Der IV droht eine neue Sparrunde
Der Bundesrat schickt demnächst eine neue Reform der Invalidenversicherung ans Parlament. Die bürgerlichen Parteien wollen daraus eine Sparvorlage machen.

Im einem Jahr muss die Invalidenversicherung (IV) wieder ohne den jährlichen Mehrwertsteuerzuschuss von 1,1 Milliarden Franken auskommen. Laut den Finanzprognosen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) wird die IV auch ohne diese Geldspritze schwarze Zahlen schreiben und ihre Schuld von über 11 Milliarden bei der AHV tilgen. Doch die bürgerlichen Finanz- und Sozialpolitiker sowie die Wirtschaftsverbände trauen den Zusagen nicht. Insbesondere bezweifeln sie, dass die IV wie vorgesehen bis 2030 ihre Schulden zurückzahlt. Sie wollen deshalb die nächste IV-Revision dazu nutzen, die Kosten der Sozialversicherung weiter zu senken.

Der Bundesrat dürfte die Vorlage an einer seiner nächsten Sitzungen bereinigen und ans Parlament schicken. Sozialminister Alain Berset sieht die Reform allerdings nicht als Sparvorlage, sondern als «Weiterentwicklung der IV». Diese soll in erster Linie die Arbeitsintegration von jungen Erwachsenen mit gesundheitlichen Einschränkungen und von psychisch Kranken verbessern. Jugendliche und junge psychisch Kranke werden an den Übergängen zwischen Schule, Ausbildung und Berufsleben künftig besser unterstützt. Dazu wird das Instrumentarium der IV zur Vermeidung von Invalidität auf Jugendliche ausgedehnt, die noch nicht im Arbeitsmarkt sind. Zudem werden finanzielle Fehlanreize der IV beseitigt, die junge Erwachsene heute abhalten, eine Lehre im freien Arbeitsmarkt zu absolvieren.
Stossende Ungleichbehandlung
Diese Integrationsmassnahmen werden zwar von links bis rechts unterstützt. Doch Sozialpolitiker von SVP, FDP und CVP wollen, dass die Revision zu unmittelbaren Einsparungen führt. Die IV habe nach dem Wegfall der Zusatzfinanzierung, die der IV jährlich 1,1 Milliarden brachte, weiterhin ein Strukturproblem, sagt FDP-Nationalrat Bruno Pezzatti. Die FDP will deshalb zwei sistierte Sparmassnahmen aus der 2013 gescheiterten IV-Revision 6b aufnehmen: die Kürzung der Kinderrenten und Reisespesen.
CVP-Nationalrätin Ruth Humbel fordert ebenfalls die Senkung der Kinderrenten. Heute erhalten IV-Rentner pro Kind eine Unterstützung von 40 Prozent ihrer Invalidenrente, mindestens 470 Franken (beim Bezug einer Vollrente). Dies führe zu teilweise stossenden Ungleichbehandlungen gegenüber Erwerbstätigen, sagt Humbel. Die minimale Kinderzulage für Erwerbstätige beträgt 200 Franken im Monat. Die Rückerstattung der Reisekosten für medizinische Behandlungen und Eingliederungsmassnahmen durch die IV soll nach Meinung Humbels ebenfalls restriktiver gehandhabt werden. Die Einsparungen bei Kinderrenten und Reisevergütungen hatte der Bundesrat 2011 noch selbst vorgeschlagen, mit einem jährlichen Spareffekt von 180 Millionen.
Arbeitgeber für Mindestalter 30
Noch weiter gehen wollen die Wirtschaftsverbände. Künftig sollen keine IV-Renten mehr an unter 30-Jährige ausgerichtet werden, fordert der Arbeitgeberverband. Ausgenommen wären Menschen mit schweren Geburtsgebrechen. Stattdessen soll die IV für unter 30-Jährige nur noch befristete Taggelder ausrichten, die mit Eingliederungsmassnahmen verknüpft werden. Bei SVP und FDP stossen diese Vorschläge auf offene Ohren. Hans-Ulrich Bigler, FDP-Nationalrat und Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, will bei den Mitgliedern der Sozialkommission dafür werben, dass die Einführung der Altersgrenze Teil der Revision wird. Auch CVP-Nationalrätin Humbel hält die Altersgrenze für «prüfenswert». Der Arbeitgeberverband betont, dass es sich nicht um eine kurzfristige Sparmassnahme handle. Zunächst könnten die zusätzlichen Integrationsbemühungen sogar Mehrkosten verursachen.
Die SP will dagegen verhindern, dass aus der bundesrätlichen Integrationsvorlage eine Sparvorlage wird. SP-Nationalrätin Silvia Schenker hofft auf die Unterstützung der Mitteparteien CVP, GLP und BDP. Optimistisch stimmt sie der Beschluss des Ständerats vom Dezember, auf die vom Nationalrat beschlossene Streichung der Kinderrenten für AHV-Bezüger zu verzichten.
Gegen neue Sparmassnahmen wehren sich auch die Behindertenverbände. Die IV-Sanierung sei auf Kurs, wie die Zahlen des BSV zeigten, sagt Marc Moser vom Dachverband Inclusion Handicap. «Es ist nicht nötig, noch mehr auf dem Buckel von Menschen mit Behinderungen zu sparen.» «Sehr dezidiert» äussert sich der Verband gegen ein Mindestalter für IV-Renten. Viele Menschen mit schweren Behinderungen könnten selbst bei optimaler schulischer und beruflicher Begleitung nicht oder nur sehr eingeschränkt in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden.
Integrationsdruck erhöhen
Die Forderung nach einem Mindestalter für IV-Renten wird allerdings nicht nur von bürgerlichen Politikern unterstützt, sondern auch von einigen Experten. Der Psychologe Niklas Baer, Mitautor mehrer Studien zur schwierigen Arbeitsintegration junger psychisch Kranker, erhofft sich vom Verzicht auf Rentenzahlungen an unter 30-Jährige, dass der Integrationsdruck auf alle Akteure erhöht wird.
Die jungen Erwachsenen und die psychisch Kranken bilden jene zwei Gruppen, die der IV trotz der bisherigen Reformen mit strengerer Rentenpraxis und verstärkten Integrationsversuchen Probleme bereiten. Bei den 18- bis 24-Jährigen stagniert die Zahl der Neurenten seit 2001, während sie bei den anderen Altersgruppen stark zurückging. Zudem wird fast jede zweite Rente wegen einer psychischen Erkrankung ausgesprochen.
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