Cup-Blamage gegen ZweitligistDer BVB bestätigt sein eigenes Klischee
Beim 1:2 gegen St. Pauli fallen die Dortmunder erneut in ein tiefes Leistungsloch. Das Scheitern legt wieder einmal die grossen Probleme des Clubs offen.

Marco Rose schien nicht unglücklich darüber, dass er den Ort des Ungemachs zeitnah verlassen durfte. Der Trainer von Borussia Dortmund hatte auf dem Podium geduldig die Fragen der Journalisten beantwortet, er hatte über Taktik geredet und über fehlenden Esprit, er hatte das vorangegangene Spiel einen «Pokal-Nicht-Fight» genannt und über fehlende Konstanz geklagt. Dann die Erlösung: Rose erhielt die Nachricht, dass der BVB-Bus abfahrbereit auf dem Parkplatz stehe, weshalb er jetzt auch dringend los musste, raus aus dem Hamburger Millerntor-Stadion und per Nachtfahrt zurück nach Westfalen.
Der Coach winkte pflichtbewusst in die Kamera, er winkte dem St.-Pauli-Trainer Timo Schultz – und damit war es dann auch formell besiegelt: Der BVB verabschiedet sich im Achtelfinal des DFB-Pokals, nach einer verdienten 1:2-Niederlage am Dienstag bei dem an diesem Abend erstklassigen St. Pauli.
Das Problem ist nur, dass der FC St. Pauli sein Rebellentum offiziell in der zweiten Liga auslebt, und das nächste Problem ist, dass die Dortmunder schon auch ihren Teil zu dieser Verschiebung auf dem Kräfteverhältnisse-Barometer beigetragen haben. Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass der Titelverteidiger sich um die Möglichkeit gebracht hat, den Wettbewerb zweimal in Folge zu gewinnen.
Der BVB vergibt eine goldene Chance auf einen Titel
Und das in einer Cup-Saison, in der die lästigen und dauerdominanten Bayern im Januar schon raus waren. Die Dortmunder haben sich deshalb um eine recht komfortable Busfahrt zum Final nach Berlin gebracht, was von enormer Wichtigkeit gewesen wäre, da die attraktiven Reiseziele Mailand und Madrid aufgrund des Ausscheidens in der Champions-League-Vorrunde auch schon nicht mehr angesteuert werden.
Et voilà: Der BVB bestätigt mal wieder sein eigenes Klischee.
So ähnlich formulierte es nach der Niederlage auf St. Pauli der Trainer Rose, der auch nicht so ganz verstehen konnte, was mit seiner Mannschaft seit dem fulminanten 5:1-Sieg am Freitag gegen Freiburg passiert war. Mal wieder sind die Dortmunder in ein unerklärliches Leistungsloch gefallen, als es eigentlich super für sie zu laufen schien, im genau falschen Moment also, denn sie hatten sich in den vergangenen Wochen als stabiles Gefüge präsentiert und sich in der Liga den Status als zumindest halber Herausforderer des FC Bayern zurück erkämpft.
Das frühe Scheitern befeuert natürlich wieder jene Debatten, die unter dem in der Branche beliebten Fachbegriff «Mentalität» geführt werden. Und das aktiviert bei Erling Haaland womöglich genau jene Hirnregionen, in denen sich Spitzenstürmer ihre Gedanken machen über Offerten von echten Spitzenclubs, die per Vereinssatzung zu regelmässigen Titelgewinnen verpflichtet sind.
«Wir sind zu inkonstant», sagte Rose, diesen Vorwurf müsse man sich «anhören» und «gefallen lassen». An so einem Abend müsse man eben mit «viel Wucht, viel Power, viel Tiefe» auftreten – also genau so, wie es Rose zufolge nur die aufmüpfigen Paulianer getan hatten. St. Pauli führte der Partie bewusst jenes archaische Element zu, das laut Drehbuch erforderlich ist für einen Favoritensturz. Aber auch das Drehbuch hatte es gut gemeint mit St. Pauli, da es die Gastgeber nach vier Minuten durch Stürmer Etienne Amenyido in Führung gehen liess und ihnen auf diese Weise gleich mal ein wichtiges Signal sendete: Seht her, liebe Underdogs, die Dortmunder sind verwundbar heute Abend!

Die Paulianer hatten verstanden. Sie versetzten den BVB in einen permanenten Stresszustand, je nach Aufenthaltsort des Balles entweder mit einem mutigen Pressing, einem rigorosen Defensivverbund oder mit ambitionierten Vorstössen. Und da es das Drehbuch so wollte, liess es nach 40 Minuten die so indisponierten wie uninspirierten Dortmunder durch den Mittelfeldmann Axel Witsel ins eigene Tor treffen.
Selbst nach Haalands Treffer folgte kein Aufbäumen
Nach 40 Minuten stand es 2:0 für den Zweitligisten, die Zutatenliste für die Cup-Sensation war jetzt nahezu vollständig. Über die Details berichtete Trainer Rose selbst: keine Breite auf den Flügeln, eine mangelhafte Besetzung der Schnittstellen, eine unnötige Fahrigkeit im Spielaufbau – und das gegen eine Gruppe von Fussballern, deren oberstes Ziel es war, bei Dienstende möglichst viele Fleisssternchen eingesammelt zu haben.
Beeindruckend für alle St.-Pauli-Fans und bedrückend für alle BVB-Anhänger war überdies, mit welcher Gleichgültigkeit St. Pauli den Dortmunder Anschlusstreffer zur Kenntnis nahm: Stürmer Haaland verwandelte einen Handelfmeter in der 58. Minute. Aber ein richtiges Aufbäumen? Eine kollektive Energieleistung, um die wohl einzige Titelchance der Saison zu wahren? Eher nicht. «Es war ein komplett schlechter Tag von uns», sagte Captain Marco Reus, der für diese Analyse sicher keine Abmahnung aus der Führungsetage des Clubs befürchten muss.
Der Dienstagabend wird in Dortmund nun alle Diskussionen zuspitzen und neu belichten, vom Ergebnis am Samstag gegen Hoffenheim könnte abhängen, ob sich das Cup-Aus als Schwächeanfall zur Unzeit verharmlosen oder ob es doch tiefer blicken lässt. «Wir haben unsere Aufgabe nicht erfüllt», lautete das Fazit von Rose.
Einen kleinen Triumph hat diese Cuprunde immerhin hervorgebracht: St. Pauli darf sich nicht mehr nur mit dem inoffiziellen Titel «Weltpokalsiegerbesieger» schmücken, seit es 2002 die Bayern am Millerntor schlug. Die Hamburger sind jetzt auch ein DFB-Pokalsiegerbesieger.
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