
Helden existieren, weil wir uns nach ihnen sehnen. An Helden zeigt sich, wozu eine Gesellschaft fähig ist, im Guten wie im Schlechten. Carola Rackete hatte nach zwei Wochen auf See Migranten an Land gebracht. Sie nahm in Kauf, italienisches Recht zu brechen. Die 31-jährige deutsche Kapitänin befürchtete, die Flüchtlinge könnten aus Verzweiflung in den Tod springen. Viele Menschen sehen darin einen heroischen Akt, weil Rackete Leben rettete. Als Einzelperson, die sich gegen ein entwürdigendes System wandte, wurde die Kapitänin zur Heldin. Sie handelte, wie die meisten von uns nie handeln würden.
Bewunderung wurde auch Ieshia Evans zuteil. Im Sommer 2016 entstand das ikonische Bild der 35-jährigen Amerikanerin: An einer Demonstration gegen Polizeigewalt in Baton Rouge blieb Evans plötzlich stehen, in wehendem Sommerkleid vor Polizisten in Vollmontur. Hier eine schwarze junge Frau, die sich in ihrer Kühnheit schutzlos aus der Menge löst, dort bis zur Unkenntlichkeit bewaffnete Polizisten, die Evans sogleich verhaften.
Rackete und Evans heben sich durch ihren Mut ab. Sie nahmen sich die Freiheit, zu tun, was sie für richtig halten. In einer aussergewöhnlichen Situation haben sie Widerstände ausgehalten, und dies macht das Heldentum aus: Heldinnen kämpfen. Sie wollen einen Missstand überwinden. Darin sind sie ausdauernd und konsequent – Tugenden, die ihre Bemühung offenbaren und deshalb glaubwürdig sind. Sie meinen es ernst.
Alles junge Heldinnen
Die 16-jährige Greta Thunberg hat während Monaten regelmässig vor dem schwedischen Parlament für eine bessere Klimapolitik protestiert. Die 33-jährige Fussballerin Megan Rapinoe verklagte den US-Fussballverband wegen Diskriminierung und unterlässt es, die Landeshymne mitzusingen – so lange, bis die Rechte von Schwulen, Lesben und anderen Minderheiten in den USA anerkannt sind. Die 23-jährige Fussballerin Ada Hegerberg, auch sie eine der besten, weigert sich, für das norwegische Nationalteam zu spielen. In ihrem Land werde Frauenfussball zu wenig respektiert.
Alle diese Frauen agieren ausserhalb der politischen Strukturen. Sie sind Vertreterinnen der Zivilgesellschaft. Persönliche Profilierung kann man ihnen nicht vorwerfen: Sie handeln aus Betroffenheit und machen sich höchstens des Idealismus verdächtig. Aber ihre Anstrengung zeigt, was sie für ihre Überzeugung leisten. Sie sind fleissige Arbeiterinnen, keine abgehobenen Moralistinnen.
Die 19-jährige Amerikanerin Emma Gonzáles überlebte 2018 ein Schulmassaker in Florida. Siebzehn Personen starben. In einer viel beachteten Rede schwieg sie sechs Minuten und 20 Sekunden – so lange brauchte der Täter für sein Morden. Seither kämpft Gonzáles gegen die Waffenlobby. Malala Yousafzai fing 2009 an, für die BBC über die Gewalt in Pakistan zu berichten, da war sie 11 Jahre alt. Drei Jahre später überlebte sie einen Mordversuch der Taliban. Mit 17 erhielt Yousafzai den Friedensnobelpreis. Selbst die Schweiz hat ihre Heldin. Es ist mit das Verdienst der damals 26-jährigen Flavia Kleiner und der Operation Libero, dass die Durchsetzungsinitiative 2016 abgelehnt wurde.
Sie geben uns Hoffnung
Diese Frauen haben nicht entschieden, Heldinnen zu sein. Sie werden zu Heldinnen, weil andere ihre ausserordentliche Leistung anerkennen. Teile der Gesellschaft – es werden nie alle sein – attestieren ihnen, dass sie sich für etwas Grösseres einsetzen. Damit anerkennen sie auch die angesprochenen Missstände. Unmenschliche Flüchtlingspolitik, ungenügende Klimapolitik, Rassismus, Homophobie, Gewalt, Diskriminierung und Häme, die neben Verehrung in den sozialen Medien auf die Heldinnen einwirkt: Das ist das Schlechte unserer Gesellschaft.
Der Heroismusforscher Ralf von den Hoff sagt, wir hätten Helden nötig, um mit den Unzulänglichkeiten unserer Zeit besser klarzukommen. «Helden gibt es nur in menschlicher Gestalt. Auf einer abstrakten Ebene würde dieses Konzept nicht funktionieren.» Junge Frauen, gerade wenn sie auch attraktiv oder gar schön sind, bilden den grösstmöglichen Kontrast zur hässlichen Fratze unserer Zeit. Männliche Helden gab es schon immer.Die Frauen aber sind das freundliche Gesicht, zu sehen in den Medien und auf allen Kanälen. Damit sie wahrgenommen werden, braucht es diese Sichtbarkeit. Sie stilisiert die Personen zusätzlich zu heldenhaften Figuren.
Heldinnen können verschwinden. Was blieb von Evans ausser dem ikonischen Bild? Heldinnen haben sich in einer besonderen Tat bewährt. Aber auch eine einmalige Aktion erinnert uns an etwas Wichtiges. Wenn unsere Gesellschaft so schlecht ist, dass sie bei vielem versagt, ist sie immerhin auch so gut, dass sie heroische Gestalten hervorbringt. In diesen Momenten geben die Heldinnen uns Hoffnung. Das ist ihre eigentliche Heldentat.
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Der grösstmögliche Kontrast zur hässlichen Fratze unserer Zeit
Auffallend viele junge Frauen engagieren sich gegen Missstände. Mutig, heldenhaft, ikonisch.