Begehrtes SpielzeugDas wundersame Comeback der Märklin-Modelleisenbahn
Der deutsche Hersteller verzeichnet 40 Prozent mehr Aufträge. Das hat mit Corona zu tun, mit Social Media – aber auch mit grossen Sehnsüchten.

Vielleicht liegt es daran, dass viele Menschen während des Lockdown die Zeit zu Hause nutzen, um ihre Keller und Dachböden zu durchstöbern und dann ganz weit hinten, wo die (fast) vergessenen Dinge liegen, ihre alte Modelleisenbahn wiederfinden. Oder aber es ist der allgemeine Trend zum generationenübergreifenden Spiel. Vermutlich machen auch die Hersteller vieles richtig, weil sie die Digitalisierung geschickt nutzen. Und womöglich spielen auch Sehnsüchte eine Rolle. Fernweh, zum Beispiel, oder die Sehnsucht, die grosse Welt im Kleinen zu beherrschen. Es gibt viele Gründe für den Boom der Modelleisenbahn, und Corona ist einer davon.
«Viele Märklin-Fans haben 2020 auffallend mehr Zeit mit ihrem Hobby verbracht, und andere haben Modelleisenbahnen als neues Hobby für sich entdeckt», sagt Florian Sieber, 35, Eigentümer und Chef von Märklin. Das deutsche Unternehmen, zu dem auch die Marken Trix und Lehmann-Gartenbahn (LGB) gehören, verzeichnete zum Jahreswechsel 40 Prozent mehr Aufträge als zwölf Monate zuvor.
Im November 2020 lag die Nachfrage um 75 Prozent, im Dezember um 25 Prozent über Vorjahresniveau. Nicht nur aus Europa und den USA kommen besonders viele Aufträge. «Wir rechnen mit einem deutlichen Umsatzanstieg», sagt Sieber und schränkt ein: «Wenn nichts dazwischenkommt.» Die Produktionskapazitäten habe man bereits aufgestockt.
Angestaubtes Hobby? Von wegen!
Sieber und seine Familie haben Märklin im Jahr 2013 aus einer Insolvenz heraus übernommen. Hinter der Firma lagen viele Jahre des wirtschaftlichen Niedergangs. Die Siebers kennen das. Seit Jahrzehnten kaufen sie kriselnde Spielzeugmarken, wie etwa den Bobby-Car-Hersteller Big, und verhelfen ihnen zu erfolgreichen Neustarts. Die Firmengruppe Simba-Dickie ist so zum grössten deutschen Spielwarenhersteller aufgestiegen. Märklin betreiben sie parallel dazu als eigenständiges Unternehmen.
Die Übernahme rief 2013 viele Skeptiker auf den Plan. Modelleisenbahnen galten vielen als ein angestaubtes Relikt aus der Nachkriegszeit. Bestenfalls noch etwas für Sammler, die sich originalgetreue und dementsprechend teure Modell-Loks in die Vitrine stellen, während aber kaum mehr ein Kind mit Modelleisenbahnen spielt. Doch unter Führung der Siebers erlebt Märklin ein Comeback. Die Firma bietet wieder mehr günstige Einsteigersets für Kinder an. Als ein wesentliches Instrument sieht Florian Sieber dabei die sozialen Medien.
Vom Image-Clip bis zum Tutoring-Video lässt Märklin aufwendige Filme produzieren und kommuniziert über die Netzwerke intensiv mit der Kundschaft. Märklin pflegt die Fanklubs der Marke und hat mit dem Märklineum am Hauptsitz im süddeutschen Göppingen eine für Enthusiasten und Kinder gleichermassen attraktive Modellbahn-Erlebniswelt angelegt. Was der Marke in vollem Umfang freilich erst dann helfen wird, wenn die Corona-Lage Museumsbesuche wieder erlaubt.
Das Werk stand still
Zu Beginn hat die Pandemie dem Unternehmen geschadet. Im Frühjahr 2020 stand die Produktion im ungarischen Györ einige Wochen still, weil verunsicherte Arbeiter aus Angst nicht mehr erschienen. Damit war die Produktionskette unterbrochen, was auch zur zeitweisen Schliessung des Stammwerkes in Göppingen führte, weil dort keine Teile zur Weiterverarbeitung mehr ankamen. «Wir haben dadurch extrem viel Produktionskapazität verloren», sagt Florian Sieber.
Bis heute wurden diese Verluste nicht aufgeholt. Für das bis Ende April laufende Geschäftsjahr rechnet Sieber trotz der hohen Nachfrage nur mit einem kleinen Umsatzwachstum von rund 112 auf 113 Millionen Franken; für 2021/2022 strebt Märklin jedoch etwa 120 Millionen Franken an. Das Unternehmen beschäftigt 1200 Menschen.
Die Corona-Pandemie spielt der Spielzeugbranche generell in die Karten. Laut dem Spielwarenverband Schweiz betrug 2020 das Budget für Weihnachtsgeschenke durchschnittlich 397 Franken, etwas mehr als 2019, als es 385 Franken waren. In wichtigen europäischen Märkten wie Italien oder Spanien gingen die Geschäfte jedoch merklich zurück, in Frankreich stagniert der Markt. Länder, die für Simba-Dickie wichtig sind.
Drei Viertel des Umsatzes erwirtschaftet die Firmengruppe im Ausland. Entsprechend verhalten stieg der Umsatz. Zu Gewinnen macht das Unternehmen keine Angaben; Finanzchef Manfred Duschl bezeichnet die Ertrags- und Finanzsituation insgesamt als «weiterhin gut, solide und sehr stabil».
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