Rücktritt von Valentin Stocker«Ich werde die Rolle des Schülers einnehmen – ohne Arroganz»
Nach seinem Rücktritt will Valentin Stocker seinen Rucksack füllen, um dem FCB in anderer Funktion zu helfen. Am Sonntag will er sich nochmal auf den Rasen schleppen.

Das war es, es gibt keine Fragen mehr an den Captain oder den Mitbesitzer. Auch nicht von Stockers Mitspielern, die jetzt knapp 45 Minuten den Worten ihres Captains gelauscht haben und sich – nach einer weiteren Runde Applaus – wieder in die Kabine zurückziehen.
Wie sehr wird Stocker dem Rest der Liga fehlen? «Es ist wahrscheinlich schon so, dass ich in den letzten Jahren den Schweizer Fussball mitgeprägt habe. Wenn du vier, fünf Mal gegen einen Gegner spielst, dann hast du am Ende 30, 40 Mal gegen diesen Club gespielt. Es ist auch schön, dass ich dem Schweizer Fussball ein bisschen fehlen werde.»
Wie wichtig ist Stocker die Darstellung des «unkonventioneller» Spielers? «Mir ist wichtig, dass ich authentisch bin. Wenn Sie Themen wie zum Beispiel meine Ernährung ansprechen, dann sind das Dinge, die für mich normal sind. Nicht unkonventionell. Und mir ist natürlich bewusst, dass ich als Fussballer aus einer Position der Stärke argumentieren kann. Viele andere haben nicht die Möglichkeit, ihre Meinung so zu verbreiten wie ich das kann.»
Hat er die nötige Geduld? «Für mich ist es immer wichtig, dass man die Rolle des Schülers einnimmt, wenn man etwas Neues beginnt. Ohne Arroganz und Überheblichkeit. Dass man von ganz unten anfängt. Es ist mir wichtig, dass kein Druck geschürt wird und dass ich mir die Zeit nehmen kann. Ich will meinen Rucksack füllen – aber vielleicht kann ich mein Wissen und meine Erfahrung vereinzelt schon zu einem früheren Zeitpunkt einbringen. Wenn ich mir das zutraue, werde ich meine Meinung sagen, wenn man mich fragt.»
Nochmal zurück zum Anfang: Was reizt Stocker eigentlich am Sportchef-Posten? «Da ist sicher meine Verbundenheit zu Rotblau. Ich habe das Gefühl, dass ich gerne einen Part übernehmen will, auf ehrliche und offene Art einen Weg zu finden zwischen Mannschaft, Trainer und Clubführung. Da kann ich mit meiner Erfahrung sicher einiges weitergeben. Es wird wichtig sein, was die nächsten Monate bringen. Wo sehe ich meine Stärken? Es gibt sicher Sachen, die gerne machen. Und Sachen, die ich weniger gerne mache. Darum kann ich jetzt nicht sagen: Ich finde alles gut und will alles machen. Das muss ich herausfinden.»
Was wird in Erinnerung bleiben, wenn Stocker mit etwas Abstand auf seine Karriere blickt? «Besonders der Meistertitel 2014, als die Menschen gesungen haben, dass ich bleiben soll. Und auch vor knapp einem Jahr, als die Basler Fans für mich auf die Strasse gingen, als ich ungerechterweise beurlaubt worden bin. Aber sobald ich länger nachdenke, fallen mir so viele Spiele und Erinnerungen ein. Es gab so viele grossartige Sachen, die mich mit einer Dankbarkeit erfüllen. Ich muss das alles mal in Ruhe verarbeiten.»
Wird Stocker nach der Karriere weiterspielen, in einer Senioren-Mannschaft mit den alten Freunden von damals? Stocker sagt mit einem Lächeln auf den Lippen: «Dafür sind mir meine Füsse noch zu heilig im Moment. Wer weiss, vielleicht werde ich in zwei, drei Jahren mit den Jungs spielen. Angebote habe ich jedenfalls schon genug.»
Stocker zum geplanten Abschiedsspiel. «Ich fand die Idee immer schön, mich an der Seite von ein paar meiner Wegbegleiter zu verabschieden. Natürlich auch mit dem Gedanken, dass man bei so einem Anlass etwas für einen guten Zweck unternehmen kann. Darum war es mir auch ein Anliegen, dieses Abschiedsspiel zu haben. Aber ich werde mich auch am Sonntag gegen zum letzten Saisonspiel auf den Platz schleppen, keine Angst».
Ist Stocker eigentlich gefragt worden, wenn es um den neuen Trainer geht? Degen sagt nur: «Sie wollen zu viel wissen».
Es geht jetzt um den Verwaltungsrat des FCB. Degen sagt: «Sie können davon ausgehen, dass der Verwaltungsrat sehr nah an den sportlichen Entscheidungen dran ist. Es geht nämlich auch um das Menschliche. Jeder Mensch sieht etwas anderes. Und wichtig ist beim FCB: Mentalität und Charakter. Denn Mentalität schlägt Talent.»
