Zu viele Lastwagen in den Alpen«Der Bundesrat vertröstet wiederum auf später»
Die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene verfehlt das gesetzliche Ziel seit Jahren. Der Bundesrat präsentiert neue Massnahmen – der Verein Alpen-Initiative will diese «Pflästerlipolitik» stoppen.

Eigentlich dürften heute nur 650’000 Lastwagen pro Jahr die Alpen queren. So will es das Gesetz. Doch vom Ziel ist die Schweiz weit entfernt. Nun versucht der Bundesrat, die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene zu beschleunigen. Kritiker zweifeln am Erfolg – und machen eigene Vorschläge.
Grundlage für die heutige Verlagerungspolitik von Strasse auf die Schiene ist die Alpeninitiative, die 1994 angenommen wurde. Das gesetzliche Maximum an Lastwagenfahrten pro Jahr gilt seit 2018, zwei Jahre nach der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels.
Doch selbst mit dem Corona-bedingten Einbruch 2020 kam man nicht mal in die Nähe dieser Zahl: Es waren noch immer über 860’000 Lastwagen.
CO₂ als neues wichtiges Kriterium
Die Alpen-Initiative gibt es heute noch als Organisation. Und sie macht klar: «Noch immer queren 30 Prozent mehr Lastwagen die Alpen als gesetzlich erlaubt. Schluss mit der Pflästerlipolitik», heisst es in einer Mitteilung. Darum müsse der Bundesrat nun die Notbremse ziehen.
Für den Bundesrat ist klar: Die bisherigen Massnahmen, die man zur Verlagerung getroffen hat, funktionieren. Aber: «Wir sind noch nicht dort, wo wir sein sollten», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga an einer Pressekonferenz.
Der Bundesrat will deshalb vor allem bei der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) den Hebel ansetzen. Dort soll der CO₂-Ausstoss zum wichtigsten Pfeiler der Abgabehöhe werden. Bisher waren es Normen, die etwa beim Feinstaubausstoss ansetzen. Zudem will er den Fokus stärker auf den Binnenverkehr setzen. Denn dort stagnieren die Zahlen seit Jahren, nur der Transitverkehr konnte nach und nach reduziert werden. Zudem soll klar definiert werden, wie lange Elektro- und Wasserstofffahrzeuge noch von der LSVA befreit sind. Dies, um den Transporteuren bei der Umstellung auf CO₂-ärmere Lastwagen eine Sicherheit zu bieten.
Eine konkrete Massnahme, die sogenannte Rollende Landstrasse (Rola), soll zudem bis 2028 unterstützt werden. Bisher sollte das Angebot, das Lastwagen auf die Schiene bringt, nur bis 2023 mitfinanziert werden.
«Wir befinden uns seit spätestens 2018 in einem illegalen Zustand.»
Der Bündner SP-Nationalrat Jon Pult, Präsident der Alpen-Initiative, sagt: «Das Problem ist das Tempo. Erst 2023 soll zum Beispiel die Weiterentwicklung der LSVA vorliegen, das ist einfach zu langsam.» Die Organisation hinter der Alpeninitiative habe nun endgültig die Geduld verloren.
«Wir befinden uns seit spätestens 2018 in einem illegalen Zustand. Und der Bundesrat bringt wieder keine Vorschläge, die kurzfristig wirken, er vertröstet wiederum auf später», sagt Pult. Trotzdem sei die Verlagerungspolitik insgesamt ein Erfolg, der Trend stimme. Tatsächlich wurden die alpenquerenden Fahrten in den letzten Jahren in der Tendenz weniger.
Der Alpen-Initiative gehen die Vorschläge des Bundesrats zu wenig weit. Auch für sie ist der Fokus auf den Binnenverkehr wichtig. Deshalb schlägt die Organisation vor, dass ein Verlagerungsziel für Import-, Export- und Inlandgüterverkehr festgelegt wird. Gleichzeitig sollen die Preise für die Benutzung der Schiene sinken. Zudem will die Organisation einen Ersatz für die Rollende Landstrasse, damit nach 2028 diese Lastwagen nicht wieder auf der Strasse landen.
Bei der anstehenden LSVA-Revision soll nicht nur die Fokussierung auf CO₂ durchgebracht werden, sondern sie soll verursachergerecht gestaltet werden, heisst es vonseiten der Alpen-Initiative. Denn: «Heute trägt die Lastwagenbranche nur jährlich 1 Milliarde LSVA-Franken zu den verursachten externen Kosten an Luftverschmutzung, Lärm, Klima, Natur- und Landschaft, Unfällen und Stauzeit bei. 1,35 Milliarden Franken bleibt sie jährlich schuldig», schreibt die Organisation. Heisst: Eine Erhöhung der LSVA steht im Raum.
Eine weitere Forderung: Die Sicherheitsanforderungen für den Lastwagenverkehr sollen erhöht werden. Gefahrenguttransporte am Simplon will die Initiative verbieten. Allein dadurch bringe man 11’000 Lastwagen auf die Schiene. Durch vermehrte Kontrollen der Lastwagen innerhalb der Schweiz soll nicht nur die Sicherheit erhöht werden. «Das animiert die Transporteure zusätzlich dazu, vermehrt die Schiene zu nutzen», so die Alpen-Initiative.
Ist das gesetzliche Ziel überhaupt umsetzbar?
Einen zusätzlichen Hebel sieht die Organisation darin, dass der Bundesrat ambitionierte Neuwagen-Flottenziele zur Senkung der CO₂-Emissionen für Lastwagen im Gesetz verankert. Und: Ein Förderprogramm soll dazu führen, dass Sattelauflieger kranbar und damit einfacher schienentransportfähig werden.
Die grosse Frage ist allerdings, ob das Ziel von 650’000 Fahrten überhaupt jemals erreicht wird. Bundesrätin Simonetta Sommaruga wollte sich dazu nicht konkret äussern. Doch die Prognosen sind pessimistisch.
Bereits für dieses Jahr zeigt sich eine Stagnation im Vergleich zu 2019. Beim Bund hofft man aber darauf, dass zum Beispiel der neu eröffnete Ceneri-Basistunnel einen Effekt auf die Verlagerung liefert oder auch die Tatsache, dass unsere Nachbarländer ebenfalls vermehrt auf die Schiene setzen.
Ein grosses Problem liegt im Ausland: Die Zubringerstrecken von Deutschland in die Schweiz sind auf absehbare Zeit nicht so ausgebaut, dass sie bei der Verlagerung hilfreich wären. Denn erst mit diesen Zubringern entfaltet die Neat ihr ganzes Potenzial. «Das ist ein grosses Problem», sagt Jon Pult. «Doch wir haben in der Schweiz genügend Hebel, um von uns aus vorwärtszumachen.»
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