
Solche Bilder lassen keinen Menschen mit sozialem Gewissen unberührt: Esswaren, die in der Tonne eines Grossverteilers vor sich hin faulen. Liessen sich die nicht noch anders verwerten? Könnte man sie nicht an Bedürftige abgeben? Oder wenigstens Tieren verfüttern?
Solche Empfindungen bewegten vergangene Woche eine «20 Minuten»-Leserin, als sie in einer Migros-Filiale in Altstetten einen ganzen Haufen Gemüse in der Entsorgertonne erspähte, zum Teil noch in der Plastikverpackung. Sie sei «sprachlos, wütend und enttäuscht» über das Vorgehen der Migros, schrieb sie in den sozialen Medien. Nie hätte sie so etwas erwartet, ausgerechnet von der Migros. Ihre Mitleser gaben ihr recht und hackten wütende Kommentare in die Tastatur.
Auch andere griffen das Thema auf: Zuvor schon hatte ein Leser ähnliche Zustände in einer Coop-Filiale in Wallisellen erspäht. Ein paar Tage später entdeckte nochmals eine andere Leserin hinter einer Coop-Filiale in Dübendorf: haufenweise noch geniessbares Gemüse in der Tonne. Auch sie fotografierte, postete auf Facebook und konnte sich an einem viralen Post erfreuen. Tausende jubelten ihr zu, Coop krebste zurück und spendete die Esswaren bedürftigen Menschen. Migros dagegen nutzte die Gelegenheit, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, dass sie organisches Material von Plastik trenne. Aus dem Gemüse werde Biogas gewonnen. Also alles im grünen Bereich?
Wer einmal in einer Restaurantküche gearbeitet hat, muss diesbezüglich ein dickes Fell haben: Nicht nur lassen die Gäste gern einen Teil ihres Essens stehen, was dann entsorgt werden muss. Weil die Gastronomie mit verderblicher Ware zu tun hat und darauf achten muss, dass dem Gast nichts Verdorbenes vorgesetzt wird, landet unweigerlich immer wieder Essen im Abfall – was unweigerlich den Gedanken nach unverhältnismässiger Verschwendung nach sich zieht.
Das Problem ist nur, dass die gefühlte Wahrheit einmal mehr nur die halbe Wahrheit ist. Der blinde Fleck liegt im eigenen Haushalt. Denn ja, Food-Waste ist eine Schande, solange nicht alle Menschen genug zu essen haben. Aber auch hier lohnt es sich, bei sich selber anzufangen, anstatt nur mit dem Finger auf andere zu zeigen: Laut Statistiken sind in der Schweiz weder die Grossverteiler noch die Gaststätten die grössten Verschwender, sondern nur für je 5 Prozent aller verschwendeten Lebensmittel verantwortlich. Die Privathaushalte hingegen verschwenden 45 Prozent aller Lebensmittel. Das entspricht einer jährlichen Menge von 1'035'000 Tonnen.
Die Gründe sind vielfältig, und wir kennen sie: Wir planen schlecht, kaufen zu viel ein, kochen zu viel, kochen gar nicht, und das Gemüse verdirbt im Kühlschrank. Niemand wirft gern Esswaren weg – aber es macht auch niemand einen Aufstand, wenn ein welker Salatkopf auf den Kompost geworfen wird.
So richtig es ist, wenn Konsumentinnen Migros und Coop dazu anhalten, überzählige Lebensmittel zum Beispiel an Bedürftige weiterzureichen; noch wichtiger wäre es, den eigenen Food-Waste ins Verhältnis zu stellen und zu hinterfragen: Muss jedes abgelaufene Joghurt in den Müll – oder ist es nicht doch noch geniessbar? Kann ich die Resten von gestern nicht heute noch essen? Auf sich selber hat man immer noch den grössten Einfluss.
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Der Kampf gegen Food-Waste beginnt in der eigenen Küche
Kunden empören sich über die Verschwendung von Lebensmitteln beim Grossverteiler. Dabei ist das Problem bei ihnen zu Hause viel grösser.