Das Schweigen der Frauen
Lohngleichheit: Warum tut sich die Schweiz so schwer?
Schweizer machen ums Geld gerne ein Geheimnis. Sie sprechen nicht über ihre Bankkonten, ihre Steuern, ihren Lohn. Diese Schweigsamkeit kann man als vornehm betrachten, doch ist sie auch ein Hindernis.
Zum Beispiel auf dem Weg zur Gleichstellung von Mann und Frau. Bald dreissig Jahre ist der Grundsatz «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» bereits in unserer Bundesverfassung verankert. In der Realität bleibt er aber ein Traum: Frauen verdienen im Schnitt noch immer zwanzig Prozent weniger als Männer. Rund vierzig Prozent dieser Differenz basieren auf Diskriminierung; der Unterschied lässt sich also nicht mit der Ausbildung, dem Dienstalter oder der Arbeitsfunktion erklären.
Schuld an diesem Missstand ist auch die fehlende Transparenz: die Schweizer Lohndiskretion. Wer sich über sein Salär nicht austauscht, weiss nicht, ob er gegenüber den Kollegen benachteiligt wird. Ihm, oder besser: Ihr fehlt der Vergleich.
Die Angst vor den Konzernen
In den USA machen Frauenlöhne zurzeit Schlagzeilen. Grosskonzerne stehen am Pranger. So soll Pharma- riese Novartis dort Mitarbeiterinnen über Jahre hinweg systematisch diskriminiert haben. Es geht um Geld, Karrieren und sexistische Witze. Mit ähnlichen Vorwürfen sehen sich auch Computerhersteller Dell oder Detailhandelsgigant Wal-Mart konfrontiert.
Offensichtlich spricht dort Frau über ihren Lohn und erhebt sich, wenn sie sich unfair behandelt fühlt. Allein letztes Jahr zählte die amerikanische Gleichstellungskommission insgesamt 28'000 Klagen wegen Geschlechterdiskriminierung am Arbeitsplatz. Der Fall Novartis ist in den USA also nur einer unter vielen.
Hierzulande ist trotz konstatierter und kritisierter Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau kein Name eines grösseren Konzerns bekannt, der wegen ungerechtfertigter Salär- differenzen eingeklagt worden wäre. Die zirka 220 Lohnklagen der total rund 450 Gleichstellungsverfahren, die bisher in der Deutschschweiz von Schlichtungsstellen und Gerichten behandelt wurden, betreffen kleine sowie öffentlich-rechtliche Unternehmen. Fast scheint es, dass nur Krankenschwestern, Lehrerinnen oder Kindergärtnerinnen sich gegen Lohnungleichheit zur Wehr setzen.
Dabei bietet das Gleichstellungs- gesetz eigentlich eine gute Grundlage, um Ansprüche durchzusetzen. Nicht einfach so prophezeiten die Gesetzesgegner bei der Einführung 2006 eine Flut von Lohnklagen. Nun stellt sich heraus: völlig zu Unrecht.
Klägerinnen riskieren viel
Ist der Lohn ein Tabu, so verhindert dies auch Klagen. Kollegen nach ihrem Salär zu fragen, braucht Mut. Für das gleiche Gehalt zu kämpfen, braucht überdies enorme Energie.
Klägerinnen riskieren viel. Sie stolpern nicht nur über fehlende Beweise. Oft warten die Frauen auch jahrelang auf ein Urteil. Der Arbeitsalltag im beschuldigten Betrieb wird so zur Hölle. Wer sich exponiert, ist verletzlicher. Die Angst vor einer Kündigung steigt. Kein Wunder, klagen in der Privatwirtschaft fast alle Frauen erst, wenn sie ihren Arbeitgeber schon verlassen haben. Im öffentlichen Dienst bleiben immerhin über die Hälfte am Arbeitsplatz. Allerdings ist es dort auch einfacher, sich zusammenzutun und als Berufsgruppe zu klagen. Beim Staat gibt es transparente Lohnklassen. Man weiss gemeinhin, wie viel ein Lehrer oder eine Kantonsangestellte verdient. In den Banken und Versicherungen, den IT-Firmen und Medienhäusern handeln Arbeitgeber und -nehmer die Saläre aber meist individuell aus. Das erschwert Klägerinnen nicht nur die Beweisarbeit. Sie müssen auch allein um ihre Rechte kämpfen.
So lässt sich die Lohnschere kaum schliessen. Wegen Sonderzahlungen besteht im privaten Sektor sogar eher die Gefahr, dass sie sich noch mehr öffnet. Selbst Kaderfrauen stehen im Wettstreit um Gewinnbeteiligungen oder Prämien in der Schweiz auf verlorenem Posten. Ihre männlichen Kollegen profitieren deutlich mehr von solchen Boni. Auch da realisieren die Frauen, wenn überhaupt, erst im Nachhinein, dass sie schlechter behandelt wurden. Ihre Lohndiskretion erwies sich einmal mehr als Fehler.
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