Demokratie als Party
Frank-Walter Steinmeier wurde zum zwölften Bundespräsidenten Deutschlands gewählt. Er möchte ein Versöhner sein.

Die Wahl von Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten mahnte eher an eine grosse Geburtstagsparty von einem älteren Herrn als an eine demokratische Wahl: 1253 Gäste, gelöste Stimmung, Gratulationen, Blumensträusse, Reden und Gesang. Kurz bevor die Nationalhymne eingespielt wurde, bedankte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert für den «reibungslosen Ablauf». Da sich die Union und die SPD schon Wochen zuvor auf Steinmeier als Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck verständigt hatten und auch die Grünen und die FDP ihre Zustimmung signalisierten, war es eine Wahl ohne Spannung. Mit 931 Stimmen wurde Steinmeier im ersten Wahlgang gewählt.
Die Union hatte keinen eigenen Kandidaten gefunden und verkaufte ihre Verlegenheit und den Einsatz für Steinmeier als Verantwortungsgefühl in «schwierigen Zeiten» und Demonstration von Einheit. Die Demokratie wirkte gestern wie eine «scripted reality». Die Wahl folgte einem Drehbuch, das schon lange geschrieben war. Dabei könnte mehr Wettbewerb Deutschland möglicherweise mehr einen als die überparteiliche Harmonie. Als Steinmeier zum Rednerpult ging, zog er seine weissen Blätter wie selbstverständlich aus dem Sakko. Er wolle ein «Mutmacher» sein, hatte er vor der Wahl gesagt, und daran knüpfte er in seiner Rede an. Deutschland – «unser schwieriges Vaterland» – sei zu einem «Anker der Hoffnung» geworden. Die Deutschen lebten zwar nicht auf einer «Insel der Seligen», aber kaum irgendwo auf der Welt gebe es «mehr Chancen als bei uns». Steinmeier schloss: «Lasst uns guten Mutes sein.»
Er versprach zudem, allen «demokratischen Parteien» den gleichen Respekt entgegenzubringen. Damit waren auch all diejenigen angesprochen, die ihn nicht gewählt hatten. Um die hundert Delegierte enthielten sich. 128 stimmten für den Linken-Kandidaten Butterwegge. Kandidat Glaser von der AfD erhielt 42 Stimmen, zwei weitere Kandidaten erzielten Ergebnisse im niedrigen zweistelligen Bereich.
Joachim Löw und Olivia Jones
1260 Delegierte waren zur Wahl ins Reichstagsgebäude eingeladen: Die 630 Abgeordneten des Bundestags sowie 630 Delegierte, die von den Landtagen entsendet werden. Traditionellerweise bieten die Parteien auch Prominente und ehemalige Politiker zur Wahl auf. So waren unter anderem Fussballnationaltrainer Joachim Löw und Travestie-Künstlerin Olivia Jones dabei – beide von den Grünen eingeladen. Peter Harry Carstensen, ehemaliger CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, liess sich entschuldigen: Er müsse sich um seinen kranken Dackel kümmern.
Jeder Bundespräsident hat das Amt ein wenig anders interpretiert. Dafür gibt es auch viel Raum. Das Bundesverfassungsgericht sagte unlängst, Autorität und Würde des Amtes kämen «indes gerade auch darin zum Ausdruck, dass es auf vor allem geistig-moralische Wirkung angelegt ist». Bundespräsident Joachim Gauck hat das Amt in mancher Hinsicht idealtypisch interpretiert.
Als Pastor, der nicht aus der politischen Szene kam, war er mit den Parteien in Berlin nicht verstrickt. Er selbst verstand sich im Amt als «Bürger, der mitredet». Gauck war eine freie Stimme und sein grosses Thema die Freiheit. Den öffentlichen Diskurs prägte er als streitbarer Metaphernlieferant mit: Hell- und Dunkeldeutschland ist eine seiner Schöpfungen.
