Der entscheidende Unterschied zur Sowjetunion
Die Wirtschaft Russlands erinnert an die Zeiten des Kommunismus. Und dennoch ist die Ausgangslage heute ganz anders – was Wladimir Putin verletzlich macht.
Das Vorgehen von Putins Russland in den letzten Tagen weckt Erinnerungen an die Sowjetunion und den Kalten Krieg. Das wirft aber auch die Frage auf, wie stark sich das heutige Russland wirtschaftlich mit der alten Sowjetunion vergleichen lässt und was ein solcher Vergleich über den möglichen weiteren Verlauf der Krise aussagt.
In seiner Ausgabe von Anfang Februar kam das britische Wirtschaftmagazin «Economist» zum Schluss, dass zwischen der Sowjetunion 1980 und der heutigen Lage in Russland tatsächlich eine Reihe von Parallelen bestehen: Allen voran die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Ölpreis: Weil damals der Rohstoff, von dem das Land bis heute hauptsächlich lebt, besonders teuer war, finanzierten die Einkünfte daraus einen überdimensionierten und ineffizienten Staatsapparat und die Importe von Getreide und Kleidern. Diese Einkünfte verdeckten so vorübergehend auch die katastrophale Lage der Binnenwirtschaft. Der Einbruch des Ölpreises hatte dann einen wesentlichen Anteil am Zerfall des Sowjetsystems.
Noch höherer Anteil der Öl- und Gasexporte
Im heutigen Russland ist der Anteil der Öl- und Gasexporte an den Gesamtexporten mit 75 Prozent sogar noch höher als im Jahr 1980, als der Anteil 67 Prozent betrug. Und auch heute überdeckt der Geldregen daraus die tiefen strukturellen Probleme des Landes. 45 Prozent von allem, was die Russen kaufen, stammt aus dem Ausland. Noch im Jahr 2005 hat für Russland ein Ölpreis von 20 Dollar pro Fass gereicht, um das Staatsbudget auszugleichen, jetzt braucht es dafür einen Preis von 103 Dollar pro Fass. Aktuell notiert der Preis der Sorte Brent bei rund 110 Dollar pro Fass. Der Staat ist wie in der Zeit der Sowjetunion der grösste Arbeitgeber des Landes und kontrolliert die Wirtschaft. Banken, Medien, natürliche Ressourcen und Infrastruktur stehen unter seiner Kontrolle.
Russland investiert in Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) sogar weniger in produktive Anlagen, als es noch die alte Sowjetunion getan hat. Kein Wunder entspricht die Produktivität der russischen Wirtschaft weniger als der Hälfte des Niveaus in Europa. Das Geld fliesst in den Konsum, der stärker wächst als das BIP, weshalb auch die Leistungsbilanzüberschüsse trotz dem anhaltend hohen Ölpreis immer kleiner werden.
Lähmender Einfluss des Staates
Nach wie vor besonders ineffizient ist der Staat: In den 2000er-Jahren hat sich die Anzahl der Bürokraten in Russland fast verdoppelt. Die Leitung der grossen Unternehmen wird wie in der Sowjetunion nicht nach Kompetenz vergeben, sondern nach politischen Kriterien. Die Oligarchen unter Putin sind meist seine ehemaligen Kollegen vom Geheimdienst KGB.
Und doch bestehen wesentliche Unterschiede zwischen dem heutigen Russland und der einstigen Sowjetunion: Unterschiede, die das Land aber bei Auseinandersetzungen mit dem Westen anfällig machen. Anders als die einstige kommunistische Sowjetunion ist das heutige Russland ein kapitalistischer Staat und als solcher eng eingebunden in die Weltwirtschaft.
Eingebettet in den Kapitalismus
Der deutliche Zerfall von 11 Prozent des Moskauer Index Micex am Montag ist Zeuge davon. Auf Meldungen, dass Präsident Putin seine Truppen teilweise wieder zurückzieht, hat der Index am Dienstagmorgen immerhin wieder um 2,5 Prozent zugelegt. In- und ausländische Investoren wollen ihr Geld in dieser Krise lieber im Ausland als in Russland anlegen. Das zeigt sich auch im Wert des heute an den internationalen Devisenmärkten gehandelten Rubel, der ebenfalls auf ein historisches Tief eingebrochen ist. Die Währung ist bereits in den letzten Monaten unter Druck geraten.
Um dadurch eine noch weiter steigende Inflation zu verhindern – sie beläuft sich bereits auf rund 6 Prozent – hat die russische Notenbank als Notmassnahme den Leitzins um 1,5 Prozent auf 7 Prozent erhöht und 10 Milliarden Dollar an Währungsreserven gegen Rubel verkauft. Immerhin hat sich das Land dank einem durch die Öleinnahmen geäufneten Staatsfonds hier mit rund 500 Milliarden Dollar ein Polster zugelegt, das spekulative Angriffe auf die Währung verhindern dürfte.
Angesichts deutlich schlechterer Wirtschaftsaussichten als noch vor wenigen Jahren sind höhere Zinsen und sinkende Aktienvermögen ein Giftgemisch für die wirtschaftliche und politische Stabilität. Besonders betroffen sind staatliche Giganten wie Sberbank. Die grösste russische Bank verlor am Montag 15 Prozent an der Moskauer Börse und damit so viel wie seit dem Höhepunkt der Finanzkrise nicht mehr. Die Bank ist besonders stark von der Flucht aus dem Rubel betroffen.
International vernetzte Elite
Die russische Elite ist von dem Vermögensverlust an der Börse besonders betroffen. Sie nutzt heute auch all die Annehmlichkeiten im westlichen Kapitalismus, sie legt da ihr Geld an und reist selbst für Wochenendtrips in die dortigen Metropolen. Eine drastische Verschärfung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen ist daher nicht in ihrem Interesse. Dass selbst ukrainische Oligarchen die russischen darauf aufmerksam gemacht haben, welche Nachteile sie durch eine Verschärfung der Krise zu gewärtigen haben, zeugt davon.
Die enge wirtschaftliche Verflechtung von Russland mit dem Westen bedeutet allerdings auch, dass auch dort allzu harte Sanktionen mit Nachteilen verbunden sind. Noch immer sind viele westliche Konzerne stark daran interessiert, im russischen Markt noch weiter Fuss zu fassen. Kein Wunder haben auch viele von ihnen durch die Krise an der Börse Federn lassen müssen.
Die Tatsache, dass wirtschaftlich ein Konflikt mit dem Westen Russland Schaden würde, ist mit einem Blick auf die Geschichte ohnehin nicht allzu beruhigend. Länder haben sich weder davon, noch von Sanktionen abbringen lassen, Kriege zu führen, wenn andere Motive überhandgenommen haben und sich die Dynamik nicht mehr umkehren liess. Das berühmteste Beispiel ist der Erste Weltkrieg, der den europäischen Ländern enormen wirtschaftlichen Schaden zugefügt hat, weshalb viele zuvor überzeugt waren, dass es deshalb gar nicht zu einer solchen Katastrophe kommen könne.
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