«Das Strafrecht ist kein Moralkodex»
Als erster Nacktwanderer stand heute ein Appenzeller vor Gericht. Sein Verteidiger sieht nichts Anstössiges am FKK-Wandern.

Weil er am 11. Oktober 2009 splitternackt gewandert war, ist ein 47-jähriger Herisauer am Donnerstag vor Ausserrhoder Kantonsgericht gestanden. Eine Frau hatte den Nacktwanderer angezeigt. Gegen die Busse von 100 Franken erhob der Mann Einsprache. Deshalb stand er als erster Nacktwanderer in Ausserrhoden vor Gericht. Die Anklage lautet auf «unanständiges Benehmen» laut kantonalem Strafrecht. Das ist ein Offizialdelikt. Das Urteil steht noch aus. Würde er verurteilt, müsste er auch die Verfahrenskosten von 870 Franken bezahlen.
Sein Verteidiger Puistola Grottenpösch, der bekannteste Schweizer Nacktwanderer, plädierte auf Freispruch. Grottenpösch trat bei Kurt Aeschbacher im TV-Studio auf. Vor Ausserrhoder Gerichten dürfen auch Nicht-Juristen Angeschuldigte vertreten, sofern sie dies unentgeltlich tun.
An Rehabilitationszentrum vorbei gewandert
Seit der Revision des Strafgesetzbuchs von 1992 sei das Schweizer Strafrecht «kein Moralkodex mehr», argumentierte Grottenpösch. Die Anklage wirft dem Nacktwanderer vor, er sei an jenem Tag im Gebiet Nieschberg an einer Feuerstelle und am christlichen Rehabilitationszentrums «Best Hope» vorbei gewandert.
Besonders pikant: Die Villa, in der «Best Hope» heute Drogenkranke therapiert, wurde 1907/08 vom Herisauer Fabrikanten, Atheisten, Vegetarier und Freimaurer Ernst Ulrich Buff (1873-1931) erbaut. Buff war ein leidenschaftlicher Kämpfer für eine naturgemässe Lebensweise – und Herisauer Gemeinderat (Exekutive).
Die Villa «Sorgenfrei» wurde vom Kölner K. Grunwald, einem Pionier des Gesundheitsbaus, erstellt. Auf diese Naturisten-Tradition am Nieschberg bezog sich Puistola in seiner Verteidigung. Der Weg, den der Nacktwanderer benützte, sei 67 Meter von der Villa entfernt und nicht einsehbar. Die Frau, die den Nackedei anzeigte, sei hinter ihm her gelaufen.
Light-Version des Unzuchts-Artikels
Das «unanständige Benehmen» im kantonalen Strafrecht sei lediglich eine Light-Variante des abgeschafften Unzuchts-Artikels im Strafgesetzbuch. Nacktheit an sich verletze kein Rechtsgut. Der Nacktwanderer habe sich weder schamlos noch unanständig benommen.
Der Mann wähle bewusst wenig begangene Wege und wandere nie nackt auf Massen-Wanderrouten: Er fühlt sich in grossen Menschenmassen nicht wohl - «mit und ohne Hose,» sagte Puistola Grottenpösch.
Der Angeschuldigte bestätigte, er wandere seit rund zwei Jahren nackt. Im Sommer bade er seit Jahren problemlos nackt. Leute, die ihm beim Nacktwandern begegneten, grüssten ihn meistens freundlich. Manchmal werde er auch ausgelacht.
Auf FKK-Gelände zu wandern, wäre eine unsinnige Einschränkung, sagte Puistola Grottenpösch: Nur ein Promille-Bruchteil der Fläche der Schweiz stehe dafür zur Verfügung. Ausserdem habe die Polizei gesagt, wenn es nicht «allzu deftig» sei, dürfe man hüllenlos wandern. In der Tat erklärte die Ausserrhoder Polizei, sie werde keine Jagd auf Nacktwanderer veranstalten.
SDA/oku
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