Der Grösste der Geschichte
Superlative sollten sparsam eingesetzt werden. Nicht bei Roger Federer. Eine Würdigung.

Als Roger Federer zum Mikrofon schritt, um seine Siegerrede zu halten, da standen sie alle auf, die 15'000 Zuschauer in der Rod Laver Arena, um dem Maestro die Ehre zu erweisen. Hatten sie ihn, den Liebling der Fans, zuvor in diesem nervenaufreibenden Fünf-Satz-Krimi gegen den alten Rivalen Rafael Nadal stets lautstark angefeuert, wurde es trotz Standing Ovations auf einmal ruhig. Plötzlich herrschte eine fast andächtige Stimmung.
Das Publikum zeigte ein feines Gespür dafür, wie ehrwürdig dieser Moment war, der da gerade passierte und mit dem im Vorfeld niemand gerechnet hatte. Auch Roger Federer nicht. Aber nun stand er wieder ganz oben auf dem Siegertreppchen. Zum 18. Mal bereits auf Stufe Grand Slam, der höchsten im Tennis, aber die Art und Weise, wie es diesmal dazu gekommen war, die Story dahinter: Sie machte diesen Moment zu einem ganz besonderen in der Tennisgeschichte. Ach was, zum besondersten.
Kein Zweifel, dieser Triumph notabene in seinem 100. Match am Australian Open ist schon jetzt, Ende Januar, das Sportereignis des Jahres. Falls da noch etwas Grösseres kommen sollte, es müsste schon Federer selbst sein, der etwas noch Magischeres kreierte. Denn nach dem Erfolg in Melbourne wird der Baselbieter endgültig – falls es denn zuvor noch Zweifel gegeben haben sollte – als GOAT bezeichnet, der «Greatest Of All Time», der Grösste aller Zeiten. Ob das stimmt? Niemand kennt die Zukunft. Sicher ist er aber der Grösste der Geschichte.
Ganz normal
Wie sich Federer in Down Under in diesen zwei Wochen präsentiert hat! Hatte er zu Beginn gegen die beiden Qualifikanten Jürgen Melzer und Noah Rubin verständlicherweise noch ein bisschen Mühe, fand er in der Folge zu seinem besten Spiel. Der Aufschlag? Variantenreich. Die Vorhand? Ein Gewinnschlag. Die Backhand? So gut wie zu den besten Zeiten. Wenn nicht besser. Und all dies bei seinem Comeback. Dem wohl beeindruckendsten, das die Welt wohl je gesehen hat. Nach einem halben Jahr noch stärker zurückzukommen, als sei nichts gewesen – was für Normalos unmöglich wäre, wirkte bei Federer ganz normal.
Das Sportliche ist das eine, Sichtbare. Das Mentale das andere, schwieriger Einzuschätzende. Dennoch ist es naheliegend, dass die Psyche ein mitentscheidender Faktor für den Erfolg gewesen ist. Dreimal musste er, nur als Nummer 1 7 gesetzt, in einen fünften Satz gegen einen Top-Ten-Spieler. Dreimal spielte er im finalen Durchgang noch besser, noch aggressiver, noch näher am Limit. Dieses Selbstverständnis, dieses Selbstvertrauen auch, war in den letzten Jahren nicht immer ersichtlich gewesen. Vor allem gegen Nadal liess es ihn regelmässig im Stich, als er Matches verlor, die er hätte gewinnen müssen, oder schon ohne Glauben an den Sieg in die Partie gestiegen ist. Das mache den Triumph sehr speziell, sagte auch Federer hinterher und es schien, als konnte er noch nicht ganz glauben, was ihm da gelungen war. Es wirkte wie eine Erlösung.
