
Wenn über Berufe romantische Vorstellungen herrschen, dann steht jeweils der des Bauern beziehungsweise des Landwirts ganz weit vorne. Was da alles über das freie Leben, das Arbeiten in freier Natur und die Liebe zu den Tieren kolportiert wird, kennt keine Grenzen. Und fast scheint es, als ob auch die Bauern selbst noch ein bisschen daran glauben.
So soll gemäss der BaZ-Bildungsbeilage vom vergangenen Samstag ein Lernender auf die Frage, warum er denn Landwirt werden möchte, geantwortet haben: «Man kann selbst regieren.»
Vielleicht ist dieser junge Mann ja erst kurze Zeit in Ausbildung, sonst hätte er bestimmt schon bemerkt, dass es mit dem «Regieren» in der Landwirtschaft nicht weit her ist. Dass man mit der Gestaltungsfreiheit sehr schnell an Grenzen stösst – an natürliche, klimatische, administrative und juristische. Allein die Einhaltung der hierzulande sehr restriktiven Tierhaltungsbestimmungen – nichts gegen sie – erfordert einen erheblichen Aufwand. Und dass diese auch eingehalten werden, dafür sorgt allein schon die soziale Kontrolle.
Nein, zu regieren gibt es auf dem Bauernhof nicht viel. Dafür wird der Landwirt und Betriebsleiter selbst umso mehr beherrscht – von Zwängen und Verpflichtungen, denen er schlicht nicht ausweichen kann.
Die Frage, über wen er denn eigentlich regieren wolle, musste der «Lehrling» dann nicht mehr beantworten. Nein, zu regieren gibt es auf dem Bauernhof nicht viel. Dafür wird der Landwirt und Betriebsleiter selbst umso mehr beherrscht – von Zwängen und Verpflichtungen, denen er schlicht nicht ausweichen kann.
Beispielsweise die Milchkühe. Diese lassen wenig Gestaltungsfreiheit zu. Sie müssen zweimal am Tag gemolken werden, und erst noch in etwa zur selben Zeit. Auch am Samstag und Sonntag und wenn es dem Bauern infolge eines Katers mal gar nicht «darum» ist, morgens um fünf Uhr aufzustehen. Die Kühe gehen ganz einfach vor. Womit sich die Frage stellt, wer dort am Schluss wirklich das Sagen hat. Denn einen Melkroboter, der diese Situation zumindest teilweise etwas entschärfen würde, können sich erst wenige Bauern leisten.
«Man muss heuen, wenn das Wetter schön ist», sagte jeweils mein Vater, wenn im Sommer Sonntagsarbeit angesagt war.
Kommt hinzu, dass in der Landwirtschaft fast alles, etwa die Aussaat im Frühling oder Herbst, seine Zeit oder zumindest sein Zeitfenster hat, das es einzuhalten gilt. Und dann natürlich das Wetter. «Man muss heuen, wenn das Wetter schön ist», sagte jeweils mein Vater, wenn im Sommer Sonntagsarbeit angesagt war. Denn wenn es unter der Woche nur geregnet hatte, aufs Wochenende hin aber aufklarte, wusste jeder in der Familie, was es geschlagen hat.
Ohnehin ging im Sommer die Arbeit buchstäblich nie aus. Nach dem Kirschenpflücken abends noch Strohballen laden. Da bestand die Freiheit allenfalls darin zu entscheiden, ob man schon um zehn oder erst um elf Uhr Feierabend macht. Und dann waren die Kartoffeln gegen den lästigen Kartoffelkäfer immer noch nicht gespritzt.
Mein Vater war ein passionierter Landwirt. Er arbeitete sehr viel und beklagte sich nie. Obschon er im Sommer immer um halb fünf Uhr aufstehen musste, um das Gras zu mähen, und abends selten früh zu Bett gehen konnte. Ferien kannte er nur vom Hörensagen und von Prospekten. Hin und wieder eine zwei-, höchstens dreitägige Reise mit dem Verwaltungsrat der örtlichen Raiffeisenkasse war das Äusserste, das er sich zugestand.
Überhaupt vertraute er seinen Stall nur ungern jemand anderem an, einem Familienfremden schon gar nicht. Was mitunter zu seltsamen Situationen führen konnte: So fehlte er beispielsweise bei der Hochzeit seines zweitältesten Sohnes beim Nachtessen. Die Kühe gingen auch diesmal vor. Im Winter, ja da gab es Tage, die nach dem Mittagessen eine Siesta zuliessen.
Was es da zu regieren gibt, ist schwer zu sehen. Und dennoch hätte mein Vater wahrscheinlich die Aussage des Lernenden problemlos unterschrieben.
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Der Landwirt regiert selbst – aber über wen denn eigentlich?
Die Kühe gehen auf dem Bauernhof ganz einfach vor. Womit sich die Frage stellt, wer dort am Schluss wirklich das Sagen hat.