
Im «Sonntags-Talk» vom 18. April auf Telebasel diskutierte die Runde unter anderem über die Störaktion bei der Einreichung des Referendums zu Ehe für alle. Befürworter der Gesetzesrevision aus linken Kreisen hatten versucht, die Übergabe der Unterschriften in Bern zu verhindern. Auf die Frage des Moderators, ob eine solch militante Aktion nicht den demokratischen Spielregeln widerspreche, wich die Grossrätin und Co-Präsidentin der Basler Grünen, Raffaela Hanauer, einer klaren Antwort aus. Rhetorisch unbeholfen faselte sie vom Protestrecht und verstieg sich schliesslich zur Aussage, dass es eben nicht eine Meinung A und eine Meinung B gebe und beide gleich zu werten seien. Damit machte sie klar, dass sie sich in bestimmten politischen Fragen im alleinigen Recht fühlt und gleichzeitig nicht willens ist, auch eine andere Meinung zuzulassen.
Für mich persönlich ist die Ehe für alle ein längst überfälliges Anliegen. Dass es aber Kreise gibt, die eine solche Gleichstellung aus verschiedenen Gründen ablehnen, ist eine Tatsache. Man kann das bedauern und vor allem mit guten Argumenten in der Abstimmungsphase dagegen ankämpfen, aber nicht mit primitiven Störaktionen jeglichen Diskurs unterbinden. Der Kampf um die Meinungshoheit ist ein Phänomen, das in jüngster Zeit immer öfter auftaucht. Interessanterweise sind es vor allem die Linken, die darauf pochen, zu wissen, wer was wann wo darf und welche Meinungen gar nicht erst geäussert werden dürfen. Diese neue Form der Zensur greift mehr und mehr um sich.
Interessanterweise sind es vor allem die Linken, die darauf pochen, zu wissen, wer was wann wo darf.
Vegetarische und vegane Menüs in der Unimensa sollten kein Thema sein, doch wieso müssen auch gleich alle Fleischgerichte verboten werden? Und wieso werden in Basel zu Corona-Zeiten unbewilligte Demonstrationen zum 1. Mai und zum Frauenstreik organisiert? Eben weil sich die Organisatorinnen und Organisatoren im besonderen Recht fühlen, da es ja um eine «legitime Sache» geht, die über gesetzlichen Vorschriften steht. Wenn dann allerdings andere Kreise aus anderen politischen Lagern oder wie in diesen Tagen Corona-Leugner auf die Strasse gehen, werden sie angeprangert. Zu Recht, wie ich meine, aber dann müssen die demokratischen Grundregeln für alle gelten.
Die französische, feministische Publizistin und Filmemacherin Caroline Fourest, selbst eine engagierte Linke, geht in ihrem lesenswerten Buch «Generation Beleidigt» dem «wachsenden Einfluss linker Identitärer» nach. «Einst kam die Zensur von der konservativen und moralistischen Rechten. Nunmehr entspringt sie der Linken; oder vielmehr einer bestimmten, nämlich ihrerseits moralistischen und identitären Linken», schreibt sie und führt zahlreiche Beispiele von Meinungsterror auf. Es genüge, dass eine kleine Gruppe von Inquisitoren sich für beleidigt erkläre, um Entschuldigungen wegen Aussagen und das Zurücknehmen von Texten, Zeichnungen oder gar Theaterstücken zu erwirken. Die identitäre Linke ergehe sich in Zensur, statt sich eine neue, mannigfaltigere Welt vorzustellen. «Das Ergebnis ist ein geistiges und kulturelles Ruinenfeld, das den Nostalgikern der Herrschaft zugutekommt», lautet die Einschätzung von Caroline Fourest.
Ein fairer Diskurs findet leider viel zu selten statt.
Heute kann sich eine einzelne Person im Netz empören und einen Shitstorm auslösen. Meistens wird dann gar nicht differenziert über den Stein des Anstosses diskutiert, sondern gleich mit verbalen Hasstiraden im schnell wachsenden Kollektiv auf die vermeintliche Urheberschaft eingedroschen. Die Basler Fasnachtsclique Negro Rhygass verzichtete nach heftiger Kritik auf ihr Logo. Die Bäckerei Sutter musste ihr «Maitlibei» in «Glücksbringer» umbenennen, und die leidige «Mohrenkopf»-Debatte ist immer noch im Gange. Es ist unbestrittenen, dass viele der im Netz aufgeworfenen Fragen durchaus diskussionswürdig sind. Doch ein echter und fairer Diskurs findet leider viel zu selten statt. Stets stehen sich radikale Gruppen gegenüber, die unerbittlich miteinander streiten, ohne auch mal die eigene Position zu hinterfragen.
Es stimmt nachdenklich, wenn bereits eine junge und sicherlich engagierte Politikerin wie Raffaela Hanauer dieses Schwarzweissdenken übernimmt und nicht den Mut aufbringt, zweifelhafte Strömungen – egal, ob sie von linker oder rechter Seite kommen – klar zu kritisieren. Es kann und darf nicht sein, dass sich eine Einzelperson, eine Gruppe oder eine politische Ideologie die Meinungshoheit aneignet und alle anderen zensuriert, ausgrenzt oder gar verfolgt. Die Geschichte sollte uns eines Besseren belehren.
Raphael Suter ist Direktor der Kulturstiftung Basel H. Geiger
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Seitenblicke – Eine neue Form der Zensur
Wie linke Politiker immer mehr versuchen, die Meinungen von Andersdenkenden zu unterdrücken.