die eine andere Chance auf eine Karriere hatten, ergriffen sie. Wussten wir, dass wir es schaffen? Nein. Nein! Es war verrückt, darauf zu hoffen, glauben Sie mir. Wer hatte je von einem Rockstar aus New Jersey gehört? Gut, Frank Sinatra ist aus New Jersey und hat es geschafft … Es war sehr unwahrscheinlich, you know. Aber wer braucht schon Realismus? Realistisch sein ist langweilig.
Es brauchte Ambitionen.
Ja. Vermutlich. Aber wir waren Freaks. Wirklich: Freaks! Aussenseiter. Und wir hatten gar nicht viele andere Optionen. Da haben wir uns also reingekniet, weil alles andere keinen Sinn machte. So. There.
Aber sie hatten «Soulfire», Seelenfeuer.
Richtig.
Sind Sie da, wo Sie hingewollt haben?
Oh, ich will noch so viel machen. Ich habe das Gefühl, ich fange gerade erst an. Und was das Fernsehen anbetrifft: Da geht es erst richtig los. Ich habe sieben fertige Skripts vorliegen und 25 Treatments. Ich habe nicht das Gefühl, als hätte ich auch nur annähernd genug erreicht.
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