Der Blick schweift über Reben und Skulpturen
In Kalifornien lädt neuerdings eines der besten Weingüter zum kombinierten Wein- und Kunstgenuss.
Zuoberst auf einem Hügel, mitten in einem Weinberg, der zur Gemeinde Sonoma gehört, glänzt eine herzförmige Skulptur unter der kalifornischen Sonne. Weithin sichtbar ist es, dieses, sagen wir einmal, verlockende Signal der Liebe und Freundschaft. Wie ein Alien thront es – ein später Abkömmling einer durch und durch urbanen Pop Art – in der wunderschönen, an Burgund und Toskana gemahnenden Landschaft eineinhalb Autostunden nördlich von San Francisco.
Bei unserem Besuch auf diesem paradiesischen Stück Erde im Sonoma Valley, auf einem etwa 16 Hektar grossen Weingut, wo seit Kurzem nicht weniger als vierzig ebenso gewichtige wie raumgreifende zeitgenössische Skulpturen eine Bleibe gefunden haben, wird uns erklärt, dass das weithin sichtbare Herz vom britischen Bildhauer Richard Hudson stamme. Er hat, wie er uns bei einem Glas vorzüglichen Weins erzählt, für die Produktion des nachgerade wollüstig gerundeten Organs aus poliertem Metall Offerten in Kalifornien und China eingeholt. Dort wurde es schliesslich denn auch zu einem Bruchteil der Kosten, die in den USA angefallen wären, hergestellt.
Kunst sammeln und Wein trinken
Im Zentrum dieser Bildhauerei und Weinbau auf vorzügliche Weise vermählenden Kulturlandschaft steht die finanzielle und gestalterische Kraft von Allan Warburg. Der gebürtige Däne hat in den letzten zwanzig Jahren in China ein Textilimperium aufgebaut, das erfolgreicher nicht sein könnte. Er lässt von Schneiderinnen in China für den chinesischen Markt Kleider mit nordischem Schick produzieren. Die Marke heisst «Bestseller» – nomen est omen – und ist mit sage und schreibe über 7000 Läden in China präsent.
Man muss sich dabei wohl so etwas vorstellen wie einen gediegenen H&M für Chinesen. Ein Business, das enorm viel Geld abwirft, stand doch der in Hongkong domizilierte Warburg 2011 auf der von der Internetseite china.org verbreiteten «Hurun List of non-mainland Rich» auf Platz 15 der reichsten Ausländer in China.
Bei einer Besichtigung vor Ort, zu der er und seine Presseabteilung Journalisten aus der ganzen Welt ins Sonoma Valley eingeladen haben, strahlt der Textilunternehmer, Kunstsammler und Weinliebhaber jene Offenheit und Ungezwungenheit aus, die man oft bei Leuten antrifft, denen alles wie von selbst in den Schoss gefallen ist. Mit einem Glas seines hervorragenden Pinot noir in der Hand, mit dem er den besten Tropfen des Burgunds Konkurrenz zu machen verspricht, erzählt er uns die Geschichte seines Fleckens kalifornischer Erde.
Am Anfang stand der Wein, der damals noch von der berühmten Firma Buena Vista angebaut wurde, mit der einst, im 19. Jahrhundert, der Weinbau in Kalifornien überhaupt erst begonnen hatte. Warburg kostete ihn erstmals 2008 und konnte sich auf seiner Zunge hinfort nichts Besseres vorstellen als diesen edlen Tropfen, den er heute für hundert Dollar die Flasche verkauft. Als man ihm mitteilte, so Warburg, dass das Weingut zu erwerben sei, habe er unterschrieben, bevor er seinen künftigen Besitz überhaupt besuchen konnte.
Bei dem Kauf war die das Weingut führende Önologin gleich mit dabei. Die Deutsche Anna Moller-Racke kam 1981 ins Sonoma Valley, wo sie mit Ehemann Marcus, einem Spross der traditionsreichen, aus Bingen am Rhein stammenden Weinbaudynastie Moller-Racke, das Weingut Buena Vista übernahm und sich schnell einen Namen machte. Während das Buena-Vista-Weingut inzwischen an einen französischen Konzern verkauft worden ist, pflegte Anna Moller-Racke ihren kleineren Donum Estate weiter, bis sie ihn an Warburg veräussert hat. Von einem der einflussreichsten amerikanischen Weinjournalisten wird sie, die dem Gut weiterhin vorsteht, als Königin des Pinot noir bezeichnet.
Viel Figürliches, wenig Abstraktes
Allan Warburg kam für Moller-Racke wie gerufen. Er ist entschlossen, weitere Rebberge zu kaufen und wird auf dem Donum Estate, auf dem bislang nur ein paar kleinere Pavillons stehen, einen stattlichen Weinkeller samt Abfüllstation finanzieren, der im nächsten Jahr den Betrieb aufnehmen kann. Bislang hat man die Trauben zur Pressung an eine genossenschaftliche Institution gebracht. Bald soll jeder Schritt der Produktion auf dem Weingut stattfinden. So dürfte die Qualität des Weines abermals eine Steigerung erfahren.
Der Textilmagnat begnügt sich aber nicht damit, dass er sich mit Donum Estate die Reben erstanden hat, die ihm seinen Lieblingswein erzeugen. Der Kunstsammler, der seinen Wein am liebsten mit dem Blick auf hervorragende Kunst geniesst, erwarb mit erstaunlich sicherer Hand in den letzten drei Jahren eine Weltklasse-Sammlung von Grossskulpturen, die von Ai Weiweis berühmten «Zodiac-Heads» bis zu Anselm Kiefers Flugzeugwrack «Mohn und Gedächtnis» reicht.