Verständlich. Elf seiner 34 Partien vor dem Endspiel in Melbourne hatte er gegen den Spanier verloren, sechs von acht in Major-Finals. Das prägt. Ist im Unterbewusstsein immer präsent. Wer dann im fünften Satz mit Break zurückliegt, fünf Breakbälle nicht nutzen und die Wende dennoch erzwingen kann – der ist ein Riese seines Fachs. Das mögen Superlative sein, aber bei Roger Federer sind sie gerechtfertigt. Er ist historisch einer der grössten Sportler der Welt, vielleicht der grösste überhaupt. Ein Superstar ist er sowieso, beliebt und gefeiert auf dem ganzen Planeten. Und er bleibt es. Auch im für einen Athleten fortgeschrittenen Alter von 35 Jahren. Was wurde nicht alles gesagt und geschrieben, dass er nicht mehr an die besten Zeiten anknüpfen könne, die grossen Siege Utopie bleiben würden, der Rücktritt nur eine Frage der Zeit sein müsse.
Alles Quatsch. Dieser Roger Federer erfindet sich immer wieder neu und wird das hoffentlich noch lange Zeit tun. Er versprüht so viel Freude auf dem Platz, dass ein schnelles Ende auch gar nicht vorstellbar scheint. Beweisen müsste er ja längst niemandem mehr etwas – die Tatsache, dass er erpicht ist, dies trotzdem zu tun, kürt ihn schon zum Champion. Gewinnt er dann noch Major-Titel, zementiert er seinen Heldenstatus weiter: Als Grösster der Geschichte.
Mit dem 18. Grand-Slam-Titel baut Federer seinen Vorsprung in der wohl wichtigsten Statistik, jener der meisten Major-Siege, weiter aus. Vier Längen Vorsprung weist er nun auf Nadal auf, der 14 Triumphe vorzuweisen hat. Bei einer Niederlage wäre der Stier aus Manacor gefährlich nahe gekommen, nun ist er erst einmal distanziert. Auch das ist Beleg dafür, wie wichtig der Gewinn des Australian Open für Federer in diesem Jahr ist.
Ganz bescheiden
Doch Statistiken sind momentan nicht sexy, viel wichtiger sind die Emotionen. Es ist einfach sympathisch, wie Roger Federer im Erfolg bescheiden bleibt, seinem Konkurrenten Respekt zollt. Dass Nadal dasselbe tut, spricht für das Duo, das das Tennis in der letzten Dekade so prägte. Trotz ihrer Rivalität begegnen sie sich freundschaftlich. Das sind Typen. Das sind Persönlichkeiten, die dem Sport guttun, die der Sport braucht. Sie sind es, die Begeisterung entfachen können, die bei den Fans für Freude und Trauer sorgen. Roger Federer wohl noch etwas mehr, weil er auch auf dem Court immer wie ein Gentleman auftritt. Eine Attitüde, die Nadal etwas abgeht.
Von Novak Djokovic und Andy Murray kann das noch weniger behauptet werden. Ganz egal, wie erfolgreich sie spielen oder wie viel Mühe sie sich geben, beim Publikum anzukommen: Es fehlt ihnen die Grandezza, um im selben Atemzug mit Nadal und Federer genannt zu werden. Das Alter spielt dabei keine Rolle.
Es ist die Art, die Roger Federer so besonders macht. Sein Gesamtpaket ist an Attraktivität nicht zu überbieten. Sportlich ein Virtuose, mit so viel Talent gesegnet, dass man eifersüchtig werden könnte. Doch menschlich wirkt er authentisch, volksnah und geerdet – giftige Worte von Neidern sind deshalb äusserst selten zu vernehmen.
Im Gegenteil, es überwiegt die Freude, diesen Mann spielen zu sehen. Seine nächsten Auftritte werden schon gespannt erwartet. Doch was auch immer kommen mag in diesem Jahr, Roger Federer ist schon der Gewinner. Selbst wenn er nur noch verlieren sollte. Davon kann aber – natürlich – nicht ausgegangen werden. Dennoch sollte jedes Spiel genossen werden.
Umso mehr, als der grosse Sieger seine Rede mit den Worten schloss, dass er sich freuen würde, sähe er die Zuschauer nächstes Jahr wieder – und wenn nicht, sei es eine wunderbare Sache gewesen. Doch von einem allfälligen Rücktritt war bei ihm in dieser rauschenden Nacht nichts zu spüren.
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