Der grösste Börsengang der Welt steht auf der Kippe
Saudiarabien erwägt, den Börsengang seines staatlichen Ölkonzerns Saudi Aramco zu verschieben oder ganz abzublasen. Stattdessen sollen Aramco-Aktien direkt an Investoren – etwa in China – verkauft werden.

Es hätte der mit Abstand grösste Gang eines Unternehmens an die Börse sein sollen. Den damit betrauten Investmentbanken, Anwaltskanzleien und Consultingfirmen wären Gebühren in einem bisher nicht gekannten Masse zugeflossen. Doch nun hat sich die Aussicht auf diesen warmen Geldregen eingetrübt. Es scheint Sand ins Getriebe gekommen zu sein: Saudiarabien trägt sich mit dem Gedanken, die ganze Übung abzusagen oder zumindest bis 2019 zu verschieben, wie die «Financial Times» und das «Wall Street Journal» berichteten. Bislang hatte das Königreich geplant, 5 Prozent des Aktienkapitals an der staatlichen Ölgesellschaft Saudi Aramco im kommenden Jahr an einer der grossen Börsen zu platzieren.
Die seit 2015 verfolgten Börsenpläne könnten auch weiterhin realisiert werden, und die saudische Königsfamilie habe noch keinen definitiven Entscheid gefällt, betonten die beiden Zeitungen. Allerdings hat der «Börsengang des Jahrhunderts» inzwischen erheblichen Verzug. So hätte bereits im Juni bestimmt werden sollen, wo die Aramco-Aktien kotiert werden. New York und London gelten als die meistgenannten Favoriten.
Dämpfer für Kronprinz Salman
Sollte der Börsengang (Initial Public Offering, IPO) von Saudi Aramco tatsächlich gestrichen werden, hätte das auch gewichtige politische Auswirkungen. Galt er doch als Kernelement im ambitiösen Projekt des saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman namens «Vision 2030», die Wirtschaft des Wüstenstaats zu modernisieren und weniger stark vom Öl abhängig zu machen. Mit dem aus dem IPO eingenommenen Geld – Saudiarabien verspricht sich rund 100 Milliarden Dollar – soll der weltweit grösste Staatsfonds ins Leben gerufen werden. Diesem wiederum obliegt es, die erforderlichen Investitionen zu tätigen, um den rund 20 Millionen Saudis – wovon drei Viertel unter 40 Jahre alt sind – Arbeit und Auskommen für die Zeit nach dem Petrodollar-Segen zu sichern.
Gemäss den Zeitungsberichten könnte als Alternative zu einem Börsengang ein direkter Verkauf von Aramco-Aktien an internationale Investoren zum Zuge kommen. In dem Zusammenhang wird insbesondere China als möglicher Interessent genannt, zumal die Volksrepublik zu den wichtigsten Abnehmern von saudischem Öl zählt. Eine derartige Privatplatzierung bei Grossinvestoren hätte aus Sicht der Saudis den Vorzug, dass die Transaktion schneller und einfacher abgewickelt werden könnte.
Stark divergierende Bewertungen
Vor allem aber könnte Saudi Aramco an seiner bisher praktizierten Geheimniskrämerei festhalten. Der in den 80er-Jahren verstaatlichte weltgrösste Ölkonzern legt keine Gewinnzahlen offen. Auch müsste er im Falle einer Kotierung in London oder New York regelmässig Einblick in seine Ölreserven geben und diese von einem unabhängigen Auditor verifizieren lassen. Sie werden auf rund 260 Milliarden Fass veranschlagt, verglichen mit dem nächstgrösseren Ölkonzern Exxon Mobil, der über Ölreserven von rund 20 Milliarden Fass verfügt.
Vom tatsächlichen Umfang der Ölreserven hängt wiederum die Bewertung von Saudi Aramco massgeblich ab. Die Saudis beziffern den Wert ihres Kronjuwels auf über 2 Billionen Dollar, doch haben Experten im Auftrag der «Financial Times» einen solchen von lediglich 1 Billion Dollar errechnet. Sollte ein allfälliger Börsengang markant weniger einbringen, als Kronprinz Salman in Aussicht gestellt hat, wäre das eine Schmach für den starken Mann im Königreich, die gar seine Ambitionen auf den Thron infrage stellen könnte. Mit einer Privatplatzierung – bei welcher der Preis nicht publiziert werden müsste – könnte die Königsfamilie dieses Risiko umschiffen.
Fundamentaler Kulturwandel nötig
Beobachter vermuten indes einen anderen, näherliegenden Grund für die auf der Kippe stehenden Börsenambitionen der Saudis. Die Aufgabe, die zahllosen Bande zwischen Saudi Aramco und der Königsfamilie zu entwirren und sauber zu trennen, könnte sich als viel komplizierter und zeitaufwendiger herausgestellt haben als angenommen. Die Zeiten, in denen der Ölriese als königliche Privatbank herhalten musste, wären nach einem Börsengang ein für alle Mal vorbei. Stattdessen müsste er wie jede andere kotierte Firma die Publizitätsvorschriften der jeweiligen Börse und die Regeln guter Unternehmensführung respektieren, und vor allem wäre er gehalten, alle Aktionäre gleichzubehandeln.
Diesen fundamentalen Kulturwandel innerhalb von drei Jahren zu bewerkstelligen, könnte sich als zu ambitiös erwiesen haben. Daher der Rückgriff auf Plan B, wie er in den beiden Zeitungsberichten umrissen wird: in einem ersten Schritt für 2018 oder 2019 ein Börsengang von Saudi Aramco an der Tadawul-Börse in der saudischen Hauptstadt Riad – wo die Kotierungsanforderungen deutlicher geringer sind –, verbunden allenfalls mit einer Privatplatzierung. Und erst ein Jahr später ein richtiger internationaler IPO. Die Londoner und New Yorker Investmentbanker könnten damit prima leben: Ihr grosser Reibach wäre nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.
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