Erinnerungen an Calgary 88Der letzte Schweizer Viererbob-Olympiasieger ist ein Basler
LC-Basel-Leichtathlet Werner Stocker ist Anschieber, als die Schweiz 1988 in Calgary Olympiasieger mit dem grossen Schlitten wird. Seither ist dies an Olympischen Spielen keinem Schweizer Bobteam mehr gelungen.

Es ist eine Tradition, die sich alle vier Jahre wiederholt. Wenn Werner Stocker am Freitag von seinem Wohnort Hofstetten nach St. Moritz aufbricht, hat das seinen guten Grund. Im Engadin trifft der 60-Jährige seine früheren Bobsport-Freunde. Es ist ein Wochenende, um die jahrzehntelange Freundschaft zu pflegen. Aber auch ein Wochenende, um dem Schweizer Viererbob an den Olympischen Spielen in Peking die Daumen zu drücken. Es versteht sich, dass dieses Rennen samstags und sonntags ab 2.30 Uhr live verfolgt wird. Stocker sagt: «Wir werden aufstehen.»
Denn: Stocker ist der letzte Schweizer Olympiasieger im Viererbob – zusammen mit Kurt Meier, Marcel Fässler und Pilot Ekkehard Fasser, der 2021 68-jährig verstorben ist. Es sind die ersten Spiele seit dem Sieg 1988 in Calgary, die das Gold-Team nicht mehr als Quartett verfolgen kann. Und es sind die nächsten Winterspiele, in denen die Schweizer Delegation im Eiskanal das versucht zu wiederholen, was den Schweizern zuletzt in Kanada gelungen ist.
Von der Leichtathletik zum Bobsport
34 Jahre ist es nun also her, seit letztmals die Schweizer Hymne nach einem Olympia-Viererbobrennen abgespielt worden ist. Dass Werner Stocker Teil dieses Triumphs sein durfte, macht den Basler heute noch stolz. Die Goldmedaille ist fein säuberlich in einer Schublade verstaut. Nimmt er sie hervor und hält sie in den Händen, kommen die Erinnerungen an den grössten Erfolg seiner Sportlerkarriere hervor. Stocker sagt: «Dieser Olympiasieg ist eine unglaubliche Geschichte.»
Diese beginnt für den Leichtathleten des LC Basel 1985, da er zum Bobsport wechselt – ein Weg, den so mancher Sprinter vor und nach ihm gegangen ist. Der Wirtschaftsstudent folgt der Einladung zum Probetraining und findet Gefallen an diesem Sport. Er, der Einzelsportler, ist plötzlich Teil eines Teams. «Diese Erfahrung hat mir auch für meinen Berufsalltag viel gebracht.»
Das grosse Ziel sind die Olympischen Spiele 1988. Fasser fährt an Olympia 1984 auf Platz 4, vier Jahre später soll es mit dem neu zusammengesetzten Team eine Medaille sein. «Wir haben drei Jahre lang auf diese vier Läufe hingearbeitet», erzählt Stocker. Schlitten bauen, Kufen entwickeln, vieles selbst basteln – auch das gehört zu diesem Sport dazu. «Deshalb», ist Stocker überzeugt, «ist der schnellste Sprinter auf der Bahn noch längst nicht der beste Anschieber im Bob.»

Bemerkenswert ist, dass Stockers Equipe in der Olympiasaison kaum Weltcups, dafür umso mehr nationale Ausscheidungen fährt. Die interne Konkurrenz ist riesig, die Schweiz damals eine Bobhochburg. Das manifestiert sich auch am Fakt, dass die Schweiz bislang im Bobsport am Drittmeisten Olympiamedaillen gewann – hinter Ski alpin und Turnen. Wegen der breiten Spitze in der Schweiz ist allein das Sichern des Olympiatickets eine Herausforderung. Doch die Qualifikation gelingt.
Der grösste nationale Konkurrent an den Winterspielen ist Hans Hildebrand sowie die Piloten aus der DDR und Russland. Stocker beschreibt die Ausgangslage vor Calgary so: «Obwohl wir als Schweiz 1 geführt wurden, galten wir in der Aussenwahrnehmung als Aussenseiter.» Internationale Resultate hat das Team Fasser in dieser Saison kaum vorzuweisen, erst an Olympia kommt es zum Messen mit den Besten.
Die Entscheidung im Olympiarennen bringt schliesslich Tag 2. Weil es wärmer geworden und damit die Bahn langsamer geworden ist, ist die frühere Startnummer am Sonntag ein Vorteil. Nach den ersten beiden Läufen liegt Fassers Schlitten auf Platz 3, über sieben Zehntelsekunden hinter Topfavorit Wolfgang Hoppe aus der DDR. Im dritten Lauf dreht die Schweiz mächtig auf, auch weil der Start besser kaum sein kann. Stocker sagt: «Der Start ist extrem wichtig. Der Rückstand, den man sich dort einhandeln kann, multipliziert sich bis ins Ziel in der Regel mal 2,5.»
Doch an diesem Sonntag sind Stocker und seine drei Teamkollegen bereit. Der Bahnrekord hilft, dass am Ende die Schweiz zuoberst auf der Anzeigetafel aufleuchtet – sieben winzige Hundertstel vor Hoppe. «Es war ein Wimpernschlagfinale», erzählt Stocker. Und gleichzeitig ist es der Schlusspunkt von Fassers Karriere, der danach seinen Rücktritt bekannt gibt. Er tritt mit einem Triumph ab, der als eine der grössten Überraschungen dieser Spiele bezeichnet wird.
Stockers Stimme in «Cool Runnings»
Doch Anfang der 90er-Jahre rückt Fassers Team nochmals in den Fokus. Im Film «Cool Runnings», der die Geschichte des ersten Jamaikanischen Bobteams an Olympischen Spielen erzählt, zeigt eine Sequenz einen Nachtstart des Schweizer Schlittens. Die Worte «Eis, zwei, drü …», kommen aus der Kehle Stockers. Der Basler, der in seinem Beruf als IT Manager viel ausserhalb der Schweiz unterwegs ist, erzählt, dass viele Menschen kaum etwas über den Bobsport wissen. «Aber diesen Film kennen alle.»
Bis heute gibt es im Leben von Werner Stocker also immer wieder Berührungspunkte mit seinem Sportlerleben als Bobfahrer. Letztmals in einem Schlitten sass er vor fünf Jahren, an einem von Fürst Albert organisierten historischen Plauschrennen. Es sind dies besondere Momente wie auch nun an diesem Wochenende, wenn er seine alten Weggefährten trifft. Und in Erinnerungen schwelgt. Und Stocker und Co. gleichzeitig wieder bewusst wird, dass seither kein anderer Schweizer Viererbob dieses Kunststück an Olympia fertiggebracht hat.
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