Nachruf Michel PiccoliDer Kinopapst, der Gott sei Dank Atheist war
Die verstorbene französische Kinolegende spielte in über 220 Filmen – Geistliche ebenso gekonnt wie Verführer und Sadisten.

Eine der letzten Rollen von Michel Piccoli war die des Papstes in Nanni Morettis «Habemus Papam». Der von ihm verkörperte Kardinal wird gewählt, weiss aber nicht, ob er dem Amt gewachsen ist. Er braucht Zeit, flieht und setzt sich in einen ganz gewöhnlichen Römer Bus, wo er einfach zum Fenster rausschaut. In diesem Blick ist alles: die drückende Last des Amtes, aber auch die Freude darüber, dem Vatikan einen Streich gespielt zu haben. Hohe Schauspielkunst, fast ohne zu spielen.
In über 220 Kinorollen war Michel Piccoli bereits aufgetreten, als er 2011 dieses kirchliche Oberhaupt wider Willen verkörperte. Wer nun aber dachte, das Interview nach der Premiere am Filmfestival von Cannes werde von ihm als Filmpapst wie eine Audienz zelebriert, sah sich getäuscht. Der damals 85-Jährige witzelte herum, mokierte sich zum Beispiel darüber, dass ihm Regisseur Moretti die Rolle nicht gleich geben wollte, sondern ihn zuerst ins Papstkostüm steckte, um ihn in voller Pracht zu begutachten. Und auf die Frage, ob er denn selber an Gott glaube, antwortete er: «Gott sei Dank bin ich Atheist.»
Dieser Satz stammt nicht von ihm, wie Piccoli damals gleich bekannte, sondern von Luis Buñuel, einem seiner grossen Lehrmeister. Mit dem spanischen Surrealisten drehte er Klassiker wie «Belle de jour» (mit Catherine Deneuve) und «Le Journal d’une femme de chambre» (mit Jeanne Moreau). Die erste Zusammenarbeit der beiden ist nicht so berühmt – es war ein mexikanischer Abenteuerfilm namens «La mort en ce jardin» (mit Simone Signoret). Auch hier verkörperte Piccoli einen Geistlichen, aber noch einen ganz gewöhnlichen Priester.
Buñuel war mit diesem Film, der 1956 herauskam, zwar überhaupt nicht zufrieden. Mit seinem neu gefundenen Darsteller dagegen schon. Er notierte: «Dafür bin ich bei ‹La mort en ce jardin› einem Mann begegnet, der einer meiner besten Freunde wurde: Michel Piccoli. Wir haben fünf oder sechs Filme zusammen gemacht. Ich mag seinen Humor, seine unauffällige Grosszügigkeit, seine leichte Verrücktheit und den Respekt, den er mir nie entgegenbringt.»
Die grosszügige Respektlosigkeit ist eine der herausragenden Eigenschaften von Michel Piccolis Kinokarriere. Er drehte mit den bekanntesten Regisseuren seiner Zeit, den französischen sowieso: Eine seiner ersten Rollen hatte er noch beim grossen Jean Renoir in «French Cancan» (1954). Und eine seiner allerletzten bei Leos Carax in «Holy Motors» (2012). Dort sitzt er einfach hinten in einem Auto. Wie der Regisseur erzählte, sollte sein Darsteller eigentlich unerkannt bleiben und unter dem Pseudonym Marcel Tendrolo im Nachspann stehen. Aber ein Piccoli-Auftritt, und sei er noch so kurz, liess sich nicht geheim halten.
«Ich mag den Respekt, den er mir nie entgegenbringt.»
Michel Piccoli war nie ein Star wie Alain Delon oder Jean-Paul Belmondo, der mit seinem Namen allein die Kinokassen füllen konnte. Dafür war der Schauspieler zu vielfältig, liess sich nie auf eine bestimmte Rolle festlegen. Er spielte den sturen Bourgeois mit der gleichen Leichtigkeit wie den sadistischen Provokateur. Der verzweifelte Machokünstler – in Rivettes «La belle noiseuse» – entsprach ihm ebenso wie der sanfte Frauenfreund, den er besonders elegant im Werk von Claude Sautet an der Seite von Romy Schneider verkörperte. Mit ihr konnte er aber auch ganz anders: Die beiden spielten die Hauptrolle in der sehr schwarzen Komödie «Trio infernal», die 1974 für einen Skandal gut war.
In «Topaz» spielte er auch für Alfred Hitchcock. «Leider war es nicht der beste Film des Regisseurs», bereute er später. Aber auch als bekannter Star war Piccoli sich nie zu schade, unbekannten Filmschaffenden mit seinem Namen die Gelegenheit zu geben, einen ersten Film zu drehen. Als Regisseur realisierte er selber einen Kurzfilm: Er heisst «Train de nuit», erzählt von einem alten Mann, der im Zugsabteil eine Liebesgeschichte wiederaufleben lässt. Uraufführung hatte er am Filmfestival von Locarno, das Piccoli mehrmals besuchte. Und wo er 2007 einen Excellence Award erhielt.
Piccoli begann als Theaterschauspieler
Michel Piccoli stammte aus einer Musikerfamilie, er wuchs in Paris als Sohn einer französischen Klavierlehrerin und eines italienischen Geigers auf. Schon früh fühlte er sich vom Theater angezogen, mit elf soll er seine erste Rolle gespielt haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg startete er seine Laufbahn auf verschiedenen Pariser Bühnen.
Auch später ist er – nicht häufig, aber gern – ins Theater zurückgekehrt. Zum Beispiel in Inszenierungen des Schweizer Regisseurs Luc Bondy. Auch Piccolis erste Ehefrau Eléonore Hirt, mit der er eine Tochter hat, war Schweizerin. Zwischen 1966 bis 1977 war er dann mit der Sängerin Juliette Gréco verheiratet. Und seit 1980 mit der Industriellen Ludivine Clerc. Sie stand ihrem Mann auch damals beim Papst-Gespräch in Cannes zur Seite. Als er aus dem Plaudern nicht mehr herauskam, nahm sie ihn liebevoll am Arm. Und führte ihn sanft, aber bestimmt weg.
«Jede Rolle, die ich spiele, macht mich jünger»
Ob die Papst-Rolle nicht ideal sei, um die eindrückliche Karriere zu beenden, wurde Piccoli aber vorher noch gefragt. «Wo denken Sie hin?», gab er zurück, «jede Rolle, die ich spiele, macht mich jünger. Ganz besonders der Papst.»
Am 12. Mai ist Michel Piccoli, wie erst jetzt bekannt wurde, im Alter von 94 Jahren nach einem Schlaganfall gestorben. Und man kann nicht anders, als sich vorzustellen, wie er auf seiner letzten Reise aus dem Fenster schaut: erhaben, bescheiden, autoritär, schelmisch – alles in einem, wie es nur die ganz grossen Schauspieler können.
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