Im Grundgesetz heisst es, Aufgabe des Bundespräsidenten sei es, «im Sinne der Integration des Gemeinwesens» zu wirken. Gauck wollte nicht unbedingt Integrationsfigur sein, sondern moralische und freiheitliche Standpunkte vermitteln. Er war eigenwillig: legte sich mit «Gutmenschen» und «Spinnern» am rechten Rand an. Die Olympischen Winterspiele in Sotschi boykottierte er, zum Ärger des damaligen Aussenministers Steinmeier – Gauck wollte Wladimir Putin nicht hofieren.
Schwärmerisch wurde er dagegen in den USA. 2015 besuchte er die Unabhängigkeitskapelle in Philadelphia, berührte die Freiheitsglocke und sprach von den «heiligen Stätten der Demokratie». Steinmeier gehört seit über einem Vierteljahrhundert zum politischen Establishment. Ursprünglich ist er eine Erfindung von Alt-Kanzler Gerhard Schröder. Dieser stellte ihn, als er noch Ministerpräsident in Niedersachsen war, in seiner Staatskanzlei ein. Schröder nannte ihn bald «Mach mal». Die beiden ergänzten sich gut – Schröder, der Machtmensch und Entscheider. Steinmeier, der gewissenhafte Verwaltungsjurist, stark in den Details. Schröders «Agenda 2010» ist hauptsächlich Steinmeiers Werk.
Nüchterne Reden
Steinmeiers Karriere startete gemächlich. Als Jurist war er lange Assistent an der Uni Giessen. Erst mit 35 Jahren promovierte er. Unter Schröder stieg er schnell auf und schaffte es bis zum Chef des Bundeskanzleramts. Später wurde er unter Kanzlerin Angela Merkel zweimal Aussenminister. 2009 war er auch SPD-Kanzlerkandidat und erreichte mit 23 Prozent das schlechteste Resultat in der Geschichte der Partei. Die Rolle des Wahlkämpfers passte nicht zu ihm. Zwar ist er ein geselliger Typ, der auf Menschen zugehen kann. Reden von ihm sind aber trockene Kost. Deutlich wird er selten. Er ist der geborene Diplomat.
Die FAZ bezeichnete Steinmeier als «ein lernendes System». Bisher ist er noch in jede Rolle gewachsen. Zu seinem Trumpf als Bundespräsident könnte seine Frau Elke Büdenbender werden. Sie wird ihr Amt als Richterin am Berliner Verwaltungsgericht aufgeben und will sich als Bundespräsidenten-Gattin um Soziales kümmern.
Büdenbender fällt mit ihrer natürlichen und klugen Art auf und versteht es, ihren Mann sympathisch zu machen. «Wer um Mitternacht von einer Auslandreise nach Hause kommt und dann bis zwei Uhr mit der Tochter Ikea-Regale aufbaut, kann doch nur ein toller Typ sein», sagte sie über ihn. Wer wollte da widersprechen? 2010 rückte das Paar in den medialen Fokus, als Steinmeier mitteilte, seiner Frau eine Niere zu spenden. Dieser Vorgang beeindruckte die deutsche Öffentlichkeit nachhaltig.
Sein Amt wird Steinmeier am 19. März antreten, Dienstsitz ist das Schloss Bellevue in Berlin. Da gibt es zwar auch eine Dienstwohnung, aber diese misst nur 94 Quadratmeter. Der letzte Mann, der darin länger hauste, war Bundespräsident Roman Herzog. Er nannte die Wohnung «Bruchbude» und meinte: «Stinken tuts immer» – Grund sind marode Sanitäranlagen. Steinmeier wird in der Dahlemer Dienstvilla wohnen.
Gauck überragt Steinmeier an Originalität und Redekunst – er ist auch der Liberalere der beiden. Eine Integrationsfigur war er aber nur bedingt. Steinmeier, so ist aus seinen Statements zu schliessen, möchte genau das werden: Mutmacher und Versöhner. Es wäre ein Ansatz, der dem Diplomaten entsprechen könnte. Voraussetzungen wären: Abstand zu seiner eigenen Partei und zu Russland – Steinmeier zeigte bisher im Gegensatz zu Gauck wenig Berührungsängste zu Putin.
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