Neuer Streit um Pestizide Der Bundesrat hört auf Herrn Tuncak
Der Bundesrat verbietet den Export von fünf Pestiziden – die in der Schweiz gar nicht hergestellt werden. Welche Rolle dabei ein UNO-Sonderbotschafter spielt und wieso die Chemiebranche nun Alarm schlägt.

Diese Nachricht hat die Chemiebranche überrascht. Der Bundesrat verbietet ab 2021 den Export von fünf «besonders problematischen» Pestiziden: Atrazin, Diafenthiuron, Methidathion, Paraquat und Profenofos. Hierzulande ist ihre Anwendung längst verboten. Mit diesem Schritt will der Bundesrat den Gesundheits- und Umweltschutz in den Ausfuhrstaaten verbessern: «Die Schweiz nimmt ihre Verantwortung wahr.»
Noch unter Umweltministerin Doris Leuthard (CVP) war ein solches Verbot im Bundesrat kein Thema. Nun aber hat ihre Nachfolgerin, SP-Magistratin Simonetta Sommaruga, im SVP-FDP-dominierten Gremium offensichtlich eine schärfere Politik durchgesetzt. Entsprechend gross war der Jubel von Umweltschützern, als der Bundesrat letzte Woche seinen Entscheid bekannt gab.
Nur: Die fünf Wirkstoffe sind hierzulande entweder gar nie hergestellt worden (Paraquat), oder sie werden es nicht mehr, teils seit mehreren Jahrzehnten (Atrazin), wie aus der Branche verlautet. Der Basler Chemiekonzern Syngenta kritisiert den Entscheid des Bundesrats gleichwohl. «Es ist schleierhaft, wie die Liste der fünf verbotenen Stoffe zustande gekommen ist», sagt Sprecherin Regina Ammann. Der Kriterienkatalog für das Exportverbot sei unklar, Hinweise auf eine wissenschaftliche Herleitung würden fehlen.

Aufgrund welcher Erkenntnisse hat der Bundesrat entschieden? Das federführende Bundesamt für Umwelt (Bafu) präsentiert auf Anfrage keine wissenschaftlichen Daten. Vielmehr erklärt es, der Bundesrat stelle die bis dato «unterschiedliche Handhabe» der fünf Stoffe infrage. Auch habe das Thema der hochgefährlichen Pestizide auf internationaler Ebene zunehmend Aufmerksamkeit erlangt. Letztes Jahr hatte der – damalige – UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, Baskut Tuncak, den Bundesrat aufgefordert, ein Exportverbot für hierzulande verbotene Stoffe zu erlassen; darauf verweist das Bafu nun explizit.
«Es werden hochqualifizierte Arbeitsplätze in der Schweiz unmittelbar gefährdet.»
Die Begründung der Bundesbehörden erfüllt Syngenta «mit Sorge», und zwar mit Blick auf etwaige weitere Exportverbote. Der Konzern bangt um die Planungs- und Rechtssicherheit in der Schweiz. Fehle diese, könne sich das «relativ schnell» negativ auf Investitionsentscheide in die Forschung und Produktion auswirken. «Dadurch werden hochqualifizierte Arbeitsplätze in der Schweiz unmittelbar gefährdet», sagt Sprecherin Ammann. Syngenta beschäftigt in der Schweiz allein an den Produktionsstandorten Monthey VS, Kaisten AG und Muttenz BL rund 1000 Angestellte.
Bereits der aktuelle Entscheid des Bundesrats bleibt nicht folgenlos. Denn die fünf Wirkstoffe werden im Ausland hergestellt. Sie gelangen teils zu Forschungszwecken in die Schweiz und werden später wieder exportiert, zum Beispiel Diafenthiuron. Ab 2021 dürfen diese Proben unser Land nicht mehr verlassen. «Das behindert die Forschung und Entwicklung in der Schweiz», sagt Sprecherin Ammann. So etwa habe Australien kürzlich ein Produkt zugelassen, das auch Diafenthiuron enthalte.
Nicht nur Syngenta übt scharfe Kritik. «Das Schweizer Exportverbot hat in den Zielländern keinerlei Wirkung», sagt Marcel Sennhauser, stellvertretender Direktor des Branchenverbands Chemie Pharma Life Sciences. Werde ein Wirkstoff dort gebraucht, gebe es genügend Lieferanten in anderen Ländern, die den Schweizer Marktanteil noch so gerne übernähmen.
Scienceindustries hält es für «nicht nachvollziehbar», weshalb sich der Bundesrat auf eine – rechtlich nicht bindende – Beurteilung eines UNO-Sonderberichterstatters abstütze. Es existiere auch kein entsprechender Beschluss einer UNO-Vollversammlung oder der Vertragsstaatenkonferenz des Rotterdamer Übereinkommens. Die Schweiz hat dieses Übereinkommen 1998 zusammen mit der EU und rund 60 Staaten unterzeichnet. Seither muss sie andere Vertragsparteien über den Erlass von Verboten sowie strenge Anwendungsbeschränkungen von Chemikalien informieren und Exporte der betreffenden Pestizide dem Empfängerland melden.
