Der Groove von Münchenstein
Die Basel Sinfonietta schickt ihr Publikum mit dem mitreissenden Orchesterzyklus «Surrogate Cities» in den Sommer.

An kaum einem anderen Ort ist Donald Trump so verhasst wie in seiner Heimatstadt New York. Wenn der US-Präsident in die Metropole kommt, stehen nicht selten Demonstranten bereit und skandieren Parolen wie «New York hates you».
Ein Late-Night-Moderator hat allerdings mal treffend bemerkt, dass der Spruch «New York hasst dich» nicht speziell auf Trump gemünzt sein muss – schliesslich gebe die Grossstadt praktisch jedem Ankömmling, jedem Individuum, das Gefühl, dass er nicht willkommen, schwach und fehl am Platz sei.
Wie ein Schlag ins Gesicht
Dass die Stadt ein hartes Pflaster ist, spürt man auch in Heiner Goebbels' populärem Orchesterzyklus «Surrogate Cities», der am Sonntag auf dem Freilagerplatz in Münchenstein zur Aufführung kam.
Wie ein Schlag ins Gesicht wirkten die ersten, elektronisch verstärkten Tuttiklänge der Basel Sinfonietta. Brachial ging es mitunter auch im mittleren der sieben Sätze, der «Suite für Sampler und Orchester», zu, als Perkussionisten ihre Instrumente mit Ästen traktierten.
Ansingen gegen Töfflärm
Das Moment der Überwältigung ist vom Komponisten gewollt, beim Openair-Konzert kam es zudem zur einen oder anderen akustischen Überraschung: Die Sängerin Jocelyn B. Smith hielt gerade ihre wunderbar soulige Stimme in der Schwebe, zeigte sich nachdenklich ob des vielen zu Unrecht vergossenen Bluts in der Welt – als auf dem Parkplatz nebenan ein Motorroller aufheulte und mit einem Mordslärm davonfuhr. In anderen Worten: Münchenstein hates you.
Die Jazzmusikerin liess sich indes nicht beirren und ihren Ton fein ausklingen. Diese Coolness angesichts von Chaos und Lärm zeichnet nicht nur die Sängerin aus, sondern ist typisch für das Stück als Ganzes. Gewalt wird nicht mit Gegengewalt beantwortet, sondern in treibenden Orchesterrhythmen, Blue Notes oder mit Gesangsakrobatik aufgefangen. Ein Höhepunkt war das Sprachgewirr im Satz «Die Faust im Wappen» frei nach einem Text von Kafka, in dem sich Sänger David Moss höchst virtuos und durchaus amüsant um Kopf und Kragen redete.
Die Partitur von «Surrogate Cities» vereint ganz unterschiedliche Stilelemente und wirkt auf den ersten Blick mit ihrem Filmmusik-artigen Flow nicht besonders anspruchsvoll. Fast beiläufig entdeckt man aber im Verlauf von knapp 90 Minuten Bezüge zwischen scheinbar Grundverschiedenem: Den süssen Schmelz, den Sänger David Moss mit seiner Kopfstimme verbreitet, erkennt man später im Gesang jüdischer Kantoren wieder. Es handelt sich um Schallplattenaufnahmen aus den 20er- und 30er-Jahren, die mittels Sampler eingespielt werden.
Wie eine Stadt entsteht
In diesen hohen, ätherischen Sphären scheinen auch die expressiven Ausbrüche von Jazzsängerin Jocelyn B. Smith nicht weit entfernt zu sein vom Streicherflimmern des Orchesters oder vom elektronisch eingespielten Fernsehton. Es machte sich am Sonntag bezahlt, dass mit Moss und Smith zwei profunde Kenner der Musik auf der Bühne standen. Zudem schaute der 66-jährige deutsche Komponist hinten bei der Technik persönlich nach dem Rechten.
Dirigent Baldur Brönnimann und die Sinfonietta liessen es ihrerseits nicht nur krachen, sondern spürten mit viel Feingefühl klangliche Verbindungen auf – liessen so gewissermassen eine Stadt entstehen. Die Rolle der einzelnen Stimme, des Individuums, blieb dabei ambivalent: Im finalen Satz sprang Sänger Moss mit gespielter Gehetztheit auf die treibenden, rockigen Orchesterrhythmen auf und liess sich von diesen hechelnd zum Ende tragen. Die Sekund-Intervalle, welche das Werk fast wie ein Leitmotiv durchziehen, kündeten sowohl von schöpferischer Spannung als auch von Leid und Schmerz.
Beliebtes Werk
«Surrogate Cities» wurde vor 25 Jahren von der Jungen Deutschen Philharmonie uraufgeführt und seitdem in aller Welt zigfach auf die Bühne gebracht, so etwa als bildstarke Venedig-Hommage oder auch als kinderfreundliches Mitmach-Theater an der Ruhrtriennale.
Im Vergleich dazu wirkte das Openair-Konzert der Sinfonietta auf dem Freilagerplatz fast schon klassisch-schlicht. Das komplett sanierte ehemalige Industrieareal sowie der Sommerhimmel waren fast zu schön, um wahr zu sein – ein traumhafter Saisonabschluss.
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