Der grosse Verlierer Saakaschwili
Der Krieg um Südossetien hat Georgien in eine tiefe Krise gestürzt. Aus dem geplanten Coup wurde eine Katastrophe. Wie lange kann sich Präsident Michail Saakaschwili noch halten?
Er ist der grosse Verlierer der vergangenen Tage, aber er gibt sich standhaft: «Abchasien und Südossetien gehören zu Georgien», sagt Michail Saakaschwili. Daran könne es nie Zweifel geben. Es ist einer dieser Auftritte, die der georgische Präsident so liebt: vor der internationalen Presse – und mit einem europäischen Spitzenpolitiker. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy ist nach Tiflis gekommen, um einen Friedensplan auszuhandeln. Die Pressekonferenz findet mitten in der Nacht statt, als Kulisse dient Saakaschwilis halb fertiger Präsidentenpalast. Das Gebäude ist erst ein Betonskelett, grosse Plachen mit aufgemalten Säulen gaukeln eine Fassade vor.
Die Bevölkerung wird terrorisiert
Der georgische Präsident spricht französisch und englisch, ganz Kosmopolit. Doch seine Augen sind unruhig, er ist abgemagert und bleich. Hinter den kämpferischen Worten schimmert durch, dass dieser Mann um sein politisches Überleben kämpft. Der Coup in Südossetien hätte sein grösster Erfolg werden sollen, er wurde zur Katastrophe. Georgien liegt am Boden: Russische Truppen stehen in den beiden abtrünnigen Gebieten Abchasien und Südossetien – und greifen trotz Friedensplan weiter an. Am Mittwoch drangen Moskaus Panzer in die georgische Stadt Gori ein.
Abgefackelte Häuser
In Dörfern entlang der südossetischen Grenze sollen viele Häuser abgefackelt worden sein. Laut georgischen Angaben terrorisierten Freischärler die lokale Bevölkerung. Angesichts der dramatischen Lage stellt sich ein Grossteil der Bevölkerung hinter den Präsidenten. Selbst die sonst unversöhnliche Opposition hält sich zurück. «Es ist nicht die Zeit für Kritik an der Regierung, solange die Bomben fallen», sagt David Gamkrelidse, Chef der liberal-konservativen New Rights Party. Erst müsse die «Okkupation durch russische Truppen» beendet werden. «Aber wenn der Krieg erst mal vorbei ist, beginnt die Suche nach den Verantwortlichen», sagt Gamkrelidse.
Erste Zweifel auch in der Hauptstadt
In den Strassen von Tiflis sind jetzt schon erste kritische Stimmen zu hören. Es wachsen die Zweifel an der offiziellen Version, Georgien sei unschuldiges Opfer russischer Aggression. «Wenn es stimmt, was ich gehört habe, dass nämlich wir den Krieg angefangen haben, dann war das ein grosser Fehler», sagt eine Frau, die mit ihrer kleinen Tochter durchs Stadtzentrum spaziert. «Es war ja von Anfang an klar, dass wir gegen Russland keine Chancen haben.»
Auch ausländische Beobachter in Tiflis fragen sich: Wie um Himmels willen konnte Saakaschwili diesen halsbrecherischen Angriff wagen? Liess er sich von den Emotionen leiten? Überschätzte er sich selber? Rechnete er damit, die Russen würden still halten? Oppositionspolitiker Gamkrelidse kann sich ebenfalls nicht erklären, was den Präsidenten zu dem Himmelfahrtskommando getrieben hat. «Zumal er genau wusste, dass der Westen Georgien nicht schützen kann.» Tatsache ist: Saakaschwili ist für seine heissblütige, sprunghafte Art berüchtigt. «Emotionen zählen oft mehr als Fakten», sagt ein Insider.
Widerspruch wird nicht geduldet
Dazu kommt, dass Saakaschwili in seiner Umgebung keine Leute duldet, die ihm widersprechen. Zahlreiche enge Mitstreiter haben sich in den vergangenen vier Jahren mit ihm überworfen. Ex-Aussenministerin Salome Surabischwili ging in die Opposition, Ex-Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili flüchtete nach Frankreich, Ex-Parlamentschefin Nino Burdschanadse trat bei den letzten Parlamentswahlen überraschend nicht mehr an. Resultat: In der georgischen Führung ist kaum mehr jemand da, der den Präsidenten von unüberlegten Abenteuern abhalten kann. Das dürfte sich jetzt rächen. Saakaschwili, der seine ganze Energie auf die «Heimholung» der abtrünnigen Gebiete verwendete, hat Abchasien und Südossetien verloren – wohl für immer.
Selbst Oppositionelle wie David Usupaschwili, Chef der liberalen Republikanischen Partei, sind besorgt über diese Schwächung des Staatschefs. Das Land befinde sich in der «schwierigsten Situation» seit Anfang der Neunzigerjahre, als ein Bürgerkrieg tobte. Was nun drohe: Russland könnte mit militärischem Druck einen Rücktritt von Präsident Saakaschwili erzwingen. Wer dann das Ruder übernehmen könnte, ist unklar. Die Opposition ist in zahlreiche Kleinparteien zersplittert. David Usupaschwili befürchtet, der Kreml könnte dieses Vakuum ausnützen – und einen eigenen Mann in Position bringen. «Das wäre nicht akzeptabel», sagt er. «Denn damit würde Moskau die volle Kontrolle über Georgien erlangen.»
Hoffnung auf Burdschanadse
Manche Beobachter sehen nicht ganz so schwarz: Sie spekulieren auf die ehemalige Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse als mögliche Saakaschwili-Erbin. Die Rechtsprofessorin war lange eine enge Vertraute des Präsidenten, hat sich aber – möglicherweise in weiser Voraussicht – im Frühjahr aus der Politik zurückgezogen. Burdschanadse gilt als glühende Patriotin, hat aber gleichzeitig den Ruf, sachlich und kompromissbereit zu sein. Viele in Tiflis trauen ihr zu, dass sie sich mit Russland arrangieren kann – ohne die Interessen Georgiens zu verraten.
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