Vorwurf der Doppelmoral
Im Disput geht es nicht zuletzt um zwei Begriffe: Gefahr und Risiko. Die Chemiebranche argumentiert, gefährliche Stoffe würden nicht zwingend ein hohes Risiko bedeuten. Korrekt angewendet, seien sie sicher. Anderswo könnten sie denn auch einen sinnvollen Zweck haben, erklären Branchenvertreter unisono. Im Gespräch fällt immer wieder der Hinweis auf die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, die zum Beispiel zur Bekämpfung der Heuschreckenplage in Südostasien Chlorpyrifos und Fipronil empfehle – Produkte, die in der Schweiz und der EU nicht mehr zugelassen seien. Letztlich, so argumentieren Branchenvertreter, bestimme jedes Land eigenständig, welche Pestizide zugelassen seien, ausgehend von den agronomischen, ökonomischen und klimatischen Bedürfnissen.
Kritiker wie UNO-Sonderberichterstatter Tuncak indes werfen wohlhabenden Ländern wie der Schweiz Doppelmoral vor: Sie würden es ermöglichen, verbotene Substanzen in Entwicklungs- und Schwellenländern zu handeln und zu verwenden – dort, wo die Vorschriften weniger streng seien sowie der Gebrauch der Pestizide sowie dessen Folgen für Mensch und Umwelt kaum kontrolliert würden.
Die Branche ist sich dieser Problematik durchaus bewusst, wie Sennhauser von Scienceindustries klarmacht. Viel effektiver als Exportverbote sei aber die Durchsetzung existierender Regulierungen in Entwicklungs- und Schwellenländern, sagt er. «Die Schweiz kann dazu einen Beitrag leisten.» Das Rotterdamer Übereinkommen sieht vor, dass Staaten wie die Schweiz technische Hilfe leisten, einschliesslich Ausbildung von Personal – mit dem Ziel, das Management der Chemikalien vor Ort zu verbessern. «Die forschende Industrie investiert sehr viel in Trainings und Anwenderschulungen», sagt Syngenta-Sprecherin Ammann. Den Vorwurf der Doppelstandards weise Syngenta entschieden zurück.
Andere Exporte werden erschwert
Offen ist, ob dem Exportverbot weitere folgen werden. In Branchenkreisen sieht man den Boden dafür bereits bereitet: Der Bundesrat zieht die Schraube bei weiteren rund hundert «gesundheits- und umweltgefährdenden» Pestiziden an, die in der Schweiz nicht zugelassen sind. Ab 2021 braucht es für deren Export neu die ausdrückliche Zustimmung des Empfängerlandes. Bislang prüft der Bund einzig die Ausfuhrmeldungen und übermittelt diese an die Behörden des Exportlandes.
Syngenta taxiert diese Verschärfung als Wettbewerbsnachteil: «Lieferfristen verzögern sich so», sagt Sprecherin Ammann. Doch die Lieferbereitschaft sei in einem saisonalen Geschäft wie der Landwirtschaft entscheidend. Das Bafu kann nicht ausschliessen, dass es zu Verzögerungen kommt oder das Einfuhrland gar keine Rückmeldung gibt respektive die Einfuhr ablehnt. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit der Ausfuhrmeldung geht das Bundesamt jedoch davon aus, «dass die Zustimmung der Einfuhrländer zu einem grossen Teil speditiv eingeholt werden kann».
«Es kann keinen Wettbewerb geben bei der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.»
Diese Beteuerung vermag die Gemüter in der Branche kaum zu beruhigen. Ihre Vertreter fragen sich: Wie sollen sie Investitionsentscheide für neue Produktlinien fällen, wenn unklar ist, ob die später hergestellten Produkte auch in den Export gehen dürfen? Die Branche fordert deshalb Antworten von der Politik: Sie will wissen, welche Stoffe hier noch produziert und exportiert werden dürfen.
Umweltschützer haben die Antwort darauf schon gegeben. Die Nichtregierungsorganisation Public Eye fordert, die Schweiz müsse alle Pestizide, deren Anwendung hierzulande verboten sind, mit einem Exportverbot belegen. «Auf den wegweisenden ersten Schritt» des Bundesrats müssten weitere folgen.
Dieser Ansicht ist auch Nationalrätin Regula Rytz. Die Grüne bezeichnet die Reaktion der Chemiebranche auf den Bundesratsentscheid als entlarvend. «Bisher konnte sich Syngenta darauf verlassen, dass die Probleme unter den Teppich gekehrt werden.» Dank des Drucks der beiden Pestizid-Volksinitiativen würden die zahnlosen Zulassungsverfahren nun endlich verschärft. Auch die Klage über Wettbewerbsnachteile findet Rytz deplatziert. «Es kann keinen Wettbewerb geben bei der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.»
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