Der gute Beamte von Münchenstein
Ein Sozialarbeiter verschickt in Eigenregie Spendenanträge für Berufstätigen mit 3700 Franken Schulden.

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint – dieser Gemeinplatz fasst diesen Spenden-Fauxpas aus der Gemeindeverwaltung Münchenstein schon ziemlich präzise zusammen. Ein mitfühlender Verwaltungsmitarbeiter sammelt im Namen der Gemeinde Geld für einen berufstätigen Einwohner.
Mitte April verschickte ein Mitarbeiter der Sozialen Dienste der Gemeinde Münchenstein, nennen wir ihn Meier, eine unbekannte Anzahl Spendenanträge für Familie B. aus Münchenstein. Auf dem Umschlag das Signet der Gemeinde, und das Briefpapier ist ebenfalls mit dem offiziellen Briefkopf der Verwaltung versehen. «Herr B. hat sich an uns gewandt, weil er Schulden in Höhe von zirka 3700 Franken hat, die er beim besten Willen einfach nicht tilgen kann», so der erste Satz des Schreibens.
Dann folgt eine Auflistung, welche die Dringlichkeit belegen soll. B. sei mit der Miete in Verzug, schulde noch Beiträge für die Krankenkasse, und er habe mehrere Zahnarztrechnungen offen. Der Zahnarzt müsse noch weitere Arbeiten an seinen Zähnen vornehmen, hätte dies aber vorerst abgelehnt und würde erst weitermachen, wenn die Schulden an ihn bezahlt worden sind.
Der 25-Jährige lebt seit seinem sechsten Lebensjahr in der Schweiz und hat seit diesem Jahr wieder eine Festanstellung. Zuvor war er arbeitslos, hatte Zwischenverdienste, «kam aber beim besten Willen auf keinen grünen Zweig», heisst es weiter. Herr B. habe eine Frau und drei kleine Kinder. Herr B. sei bereits mit 17 Jahren Vater geworden und sei auf eigenen Füssen gestanden. Während seiner Ausbildung, so heisst es im Schreiben, sei er bis 2014 auf Sozialhilfe angewiesen gewesen.
Emotionale Schilderungen
Ferner müsse sein Auto, ein VW, dringend in den Service. Doch weil B. kein Geld für die Reparatur habe, stellte er sie zurück. Er hoffe, «nicht auf dem Weg zur Arbeit oder zurück nach Hause ‹liegen zu bleiben›». Herr B. sei wegen der Arbeit auf einen Wagen angewiesen. Dann folgt die Adresse, an der Herr B. mit seiner Familie in einer «einfach ausgestatteten Wohnung in einem Block» wohnt.
Der Bettelbrief der Gemeinde Münchenstein geht emotionalisierend weiter: «Mit seiner Familie sei er viel draussen in der Natur, wo es einfach nichts koste. Zoobesuch oder Ähnliches lägen zurzeit einfach nicht drin.» Herr B. und seine Frau würden nachts oft nicht schlafen können, weil sie die Schulden «sehr drücken». Die Frau sage, sie würde keine neuen Kleider brauchen. Das Geld sollte zum Tilgen der Schulden genutzt werden. Und selbst Hochzeitseinladungen von Freunden würden sie ablehnen, weil kein Geld für Geschenke vorhanden sei.
Dann folgt die Aufforderung von Sozialarbeiter Meier, mit beigelegtem Einzahlungsschein Geld an die Gemeinde Münchenstein zu überweisen. Diese würde den Betrag dann weiterleiten. Doch das wäre nicht nötig, weil Herr Meier auch Kontoauszüge des Schuldners mitgeschickt hat, auf der die Kontonummer von B. zu sehen ist.
Auch Versicherungsrechnungen, Mietrechnungen oder Mahnungen sowie Abrechnungen des Zahnarztes inklusive Auflistung der diversen Eingriffe – 13 Seiten private Unterlagen, die mit Erlaubnis des Schuldners angefügt seien. Sie sollten die geschilderte Notlage belegen.
Schuldenberatung statt Spenden
Naheliegend war der Verdacht, dass der Bettelbrief eine Fälschung ist. Vielen Berufstätigen geht es so, dass ihr Einkommen knapp ist und sie sogar Schulden machen. Der Staat gewährt ihnen keine Sozialhilfe, weil sie wirtschaftlich auf eigenen Füssen stehen. Und Münchenstein bietet für Bürger wie B. Schuldenberatungen an, doch das Spendeneintreiben ist eine Ungleichbehandlung.
Der Spendenbrief jedenfalls ist echt. Sozialarbeiter Meiers Hilfeaktion stösst Verwaltungsleiter Stefan Friedli denn auch sauer auf: «Es handelt sich bei diesem Spendenantrag um eine Eigeninitiative eines Mitarbeiters. Dieses Vorgehen wird von uns nicht akzeptiert und nicht toleriert.» Was dies konkret für den gutmütigen Mitarbeiter bedeutet, sagt Friedli nicht.
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