«Der Frankenkurs muss vorangehen»
Der frühere Vizedirektor der Nationalbank hält es für unrealistisch, dass die Nationalbank den Mindestkurs glaubwürdig anheben kann, solange sich in der Eurokrise nichts zum Besseren wendet.

Herr Blattner, Nationalbank- Präsident Philipp Hildebrand stellt in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» erneut weitere Massnahmen in Aussicht, wenn es Wirtschaftsaussichten und deflationäre Entwicklung erfordern. Plant er, die Euro-Untergrenze anheben? Das dürfte vielerorts, besonders von den Exporteuren, sicher so interpretiert werden. Die Frage stellt sich jedoch, ob eine Anhebung auch realistisch ist. Verschlechtert sich die Stabilität des Euros, etwa wegen einer politischen Krise in Italien, muss die Nationalbank zufrieden sein, wenn sie die Untergrenze von 1.20 Franken pro Euro halten kann. Eine Untergrenze von 1.30 Franken halten Sie also für unrealistisch? Ein solcher Schritt würde die Frage aufwerfen, weshalb die SNB nicht schon bei der Einführung der Untergrenze im September 1.25 oder 1.30 Franken anvisiert hat. Die Nationalbank selbst sagt ja, sie habe sich auf 1.20 Franken pro Euro festgelegt, weil sie diese Untergrenze glaubhaft verteidigen kann. Nochmals: Eine Untergrenze von 1.30 Franken wäre unrealistisch? Völlig unrealistisch ist das nicht. Wir haben ja beobachtet, dass der Kurs zwischenzeitlich auf 1.24 Franken gestiegen ist. Auf eine solche Kursentwicklung hofft die Nationalbank natürlich. Wenn die Entwicklung auf diesen Pfad zurückkehrt, dann kann die Nationalbank durchaus den Pflock bei 1.25 Franken einschlagen. Zwingende Voraussetzung ist aber, dass der Kurs vorangeht und 1.25 Franken überschreitet. Läuft der Markt dagegen in die umgekehrte Richtung, erscheint mir eine Anhebung der Euro-Untergrenze schwieriger. Angenommen die SNB würde morgen die Untergrenze auf 1.25 anheben: Hätte sie Glaubwürdigkeit und Mittel, das durchzusetzen? Die Nationalbank müsste begründen, weshalb sie heute in der Lage ist, eine Untergrenze von 1.25 Franken zu verteidigen, nachdem sie sich dies noch im September nicht zutraute. Dies würde etwa voraussetzen, dass sich Italien erholt und Berlusconi einer soliden Regierung Platz macht (lacht). Bis jetzt hat man den Eindruck, dass es der SNB relativ leichtgefallen ist, die Untergrenze von 1.20 Franken pro Euro zu verteidigen? Diesen Eindruck habe ich auch. Das spricht aus meiner Sicht dafür, dass die SNB jetzt nicht übereilt handeln, sondern zuwarten sollte, bis sich der Franken-/Euro-Kurs von selber korrigiert. Mit 1.20 Franken ist der Kurs sicher noch stark unterbewertet. Solange es im Euroraum zu keiner Katastrophe kommt und damit die Fluchtwährung Franken plötzlich wieder attraktiver würde, dürfte sich der Franken von allein in Richtung 1.25 bewegen. Wieso das? Aus drei Gründen. Erstens besteht eine glaubwürdige Untergrenze. Wer auf einen starken Franken spekuliert, muss mit entsprechendem Widerstand durch die SNB rechnen. Zweitens ist zwar trotz der aufgeblasenen Bilanz der Nationalbank nicht mit einer baldigen Inflation zu rechnen. Mittel- bis langfristig dagegen ist die Preisstabilität nicht automatisch gesichert. Jedenfalls werden die Märkte das Risiko einer Inflation berücksichtigen. Vor allem und drittens wird sich die Einsicht durchsetzen, dass die Schweizer Wirtschaft unter einem fortgesetzten Aufwertungsdruck des Franken Schaden nehmen wird. So kann die Schweiz kein sicherer Hafen mehr sein. Die Erwartung einer höheren Inflation könnte also zu einer Schwächung des Frankens führen? Richtig. Allerdings bleibt es die Aufgabe der Nationalbank, die Inflation unter Kontrolle zu halten. Dass sie das kann, hat sie bisher bewiesen. Könnte die jüngste Entlassungswelle den Entscheid der SNB beeinflussen, die Untergrenze anzuheben? Das kann ich mir nicht vorstellen. Es handelt sich bei der momentanen Situation ja nicht nur um ein Wechselkurs-, sondern auch um ein Konjunkturproblem. Von der Nationalbank neben der Bekämpfung der Frankenstärke auch noch konjunkturelle Massnahmen zu verlangen, geht sehr weit. Die SNB ist primär für die geldpolitische Stabilität zuständig. Allein mit der Ausdehnung der Geldmenge lässt sich die Konjunktur nicht ankurbeln. Hildebrand spricht immer wieder von einer Deflationsgefahr. Wie gross ist das Risiko im Moment? Wie gross die Gefahr einer Deflation tatsächlich ist, ist umstritten. Von einer Deflation spricht man, wenn die Preise über eine längere Zeit sinken. Kurze Phasen tieferer Preise reichen für eine Deflation nicht aus. Vielmehr braucht es dazu einen umfangreichen und hartnäckigen Angebotsüberhang beziehungsweise einen Nachfragemangel. Und das sehen Sie im Moment nicht? Vorläufig nicht. Aber natürlich besteht das Risiko, dass eine stärker als erwartete Verschlechterung der Weltwirtschaft das Bild verändert.