«Der Abschuss eines Passagierflugzeuges würde reichen»
London und Paris spielen mit dem Gedanken, den syrischen Rebellen Waffen zu liefern. Dies, obwohl die Befürchtungen unter Experten gross sind, Kriegsmaterial könnte in die falschen Hände geraten.

Frankreich schliesst nicht aus, auch ohne Zustimmung aller EU-Partner Waffen an die syrischen Rebellen zu liefern. Sollten sich nicht alle Mitgliedstaaten von einer Aufhebung des Waffenembargos überzeugen lassen, werde Frankreich «seine Verantwortung wahrnehmen», sagte Präsident François Hollande am Donnerstagabend in Brüssel.
Hollande sagte bei seinem Eintreffen beim EU-Gipfel in Brüssel vor Journalisten: «Wir wollen eine Aufhebung des EU-Waffenembargos». Paris könne nicht zulassen, dass «ein Regime, das derzeit keinen politischen Übergang will, ein Volk massakriert». Später präzisierte der französische Staatschef, seine Regierung wolle die EU-Partner bis spätestens Ende Mai von einer Aufhebung des Waffenembargos überzeugen. Bis dahin gelten die Ende Februar verlängerten EU-Sanktionen gegen Syrien.
«Frankreich wird die Verantwortung wahrnehmen»
«Wenn es eine Blockade von einem oder zwei Ländern geben wird, wird Frankreich seine Verantwortung wahrnehmen», fügte Hollande hinzu. Die politischen Lösungen seien in Syrien ungeachtet jeglichen Drucks gescheitert. «Wir müssen weiter gehen, denn seit zwei Jahren zeigt Bashar al-Assad den klaren Willen, jedes Mittel gegen sein eigenes Volk einzusetzen.»
Der französische Aussenminister Laurent Fabius hat gesagt, Frankreich könnte als «souveräner Staat» auch ohne eine Einigung der EU Waffen an die Rebellen liefern. Ähnlich hatte sich zuvor der britische Premierminister David Cameron für sein Land geäussert.
Europäische Regierungen skeptisch
Viele Regierungen in Europa sehen Waffenlieferungen an die Rebellen skeptisch, weil sie befürchten, damit den Bürgerkrieg noch weiter anzuheizen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel äusserte in Brüssel Bereitschaft zur Diskussion. «Deutschland werde in dieser Frage sehr abwägend vorgehen.» Es müsse aufgepasst werden, «dass nicht auch die Gegenseite mit noch mehr Waffen versorgt wird durch Länder, die eine andere Haltung zu Assad einnehmen» als die EU-Staaten. Auch der deutsche Aussenminister Guido Westerwelle hatte kürzlich vor einem «Aufrüstungswettbewerb» gewarnt.
Der britische Premierminister David Cameron hatte am Dienstag keinen Hehl daraus gemacht, dass sein Land auch Waffen trotz des EU-Embargos liefern könnte.
Ende Februar hatte die EU die Sanktionen gegen Syrien dahingehend gelockert, dass die Assad-Gegner mit Ausrüstungsgegenständen wie Fahrzeugen oder Schutzwesten ausgerüstet werden dürfen.
Angst vor Islamisten
Befürchtet wird in der EU vor allem auch, dass einmal gelieferte Waffen in die falschen Hände geraten könnten. In Syrien erstarken islamistische Rebellengruppen, die dem Terrornetzwerk al-Qaida nahestehen und etwa in den USA auf der Terrorliste stehen. Die Adressaten der westlichen Waffen seien «unsichere Kandidaten», meint Hans-Georg Erhart vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Befürworter der Waffenlieferungen seien allerdings der Ansicht, dass dadurch pro-westliche Kräfte unter den Rebellen gegenüber den islamistischen Gruppen gestärkt werden könnten.
Im Visier von London und Paris ist schon seit Monaten die Luftwaffe Assads, gegen die die Rebellen am Boden oft machtlos sind. Versuche, in bestimmten Regionen im Norden Syriens eine Flugverbotszone zu installieren, waren unter anderem am Veto Russlands im UNO-Sicherheitsrat gescheitert. Nun ist die Überlegung, den Rebellen unter anderem Boden-Luft-Raketen zu liefern, damit sie Kampfflugzeuge und Hubschrauber der syrischen Armee abschiessen können.
Treffen im Juni
Die französische Zeitung «Le Canard Enchaîné» berichtete vor wenigen Tagen, dass die Europäer bei einem Treffen im Juni in Istanbul entscheiden wollten, dass einzelne Länder die Rebellen mit Boden-Luft-Raketen, Anti-Panzer-Waffen und Raketenwerfern beliefern dürfen. Die Waffen sollten mit elektronischen Chips ausgestattet werden, um sie deaktivieren zu können, falls sie in die falschen Hände geraten.
Selbst wenn dies technologisch funktionieren sollte, müssten die Lieferländer aber erst einmal wissen, dass die Waffen nicht mehr in den richtigen Händen sind, gibt Sicherheitsexperte Erhart zu Bedenken – und zeichnet ein mögliches Schreckensszenario: «Der Abschuss eines Passagierflugzeuges würde schon reichen.» Auf jeden Fall werde «eine neue militärische Situation» in Syrien entstehen. Erhart hält die Waffenliefer-Pläne in London und Paris daher für riskant: «Das ist ein Vabanquespiel.»
Moskau warnt
Der russische Aussenminister Sergei Lawrow hatte Grossbritannien zuvor davor gewarnt, die syrische Opposition mit Waffen auszurüsten. Jeder Versuch, die syrischen Rebellen zu bewaffnen, sei ein Bruch internationalen Rechts.
Das internationale Recht erlaube keine Lieferungen von Waffen an «nicht-staatliche Akteure», sagte Lawrow am Mittwoch bei einer gemeinsamen Medienkonferenz mit seinem britischen Kollegen William Hague und den Verteidigungsministern beider Länder in London.
Russland ist der wichtigste Verbündete der syrischen Führung unter Präsident Bashar al-Assad und liefert Waffen an Syrien. Angesichts der mangelnden Fortschritte bei der Lösung des Konflikts brachte Grossbritannien eine Lockerung des EU-Embargos ins Gespräch, um eine Bewaffnung der Rebellen zu ermöglichen. Premierminister David Cameron deutete gar einen britischen Alleingang an.
Verteidigungsminister Philip Hammond sagte bei der Medienkonferenz, bislang unterstütze London die syrische Opposition «nur mit nicht-tödlicher» Hilfe. Allerdings könne er «für die Zukunft nichts ausschliessen».
USA begrüssen Diskussion in Europa
Die USA würden eine stärkere Unterstützung der syrischen Rebellen durch Frankreich und Grossbritannien begrüssen. «Wir unterstützen sicherlich die Formen der Stärkung der syrischen Opposition, von der Frankreich und Grossbritannien öffentlich reden», sagte die Sprecherin des US-Aussenministeriums, Victoria Nuland, in Washington.
Nuland unterstützte nicht explizit die Forderungen aus Paris und London nach der Lieferung von Waffen an die syrischen Rebellen. Es sei Sache der Europäischen Union, über eine Aufhebung des Waffenembargos zu entscheiden, sagte Nuland. Die USA wollten sich in diese Diskussion nicht einmischen. «Aber wir wissen, dass einige Regierungen mehr tun wollen und wir unterstützen sie dabei, in der EU darüber zu diskutieren.»
Die USA unterstützen die syrische Opposition, die seit nunmehr zwei Jahren gegen die Regierung von Bashar al-Assad kämpft, mit nicht-tödlicher Ausrüstung.
AFP/mw/chk
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