Der Geschubste
America first: Montenegros Premier wurde von Donald Trump zur Seite geschoben. Der Balkan-Politiker versucht aber, den Vorfall wegzulachen – und freut sich auf den Nato-Beitritt.

Man kann den ersten Auslandsbesuch von US-Präsident Donald Trump auch so zusammenfassen: In Riad hat er nach einem milliardenschweren Waffendeal das Tanzbein geschwungen, in Israel bezeichnete der Immobilienunternehmer die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem «amazing», als handle es sich dabei um irgendeinen Tower in New York, und bei der Nato in Brüssel schob der Rüpel-in-Chief einen Mann unsanft zur Seite.
Dusko Markovic, so heisst der auf der Bühne der Weltpolitik bisher unbekannte grauhaarige Herr, ist Regierungschef von Montenegro. Er kam letzte Woche zum Nato-Treffen nach Brüssel, um ein wenig zu schnuppern. Voraussichtlich am Montag wird Montenegro die Beitrittsdokumente in Washington hinterlegen und damit auch formell in die Nato als 29. Mitglied aufgenommen. Markovic hatte wahrscheinlich eine andere Willkommensgeste des US-Präsidenten erwartet. In den sozialen Medien wird er nun getröstet: Auch die Balkan-Supermacht Montenegro müsse mit Trumps America-First-Politik leben.
Mann im Mittelpunkt
Dabei wollte Dusko Markovic nie im Rampenlicht stehen. Als Jurist arbeitete er in den 80er-Jahren für eine Blei- und Zinkmine im Norden Montenegros, wo er 1958 geboren wurde. Im Zuge der jugoslawischen Zerfallskriege übte er verschiedene Funktionen in der Regierung in Podgorica aus – bis er 1998 Geheimdienstchef wurde. Der treue Gefolgsmann des langjährigen Herrschers Milo Djukanovic gilt als Hüter aller montenegrinischen Geheimnisse. Dazu gehört vermutlich auch das Wissen über den gigantischen Zigarettenschmuggel von der montenegrinischen Adriaküste in die EU-Staaten in den 90er-Jahren. Die illegalen Geschäfte haben auch die italienische, die deutsche und die Schweizer Justiz beschäftigt.
Das Kapitel scheint abgeschlossen. Darüber möchten jedenfalls weder EU-Diplomaten noch Nato-Verantwortliche offen reden. Nicht jetzt. Die winzige Balkan-Republik spielt im geostrategischen Powerplay zwischen dem Westen und Russland eine nicht ganz unwichtige Rolle. Der Kreml ist empört, dass Montenegro Mitglied des westlichen Verteidigungbündnisses wird. Kurz vor den montenegrinischen Wahlen im vergangenen Herbst wollten russische Nationalisten und serbische Söldner offenbar die Regierung in Podgorica stürzen und den damaligen Premier Djukanovic ermorden. Das Komplott wurde aufgedeckt, die Polizei nahm mehrere Verdächtige fest.
Der Kreml weist den Vorwurf des Putschversuchs zurück – und hat einen Importstopp für montenegrinische Weine verhängt. Am Wochenende wurde auf dem Moskauer Flughafen ein führender Politiker der regierenden Sozialisten in Montenegro festgehalten und an der Weiterreise nach Weissrussland gehindert. Das russische Aussenministerium sprach offen von einer Vergeltungsmassnahme, weil sich Montenegro den EU-Sanktionen gegen Russland angeschlossen habe.
Angesichts dieser Drohungen aus dem Kreml versucht Regierungschef Markovic den Vorfall mit Trump wegzulachen. Es sei völlig normal, dass sich Trump als Chef der grössten Militärmacht der Welt nach vorne gedrängt habe, sagte er gegenüber montenegrinischen Medien. Sein Land bleibe den USA freundschaftlich verbunden, so Markovic.
Die Stärke der montenegrinischen Armee ist sehr bescheiden: Sie hat etwa 2000 Soldaten, vier halbwegs funktionsfähige Helikopter, ungefähr 60 stillgelegte Panzer, 10 Kriegsschiffe und Boote.
Das Land mit 623'000 Einwohnern ist aus einem anderen Grund wichtig für die Nato: Mit der Mitgliedschaft Montenegros übernimmt das westliche Verteidigungsbündnis die Kontrolle über den letzten und strategisch wichtigen Küstenabschnitt in der Adria. Nato-Schiffe können jetzt von Gibraltar bis in die Türkei überall anlegen. So versucht die Allianz den russischen Drang ans Mittelmeer zu erschweren.
Nato-Beitritt spaltet die Bevölkerung
Die Bevölkerung Montenegros ist in der Frage des Nato-Beitritts in zwei Lager gespalten. Während die Regierung mit ihren Anhängern den Westkurs forciert, lehnen prorussische und proserbische Kräfte die 2006 ausgerufene Unabhängigkeit des Landes ab. Russische Oligarchen haben in den letzten Jahren viele Immobilien an der montenegrinischen Küste gekauft und kontrollierten zeitweise auch die Industriebetriebe.
Den Zwergstaat Montenegro und Russland verbindet eine enge historische Bande. Im 19. Jahrhundert unterstützten die Herrscher in St. Petersburg den Widerstand der christlich-orthodoxen Montenegriner gegen das Osmanische Reich. Auf dem Berliner Kongress 1878 gelang es König Nikola, das Territorium des Königreichs Montenegro zu verdoppeln. Der Monarch erwarb sich den Titel «Schwiegervater Europas», weil er seine Töchter sehr geschickt verheiratete. Eine Tochter ehelichte Victor Emmanuel III. von Italien, der 1900 König wurde. Zwei weitere Töchter heirateten russische Erzherzöge in St. Petersburg. Um seine ewige Freundschaft zum grossen slawischen Bruder unter Beweis zu stellen, erklärte Nikola 1904 Japan den Krieg.
Viele Balkanreisende sahen die Montenegriner als sagenumwobenes und aufständisches Bergvolk mit einer unbegrenzten Waffenliebe. Als der berühmte Reporter Egon Erwin Kisch 1913 Montenegro bereiste, hörte er Gewehrschüsse aus den Tälern in der Nähe der damaligen Hauptstadt Cetinje. Auf die Frage, ob auf dem Balkan schon wieder ein Krieg ausgebrochen sei, antwortete sein Führer, es gebe keinen Grund zur Panik: Es seien montenegrinische Jugendliche unterwegs, um mit russischen Gewehren kleine Fische in den Gebirgsbächen zu schiessen. Diese Zeiten sind längst vorbei. Die neuen Flinten für seine Armee bekommt Premier Dusko Markovic von der Nato.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch