Der deutsche Koch in der Kronenhalle
Die berühmt-berüchtigte Kronenhalle bleibt während mehrerer Wochen geschlossen. Auch Küchenchef und Autor Vincent Klink hat das Traditionslokal schon besucht. Und darüber eine Kurzgeschichte geschrieben.

Es ist schon eine Weile her, da fuhr ich mit meiner Frau extra nach Zürich, um in der Kronenhalle zu essen. Gleich am Bellevue gelegen, ist dieser Ort ganz und gar kein normales Gasthaus und noch weniger ein übliches Restaurant. Sicher, wer das erste Mal hier andockt, sieht all die Insignien, die einen gediegenen Speisesaal ausmachen: edles, altes Holz, herrschaftliche Ausstrahlung. Quer den Raum zur Küche abschliessend, macht sich ein Schankbüffet von gewaltigen Ausmassen breit. Sparsame Ornamente des Jugendstils sind in dunkles Mahagoni eingelassen und wie die ganze Örtlichkeit von unzähligen teuren Havannazigarren patiniert. Hinterm Tresen hantiert mit schnellen Handgriffen eine feine Dame in weisser Bluse, mit schwarzen Haaren und vollen Lippen. David Hockney hätte nach seinen Pinseln geschrien. Die Dame sieht nach dem Rechten, schenkt immer wieder ein Glas Bier ein, richtet die Weine in den Silberkühlern und wischt ständig mit einem Tuch ihren Kommandostand. Die Herren Ober, die Servierdamen, allesamt in gediegenem Schwarz, hier werkelt professionelles Personal, ist seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten Teil des Ganzen. Es liegt etwas Erhabenes im Speisenduft. Es riecht nicht nach Frittüre, sondern nach Boeuf Bourgignon und gehobenem Bürgertum der besonders feinen Art. Gedämpftes Gemurmel hängt im Raum, und aus irgendeiner Ecke mäandert ein dünner Faden Havannarauch über die Köpfe der Gesellschaft. Seit dreissig Jahren komme ich hierher. Erst lasse ich die Voiture vorfahren. Nach wie vor ist es spannend, wenn der befrackte Ober, aussehend wie ein Pinguin, die silberne Cloche dieses beheizten Servicewagens lupft, um vielleicht ein Stück Roastbeef absäbeln. Jeden Tag kommt aus diesem uralten gedrechselten Fahrzeug eine andere Köstlichkeit: mal Hähnchen, mal Kalbshaxe, mal Bollito misto, also gemischtes Gekochtes von Rind, Huhn oder Kalb, und manchmal auch Missglücktes. Mal wurde an der Speise das Würzen vergessen, mal ist alles etwas ausgekühlt. Der Wagen ist ein kulinarisches Abenteuer und die reine Freude für Leute, die ihr Genussstreben nicht von Kleinlichkeiten beinträchtigen lassen.