Der Albtraum vom perfekten Menschen
Was passiert, wenn der Mensch mit der Gentechnik in die Schöpfung eingreift? Das Einsiedler Welttheater 2013 zeigt den Irrwitz des Perfektionswahns.

Die jüngste Ausgabe des Einsiedler Welttheaters, die am Freitag bei Regen auf dem Klosterplatz Premiere hatte, hat sich weit von Calderón de la Barcas fast 400 Jahre altem «Das grosse Welttheater» entfernt. Bis 1992 war im Klosterdorf dieses von religiöser Gewissheit geprägte Stück gespielt worden.
Dann wagte die Welttheatergesellschaft einen Neuanfang. Thomas Hürlimanns Neufassungen brachten 2000 und 2007 eine von Zweifel und Gottlosigkeit geprägte Welt auf den Klosterplatz.
Im Welttheater von Tim Krohn, der sich als «säkularen Zen-Buddhist» sieht, geht es nicht direkt um die vom Kloster repräsentierte Religion. Krohn stellt mit der Gentechnik den Umgang des sich allmächtig glaubenden Menschen mit der Schöpfung zur Diskussion.
Götter in Weiss
Der Fortschritt bricht im Stück mit Allmacht ein. Begleitet von Fanfaren und einem Kirchenchor aus Pharmazeuten, tritt die Ärztin auf und verkündet die Segnungen der Medizin des 21. Jahrhunderts. Ein defektes Gen lasse sich ersetzen «wie man am Auto die Zündkerze wechselt» – und das bei «999 Prozent Rendite».
Die lange Liste möglicher Gendefekte verunsichert die Bevölkerung. Der Reiche, der sich durch einen «Mega-Deal» unsterblich wähnte, kämpft nun verzweifelt mit seiner Alzheimer-Veranlagung.
Die Aussicht auf Heilung entwickelt aber auch einen Sog, in dem die Menschen sich zu groteskem Tun verleiten lassen. Menschen werden Versuchskaninchen. Die Spitzensportlerin will ihren «Schiiskörper» weiter perfektionieren. Leni will, dass ihr Wunschkind perfekt ist: «Äs chranks Chind isch käs schöns Chind».
Dem Irrsinn entgegen stellt sich Pater Clemens, der mit den «schrägen Vögeln» seine Sicht der Schöpfung als Theater aufführen will und den Menschen zornig entgegenbrüllt: «Gsund sii heisst nöd, makellos sii. Nöd jedä Higg i dr Birä isch ä Chranked. Äs Gsicht ohni Narbä isch käs mänschlichs Gsicht.»
Kleine Menschen auf einem grossen Platz
Beat Fäh stellt die Weltbühne als grosse Baustelle mit orangen Maschinen und Baracken, Baustellentoiletten und Kränen dar. Die moderne Welt ist eine der kalten Technik, der Mensch ist aus Bausteinen zusammengesetzt und kann beliebig zerlegt werden.
Beat Fäh inszeniert, bis auf wenige Szenen – etwa wenn die Klosterkirche zu bersten droht – kein grosses Spektakel. Die Figuren sind dem weitläufigen Platz ausgesetzt wie dem Fortschritt. Begleitet von der Musik von Carl Ludwig Hübsch, bewegen sie sich in einer unheimlich gewordenen Welt.
Plötzlich stirbt der Präsident («gwählt uf Läbensziit, wänn nöd drüberuus»), der alle Fäden in der Hand zu halten glaubte. Dies leitet die Wende ein.
Ein Penner lehrt den Reichen Gelassenheit. Leni kann nun auch ein krankes Kind akzeptieren – ihre nicht perfekten Ahnen bekräftigen sie, dass auch Menschen mit Makeln wunderbare Menschen sind. Ob dies ein Wandel auf Dauer ist, lässt das Stück offen.
SDA/fko
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