Falsche MissbrauchsvorwürfeDas Verfahren im «Fall Nathalie» wird eingestellt
Ein Vater aus dem Schwarzbubenland, der jahrelang öffentlich bezichtigt wurde, seine Tochter im Rahmen satanistischer Rituale zu missbrauchen, ist vollumfänglich entlastet.

Der angebliche Fall sorgte für Bestürzung. Im Dezember 2019 ging bei der Staatsanwaltschaft im Kanton Solothurn eine Anzeige ein. Der gravierende Vorwurf: Ein Ex-Mann soll die gemeinsame Tochter mehrfach sexuell misshandelt haben – unter anderem im Zusammenhang mit angeblichen satanistischen Ritualen. Der Beschuldigte bestritt die kruden Theorien von Anfang an.
Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Verfahren, der Druck auf den Kindsvater wurde immer grösser. Viele Medien, unter anderem auch diese Zeitung (Lesen Sie dazu: Die BaZ entschuldigt sich), berichteten über den Fall jenes Mädchens aus dem Schwarzbubenland, welches das Pseudonym Nathalie bekommen hatte.
Über 82’000 Franken Hilfsgelder
Im Sommer 2020 war die Welle der Solidarität auf dem Höhepunkt: Auf einer Crowdfunding-Plattform im Internet sammelte ein Verein über 82’000 Franken für den juristischen Beistand von Mutter und Kind. Allein die Gerichts- und Anwaltskosten wurden auf rund 64’000 Franken veranschlagt. Die finanziell unter Druck stehende Mutter von Nathalie pochte später weiter auf unentgeltliche Rechtshilfe, blitzte aber letztlich vor den Gerichten ab.
Unter Verdacht geriet auch die zuständige Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Thal-Gäu/Dorneck-Thierstein. Kritiker warfen der Behörde vor, ihren Aufgaben und Pflichten nicht nachzukommen, weil das Kind weiterhin Kontakt zum Vater hatte. Die Mutter warf der Kesb – konkret zwei Mitarbeiterinnen – Amtsmissbrauch und Begünstigung vor.
«Der Fall hat tatsächlich viele Ressourcen bei uns gebunden», sagt Cony Brand, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Solothurn, «aber wir wollten allen Vorwürfen auf den Grund gehen.»
Der Kindsvater ist vollumfänglich entlastet
Nun hat die Justizbehörde ihre Ermittlungen abgeschlossen – und stellt die Strafuntersuchung ein. In ihrem Schreiben hält sie fest, dass sich ein anfänglicher Verdacht gegen den Kindsvater «in keiner Weise» erhärtet hat.
Auch die Mitarbeiterinnen der Kesb haben sich nichts Strafrelevantes zuschulden kommen lassen. Die Tatbestände sind laut der Staatsanwaltschaft «eindeutig nicht erfüllt». Gegen sie wird ebenfalls nicht mehr ermittelt. Rechtskräftig sind die Verfügungen allerdings noch nicht; sämtliche Parteien können Beschwerde einreichen.
Der Fall erhielt eine neue Dimension, als ein Dokfilm von «SRF» über die sogenannte Satanic Panic ausgestrahlt wurde, in dem auch ein inzwischen ehemaliger Baselbieter Lehrer vorkam, der in den «Fall Nathalie» involviert war.
Bei der Satanic Panic handelt es sich um eine Verschwörungstheorie, deren Anhänger davon ausgehen, dass Satanisten Kinder in geheimen, blutigen Ritualen foltern und missbrauchen würden. Vieles deutet darauf hin, dass die nun widerlegten Missbrauchsvorwürfe ihren Ursprung in dieser Szene hatten. Die Verschwörungstheorie ist weit verbreitet – obwohl Justizbehörden weltweit in Hunderten Verdachtsfällen keinen Beweis dafür fanden.
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Marcel Rohr ist seit Dezember 2018 Chefredaktor der «Basler Zeitung». Zuvor leitete er 13 Jahre lang das Ressort Sport und war als Blattmacher tätig.
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