Der greise Grossayatollah hat gesprochen
Ali al-Sistani, der einflussreichste Geistliche im Irak, hat sich von der Regierung abgewendet. Diese hatte keine Antwort auf Proteste im Land gefunden – ausser brutaler Gewalt.

Das äusserst brutale Vorgehen der irakischen Sicherheitsbehörden gegen regierungskritische Demonstranten in den vergangenen Tagen zwingt Premierminister Adil Abd al-Mahdi zum Rücktritt. Er werde diesen noch am Freitag beim Parlament einreichen, sagte der 77-Jährige in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede. Damit wolle er verhindern, dass das Land in weitere Gewalt und Chaos abgleite, sagte der Regierungschef, der als Kompromisskandidat zwischen proiranischen und prowestlichen Fraktionen ins Amt gekommen war. Der frühere Ölminister hatte zwar Reformen angekündigt, konnte aber die Bevölkerung nicht zufriedenstellen und beugte sich zuletzt dem Druck des Iran und mächtiger proiranischer Milizen, hart gegen die Demonstranten vorzugehen.
Millionen Anhänger
Mahdis Rücktritt war unausweichlich geworden, nachdem der wichtigste schiitische Kleriker im Irak sich gegen ihn gestellt hatte, Grossayatollah Ali al-Sistani. Mit Blick auf Mahdi und dessen Kabinett sagte er in seiner Freitagspredigt, das Parlament sei «eingeladen, seine Wahl zu überdenken».
Sistani, 89, der zurückgezogen in der heiligen Stadt Najaf lebt, hat im Irak Millionen Anhänger und konnte etwa mit einer Fatwa zum Kampf gegen die IS-Terrormiliz Hunderttausende Iraker mobilisieren. Sistani hatte sich schon zuvor auf die Seite der Demonstranten gestellt und deren Forderungen als berechtigt bezeichnet. Er warnte am Freitag eindringlich vor einem neuen Bürgerkrieg und forderte die Regierung auf, die Gewalt gegen die Demonstranten zu stoppen; diese müssten sich aber ebenfalls jeder Form von Gewalt enthalten und «Vandalen» aus ihren Reihen verstossen. Sistani steht der iranischen Präsenz im Irak kritisch gegenüber und lehnt das System der Islamischen Republik ab, also das Prinzip der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten.
Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und den Protestierenden waren von Mittwoch bis Freitagmittag 62 Menschen getötet worden. Damit stieg die Zahl der Todesopfer seit Beginn der Proteste Anfang Oktober auf mehr als 400.
Der Irak befindet sich mitten in der tiefsten politischen Krise seit dem militärischen Sieg gegen die IS-Terrormiliz vor zwei Jahren. Allerdings verlaufen die Konfliktlinien diesmal zumindest bislang nicht zwischen den konfessionellen und ethnischen Gruppen. Schwerpunkt der Proteste ist der überwiegend von Schiiten bewohnte und verarmte Süden des Landes, die Menschen dort richten sich gegen die von Schiiten kontrollierte Zentralregierung in Bagdad, die ihnen als korrupt und inkompetent gilt. Auch richten sich die Proteste zunehmend gegen die Präsenz und den Einfluss des Iran im Land.
Soleimani führt Kabinett
Das Regime in Teheran hatte die Regierungsbildung stark beeinflusst. General Qassim Soleimani, der Kommandant der für Auslandseinsätze zuständigen Quds-Brigaden der Revolutionsgarden, hatte sich persönlich eingeschaltet. Er leitete nach Ausbruch der Proteste auch anstatt des Premiers eine Sitzung des irakischen Sicherheitskabinetts. Zu Beginn der Proteste hatten viele Demonstranten vom Iran kontrollierte Milizen für Angriffe verantwortlich gemacht. Vermummte hatten von Dächern mit scharfer Munition in die Menge gefeuert und Dutzende unbewaffnete Protestierende getötet und verletzt, eine Taktik, die der iranische Sicherheitsapparat bei der Niederschlagung der Proteste dort eingesetzt hatte.
Nun stehen die 329 irakischen Abgeordneten vor der schwierigen Aufgabe, sich trotz der Zersplitterung des Parlaments in zehn Fraktionen auf einen neuen Premier verständigen zu müssen. Erschwert wird dies dadurch, dass kein Lager eine Mehrheit hat und die Fraktionen auf Partner angewiesen sind – was wiederum Klientelwirtschaft begünstigt.
Die Abgeordneten des populistischen Schiiten-Predigers Muqtada al-Sadr, im Parlament die stärkste Gruppe, hatten Mahdi als Premier mitgetragen. Sadr unterstützte jetzt aber die Proteste, seine Anhänger sind massgeblich daran beteiligt. Er war ein Bündnis mit den Kommunisten und säkularen Parteien eingegangen und strebte nach der Wahl 2018 eine Technokratenregierung an. Der Iran lehnte das ab. Sadr will den Iran ebenso aus dem Irak vertreiben wie die USA.
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