EM-Final der FrauenDer doppelte Sieg der «Löwinnen»
Der Titelgewinn des englischen Nationalteams im Wembley könnte ein neues Kapitel in der Fussballgeschichte des Landes aufschlagen.

Für Engländer und Engländerinnen, denen Nationalstolz alles ist, war die Sache sehr simpel am Sonntagabend. Sie wünschten sich am Ende nur eins. Nämlich dass die «Lionesses», ihre Löwinnen, die Opposition aus Deutschland mit einem kollektiven Prankenhieb zur Strecke bringen würden – damit erstmals nach so vielen Jahren wieder ein Pokalsieg auf der Insel zu feiern wäre.
Da das den Männern bei der Euro 2020 nicht gelungen war, fiel die «historische» Aufgabe jetzt den Frauen zu, im Wembley-Stadion. Zumal in einem Spiel gegen Germany, die alte Nemesis. «England expects», England erwartet Grosses, hatten schon am Sonntagmorgen die Boulevardblätter getönt, mit viel rot-weissem Fahnenschwenken und Löwengebrüll.
Und am Ende erfüllten «die Löwinnen» die Erwartungen mit Bravour. Sie besiegten nach einem spannenden 120-Minuten-Match das deutsche Team – und lösten damit landesweiten Jubel, nationale Begeisterung aus. Dabei bestand kein Zweifel daran, dass die englische Seite schon vorm Anpfiff und unabhängig vom Ausgang der Partie einen ganz bemerkenswerten Erfolg errungen hatte bei diesem Turnier.
Denn als England noch bei der allerersten Europameisterschaft der Frauen 1984 das Endspiel gegen Schweden bestritt, hatten sich im Provinzstadion von Luton gerade mal 1000 Zuschauer versammelt. Von den Medien wurde jenes Spiel vollkommen ignoriert.
Diesmal fand das Spiel auf dem heiligen Rasen unterm Wembley-Bogen statt, vor fast 87’000 Menschen. Eigens zur Anfeuerung des deutschen Teams war Bundeskanzler Olaf Scholz angereist. Und dem heimischen Team stärkte Prinz William den Rücken. Eine kleine Flugstaffel der Royal Air Force, mit rein weiblicher Besatzung, erwies den Spielerinnen und ihrem Publikum die Ehre, vor Beginn des Spiels.
Begeisterung in ganz Grossbritannien
Den Stellenwert dieses Spiels unterstrich die Aufregung, die sich binnen kurzer Zeit verbunden hat mit dem Fussball der Frauen in Grossbritannien. Das gesamte Turnier wurde von der BBC übertragen. Zum Endspiel sollen sich über zehn Millionen Zuschauer eingeschaltet haben. Auch in Parks und Pubs war das Spiel auf Bildschirmen zu sehen.
Begeisterung hat Euro 2022 vor allem unter Mädchen ausgelöst, die nun selbst zum Spielen drängen. Einen solchen Effekt hat diese EM gewiss weit über die Grenzen des Gastgeberlandes hinaus. Aber in England selbst, das Fussball lange als reine Männersache betrachtete, nimmt sich das Ganze wie ein plötzlicher sozialer Durchbruch, wie ein neues Kapitel in der Fussballgeschichte des Landes aus.
Ob es das nun auch sein wird, bleibt natürlich abzuwarten – trotz des Wembley-Spektakels, trotz des sommerlichen Erfolgs. Die «normalen» Spiele der Saison sind bisher noch immer vergleichsweise schlecht besucht gewesen. Spielerinnen müssen mit wesentlich niedrigeren Einkünften als ihre männlichen Kollegen rechnen. Und in den Schulen des Landes ist Fussball für Mädchen im Rahmen des Sportunterrichts nur sehr begrenzt im Angebot.
Die Hoffnung ist nun, dass die kampflustigen «Löwinnen» mit ihrem Titelgewinn eine neue Generation von Fans zu eigenem Engagement motiviert haben – und dass es ihnen gelingt, Fussball-Administratoren wie Öffentlichkeit bei sich daheim zum Umdenken zu bringen. Mit dem Prinzen auf der Tribüne, der Flugstaffel am Himmel und dem Rummel allerorten haben sie ja keinen schlechten Anfang gemacht.
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