Pop-BriefingDavid Bowie kann man sich schenken
Zu Weihnachten kommt allerlei Tand auf den Markt, der unbedarfte Musikfans blendet. Ausserdem: House Music als Zeitkapsel.

Das muss man hören
Leron Carson – «Under The Conditions»
Leron Carson ist zeitlebens eine obskure Figur geblieben. Dem House-Produzenten aus Chicago war nie der grosse Durchbruch vergönnt, auf Theo Parrishs Label Sound Signature erschienen zu seinen Lebzeiten nicht einmal eine Handvoll EPs. Jetzt hat sich das Label die Mühe gemacht, sein «Debütalbum» zu veröffentlichen. «Under These Conditions» ist quasi eine Zeitkapsel: Eine Sammlung von House-Tracks, die Carson grösstenteils in den Achtzigern aufgenommen hat, mit dem ihm damals zur Verfügung stehenden Material. Das klingt alles sehr roh und ungeschliffen, dafür aber mitunter äusserst warm. Es erinnert vielleicht auch daran, dass House-Music vor allem eins tat: Das Leben feiern. Carson selbst wird die Wirkung, die seine Platte entfaltet, nicht mehr erleben können – er verstarb 2016.
RP Boo – «Established!»
Bleiben wir noch bei Tanzmusik aus Chicago: Kavain Wayne Space, der als DJ und Produzent unter dem Künstlernamen RP Boo das Genre Footwork mitentwarf, veröffentlicht mit «Established!» ein faszinierendes Werk aus Versatzstücken, das sich wie ein postmoderner Gegenentwurf zum DIY-Charme von Carsons Aufnahmen anhört. Hier und da blitzen Samples vergangener Hits auf – Dr. Dre, Barry White, sogar Phil Collins wird durch die Mangel gedreht. Die Beats sind komplex und unbeständig, und doch ist «Established!» auf seine ganz eigene Art ein grosses Vergnügen.
Dominik Eulberg – «Rotmilan»
Bei einem Sonntagsspaziergang vor einigen Wochen im Kanton Schwyz fiel mir am Himmel ein Greifvogel auf – ein Rotmilan. Deutschlands tanzbarster Ornithologe sozusagen, Dominik Eulberg, widmet dem auch in der Schweiz wieder sehr weit verbreiteten Raubvogel einen Track, der zum Tier passt: erhaben, fast majestätisch, Aufmerksamkeit heischend.
Red Fang – «Hells Bells»
Diesen Freitag erscheint eine Box mit Coverversionen von AC/DC. Die bekanntesten beteiligten Bands sind wohl Red Fang, Supersuckers und Electric Frankenstein. Die Stonerrocker aus Oregon haben sich vorab schon mal «Hells Bells» vorgenommen. Leider ohne eines der sonst sehr unterhaltsamen Videos.
David Bowie – «Brilliant Adventure (1992–2001)»
Ob man es für Leichenfledderei hält oder für einen Dienst an den Fans: Posthume Zweit- oder Drittverwertung von künstlerischem Material ist längst gang und gäbe. Auch David Bowie bleibt nicht davon verschont. MIt «Brilliant Adventure» erscheint eine massive Box – sie umfasst 11 CDs respektive 18 LPs –, die das Schaffen des Briten in den Neunzigerjahren Revue passieren lässt. Am interessantesten dürfte die erste offizielle Veröffentlichung von «Toy» sein, dem Album, das eigentlich 2001 hätte erscheinen sollen, jedoch vom damaligen Label Virgin weggeschlossen wurde. Dazu gibt es Remasters der Neunziger-Alben «Black Tie White Noise», «The Buddha of Suburbia», «Outside», «Earthling» sowie «Hours», Liveaufnahmen von Auftritten bei der BBC sowie diverse weitere Raritäten und unveröffentlichtes Material. Für Fans sicher ein gutes Weihnachtsgeschenk.
Das Schweizer Fenster
Panda Lux – «Blumen»
Die Indiepopper von Panda Lux melden sich nach ihrem letztjährigen Album «Fun Fun Fun» mit «Blumen» zurück – ein «Plädoyer gegen die Generation ‹Hedonismus um jeden Preis›», wie sie erklären. Uns soll es recht sein, die Message mitten im langsam abklingenden Black-Friday-Wahn stimmt, der sehnsüchtige, fast schmachtende Sound eh.
Emilia Anastazja – «Flower House»
Apropos schmachtend: Die aus Basel stammende, aber in London ansässige Emilia Anastazja veröffentlicht am kommenden Freitag ihre EP «Flower House». Der Titeltrack kommt äusserst geschmeidig im samtenen RnB-Gewand.
Er ist gegangen
Hans-Erik Dyvik Husby, besser bekannt als Hank von Helvete, ist am 19. November im Alter von 49 Jahren verstorben. Der Sänger war von 1993 bis 2010 Frontmann der legendären norwegischen Deathpunk-Band Turbonegro. Von Helvetes Markenzeichen bei Live-Auftritten: die Arschrakete. Falls Sie es nie live erlebt haben: ein Feuerwerkskörper im, na ja, Sie können es sich vorstellen.
Während von Helvetes Zeit veröffentlichte Turbonegro die richtungsweisenden Alben «Ass Cobra» und «Apocalypse Dudes». Die Schattenseite des Ruhms war wie bei so vielen auch hier: Drogenabhängigkeit. Von Helvete kämpfte jahrzehntelang damit, auch nachdem er aus der Band ausgestiegen war, auf den Lofoten angeblich zu Gott gefunden hatte, wie eine Dokumentation einst behauptete, und als Solokünstler und Schauspieler in Norwegen erfolgreich war.
Von Helvete wurde am 19. November tot im Slottsparken in Oslo gefunden. Sein Manager sagte gegenüber norwegischen Medien, der Musiker habe nicht Suizid begangen, sein Körper habe einfach aufgegeben. Von Helvete hinterlässt eine Tochter, die er mit seiner Ex-Frau Gro Skaustein hat.
Darüber wird gesprochen/Das blüht
Die unausweichlichen Jahresrückblicke sind da, allen voran natürlich Spotifys Wrapped. Während auf Social Media also fleissig die persönlichen Jahreslisten gepostet und mit dem eigenen Musikgeschmack gepost wird, sagt Spotify auch, wer global Gehör fand. Der meistgestreamte Künstler ist – wie 2020 auch schon – der puertoricanische Reggaeton-Künstler Bad Bunny, gefolgt von der US-amerikanischen Pop-Singer-Songwriterin Taylor Swift und dem südkoreanischen Boyband-Phänomen BTS. Bei den Songs gibt es ein erwartbares Siegertreppchen, unter anderem mit Olivia Rodrigo, Lil Nas X und Dua Lipa.


Die Wochen-Tonspur
Die Wochen-Tonspur heute mal wieder sehr tanzbar. Mit einem Hot-Chip-Remix von Jarvis Cockers Jarv-Is-Projekt, mit dem Albumcover des Jahres von Boys Be KKO und dem unverschämt funky «Baby Said To Me» von Leron Carson (siehe oben). Wenn Sie nur ein Stück diese Woche hören – dieses sollte es sein.
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