Sie umfasst Joan Plensas grösste «Sanna»-Skulptur genauso wie Louise Bourgeois' aus Stahl gefertigte Mutter aller «Crouching Spiders» aus dem Jahre 2003. Die später entstandenen Riesenspinnen, die allesamt weniger detailreich gestaltet sind, liess die Künstlerin dann aus Bronze fertigen. Auf Donum Estate findet sich sowohl ein bronzener Riesenkürbis der Japanerin Yayoi Kusama, deren bunte Installationen jedes Museum der Westküste zieren, als auch grosse Installationen und Skulpturen von Gao Weigang, Yue Minjun und Zhan Wang, mit denen die zeitgenössische chinesische Bildhauerei an diesem Ort ein ganz besonderes Gewicht erhält.
Auf dem Weingut ist so etwas wie ein Who's who aktueller Bildhauerkunst entstanden. Die Werke stehen zum einen in einem speziell angelegten Garten, der mit Lavendel bepflanzt ist. Zum andern sind sie entlang den Ufern eines Teiches aufgestellt, der zur Wasserversorgung der Reben dient. Drittens werden die Skulpturen auch direkt in den Rebbergen platziert. Schliesslich sind auch in der Graslandschaft neben den Weinbergen Kunstwerke zu sehen und auch noch geplant. Auffällig ist, dass fast keine der Arbeiten aus Marmor, Stein oder Holz hergestellt wurde. Die meisten Stücke in dieser Sammlung sind aus Metall.
Warburg erzählt, dass er seinen Skulpturengarten nicht professionell kuratieren liess, sondern die Werke dorthin stellte, wo es ihm gefiel. Das sei alles seine individuelle Entscheidung. Viele Skulpturen stehen nun, wie wir meinen, etwas zu nahe beieinander, ohne dass sie sich gegenseitig erhellten. In der Geschwindigkeit, in der die Sammlung zusammengekauft wurde, war es wohl kaum möglich, jeden Künstler mit einem Werk zu beauftragen, das spezifisch für den im zugedachten Ort entwickelt worden wäre. Das soll sich ändern, denn in den nächsten Jahren sind noch weitere Kunstkäufe geplant: So soll der in Los Angeles tätige Doug Aitken eine Windharfe für diesen Ort entworfen haben, die demnächst aufgestellt wird.
Man kann bei dieser Sammlung von einem starken Hang zum Figürlichen sprechen, der nicht nur bei Elmgreen & Dragsets selbstbezüglicher Hochglanzskulptur «The Care of Oneself» besonders deutlich wird, sondern auch bei Yue Minjuns «Contemporary Terracotta Warriors». Letztere erinnern in Form und Gestalt an die berühmten Tonkrieger des Kaisers Qin Shihuangdi, halten sich aber mit den Händen die Ohren zu, um sich von niemanden beirren zu lassen.
Auch die Skulpturen von Tracey Emin, Marc Quinn, Jaume Plensa, Keith Haring oder Wim Delvoye arbeiten mit der menschlichen Figur, die aber kaum je zum Helden taugt, sondern als in sich gekehrtes Wesen porträtiert wird oder sich wie bei den besonders gut in den Weinberg passenden Tänzerinnen von Delvoyes «Two Bacchantes» im Rausch der Sinne ganz verdreht haben. Auch wenn das Figürliche dominiert, so umfasst die Sammlung mit Zhang Wangs «Artificial Rock» oder mit Danh Vos «We the People» auch zwei grossartige abstrakte Skulpturen, die tolle Akzente in der Landschaft setzen.
Zeugnis der Kolonialgeschichte
Von Ai Weiwei stammt der zwölfteilige «Circle of Animals/Zodiac Heads», ein hinreissendes Werk, das in den letzten Jahren auf Welttournee war. Die Skulpturengruppe, die zu einem eigentlichen Kraftort auf dem kunstsinnigen Weingut geworden ist, besteht aus in Bronze gegossenen Tierköpfen, die auf drei Meter hohen Stangen aufgepflanzt sind. Das Werk bezieht sich wie oft bei Ai Weiwei auf die chinesische Geschichte: So gab es im Garten des kaiserlichen Sommerpalasts in Peking einst einen Brunnen mit einem Kreis wasserspeiender Tierköpfe.
Das Werk, das im 18. Jahrhundert von zwei Jesuitenpatres für den chinesischen Kaiser geschaffen wurde, ist 1860 von französischen und englischen Truppen zerstört und geplündert worden. Womit westliche Künstler einst China beschenkten, das wurde China von westlichen Truppen später gestohlen: Die Tierköpfe wurden nach Europa verschifft. Sie sind zum Teil verschollen. Zum Teil wurden sie von China für horrende Geldsummen zurückgekauft.
Interessant ist die komplexe Kolonialgeschichte, die sich in diesen Tierköpfen eingeschrieben hat. Drache, Schlange, Schwein oder Ratte, es sind Figuren aus dem chinesischen Horoskop. Nun stehen sie da, diese von einem dissidenten chinesischen Künstler rekonstruierten Zeugnisse einer europäisch geprägten Kolonialgeschichte in China. Sie bilden – Ironie einer globalisierten Wirtschafts- und Kulturgeschichte – einen Kreis inmitten eines Weinguts, das von einem Europäer in den USA erworben wurde, der sein Geld mit europäisch geprägter Ware in China gemacht hat.
Über Nacht ist Donum Estate zum Hotspot zeitgenössischer Bildhauerei geworden. Denn eine derartige Ansammlung hochkarätiger Skulpturen aus dem letzten Jahrzehnt ist weltweit ziemlich einmalig und jedenfalls nicht in den reich bestückten Museen der amerikanischen Westküste zu finden.
Besuch auf dem Donum Estate in Sonoma nur nach Voranmeldung. www.thedonumestate.com
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