Aufnahmen von zehnmilliardstel MeternDas Supermikroskop bei Novartis kostet zehn Millionen Franken
Auf dem Basler Campus des Konzerns steht ein Elektronenmikroskop, das den Blick auf die Atome freigibt. Die Bilder dieses Geräts sind eindrücklich.

Im Parterre eines unscheinbaren alten Gebäudes auf dem Novartis-Campus steht ein modernes, hochauflösendes Elektronenmikroskop, das einzelne Atome für den Menschen sichtbar machen kann. Es erfasst Abstände, die häufig nicht mit Nanometern oder einem anderen Meterbereich benannt werden, sondern die so winzig sind, dass sie in einer anderen Einheit gemessen werden: nämlich in Angström, unvorstellbar kleinen zehnmilliardstel Metern.
Novartis war die erste Pharma-Firma, die 2016 ein solches leistungsstarkes Gerät in Europa installierte. Drei der Pioniere der Kryo-Elektronenmikroskopie (sie stammen nicht von Novartis) erhielten für ihre Arbeit dafür 2017 den Chemie-Nobelpreis.

«Mit dem Gerät können wir den Aufbau und die Struktur einzelner Proteine und Proteinkomplexe untersuchen, was für unsere Forschung nach Medikamenten, die an diese Moleküle andocken sollen, sehr wichtig ist», erklärt Christian Wiesmann, der Leiter dieses Bereichs bei Novartis. Auf dem Campus in Basel steht das einzige hochauflösende Elektronenmikroskop des Konzerns, daher werden hier auch Projekte aus den anderen Novartis-Forschungszentren in den USA bearbeitet.
Das Super-Mikroskop ist 3,80 Meter hoch, in seinem oberen Teil befindet sich eine Elektronenquelle. Die Elektronen werden durch ein Hochspannungsfeld beschleunigt, bevor sie auf das zu untersuchende Protein treffen und anschliessend mit einer hochauflösenden Kamera Bilder erzeugen. Nur die Mikroskopie via Elektronen ermöglicht diese enorme Genauigkeit; denn Licht kann die kleinen Distanzen zwischen Atomen nicht auflösen. Die Lichtwellenlänge ist zu gross, um diese kleinsten Bereiche fassbar machen zu können.
Gerät und Installationen haben Novartis rund 10 Millionen Franken gekostet. Damit die Erschütterungen von aussen, etwa von Tram oder Autos, nicht die Messungen stören, steht es auf einem Betonsockel. Darum ist es in einem der ältesten Gebäude des Campus mit seiner besonders stabilen Bauweise aufgestellt. Der fensterlose Raum ist vor elektromagnetischen Strahlen abgeschirmt, denn diese würden die Flugbahn der Elektronen stören.
Für neue Therapien
Für neue Krebstherapien, Augenheilmittel oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Forschende aus allen Bereichen von Novartis kollaborieren mit dem Kryo-Elektronenmikroskopie-Team, um Einblicke in Struktur und Funktion der Proteine zu bekommen, an die neue Wirkstoffe andocken sollen. Das Gerät nutzt auch das Friedrich-Miescher-Institut in einem Kooperationsabkommen mit Novartis.
Bevor die Proteine untersucht werden können, müssen sie jedoch schockgefroren werden. Sonst würden sie in dem Vakuum des Mikroskops verdampfen. Maryam Khoshouei arbeitet deswegen mit minus 170 Grad Celsius kaltem flüssigem Stickstoff, wenn sie die auf 3 Millimeter mit kleinen Trägernetzen eingefassten Proteine zur Untersuchung vorbereitet. «Läuft das Gerät, dann nehmen wir bis zu 400 Aufnahmen pro Stunde auf», sagt die Strukturbiologin.
Insgesamt sind 5000 bis 10’000 dieser Bilder nötig, um die Struktur eines Proteins bestimmen zu können. Dazu braucht es ausserdem Computer mit einer enormen Rechenleistung, um aus den gesammelten Daten die Lage der einzelnen Atome zu bestimmen und die dreidimensionale Form des Proteins zu berechnen. Für die Forschung nach neuen Therapien ist es sehr hilfreich, die genaue Struktur eines Proteins zu kennen, denn die Wirkstoffe sollen daran an ganz bestimmten Stellen ansetzen.
Auch das Coronavirus wurde mithilfe des Kryo-Elektronenmikroskops analysiert. Schon Anfang 2020, also kurz nach seinem Auftauchen, wurde die erste Struktur des typischen Spikeproteins veröffentlicht, inzwischen sind Hunderte Strukturen von CoronavirusProteinen bekannt und haben zum Verständnis der Wirkungsweise von Impfstoffen beigetragen.
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