Wird sich die Rolle von Marco Streller verändern, dessen Name ja gerade gefallen ist? «Wenn er etwas ändern will, dann soll er zu mir kommen. Meine Türe steht immer offen. Aber es ist tatsächlich so, dass Marco in unsere Gruppe gekommen ist, die Entscheidungen im Bezug auf die Mannschaft trifft. Das können Sie Transferkommission nennen oder Technikkomission. Darin sitzen auch Philipp Kaufmann und der eine oder andere mehr – das will ich aber nicht hier ausbreiten. Marco hat andere Ansichten auf den Fussball als ich. Auch da geht es darum, dass man im Gremium die besten Entscheidungen trifft».
Hat sich Stocker mit ehemaligen Weggefährten ausgetauscht? «Es ist ja bekannt, dass ich zu Marco Streller eine spezielle Beziehung habe. Er und auch Alex Frei werden Gold wert sein, wenn es darum geht, sich auszutauschen. Da gibt es aber auch noch zwei, drei andere Namen, die ich gerne sehen und treffen würde. Zum Beispiel Georg Heitz oder Peter Knäbel, Menschen aus meiner alten Heimat Berlin. Das sind Namen, die mir gerade durch den Kopf gehen. Es geht mir darum, einen möglichst breiten Einblick zu erhalten.»
David Degen sagt zu dem Thema? «Valentin ist frei in seinen Entscheidungen. Ab dem Herbst kann er uns vielleicht in gewissen Dingen bereits unterstützen. Sein Denken ist anders. Denn klar ist auch: Ich entscheide hier nicht alleine, auch wenn das viele immer denken. Was die Rolle des Sportchefs angeht ist klar, dass es für den Club stimmen muss. Wir werden das behutsam machen. Wenn sich mit Vali die Möglichkeit auftut, dann werden wir das sehen. Stand heute haben wir aber keinen Kandidaten, der den Posten so ausführen wird, wie wir uns das vorstellen».
Was erwartet Stocker von seiner Ausbildung? «Für mich ist wichtig, meinen Rucksack zu füllen. Es ist zentral, dass ich einen massgeschneiderten Plan habe. Sei das in St. Gallen, bei der Uefa, der Fifa, da werde ich mir Sachen suchen, die zu mir passen. Mir ist es ein Anliegen, dass Entscheidungen auf mehreren Schultern verteilt werden. Ich muss schauen, wo ich meine Kernkompetenzen sehe. Und das bedeutet, ein Vertrauen aufzubauen».
Degen sagt zu dem gleichen Thema folgendes: «Vali kann sich die Zeit nehmen, die er benötigt. Er bestimmt den Zeitpunkt, wann es soweit ist. Es geht überhaupt nicht darum, Druck aufzusetzen. Das ist extrem wichtig. Ich kenne ihn gut, besser als andere ihn kennen. Er hat ein grosses Potenzial, den Job bestmöglich für den FCB auszuführen. Wir durften viele Situation zusammen erleben. In Gesprächen hat man gesehen, dass er seinen Mann steht. Vali ist einer, der steht, egal wie fest der Wind bläst. Wichtig ist, für seine Meinung einzustehen. Und genau das tut er.»
Wie geht es jetzt weiter nach dem Saisonschluss? «Mir ist wichtig, dass ich etwas Zeit zum Abschalten habe, bevor ich hier irgendwelche Statements abgebe, an denen man mich nachher aufhängen kann».
War das 100. Tor noch wichtig für ihn? «Es war mir wichtig, dass ich diesen Meilenstein noch erreiche, ja. Darum freue ich mich, dass Tomas Tavares mir das 100. Tor aufgelegt hat – und Wouter Burger den 101.»
Wäre ein weiteres Jahr auf dem Rasen noch möglich gewesen? «Es war ein Abwägen von verschiedenen Aspekten. Wichtig war mir, das Private und das Berufliche zu trennen. Es war meine persönliche Entscheidung. Mir war es auch wichtig, dass ich gesehen habe, mit meinem Knie und meiner Achillessehne einen zusätzlichen Aufwand zu betreiben. Und ich muss mich vielleicht auch mehr anstrengen, um von euch Journalisten mal eine genügende Note zu bekommen».
Das Pressezentrum füllt sich immer mehr, die gesamte Mannschaft sitzt im hinteren Teil des Raumes und applaudiert dem abtretenden Captain. Auch David Degen sitzt vorne auf dem Podium und klatscht in die Hände. Der 33-Jährige ist sichtlich gerührt und sagt: «Ich habe es immer als meine Aufgabe gesehen, die Mannschaft besser zu machen. Ohne mich dabei in den Vordergrund zu stellen. Und ich hoffe, dass ich auch in Zukunft meinen Teil dazu beitragen kann, dass wir weiter erfolgreich sind – oder noch erfolgreicher werden. Und ich denke mir: Was gibt es schöneres, als mich mit 101 Toren, über 400 Spielen und 19 Skorerpunkten zu verabschieden?».
Degen wird gefragt, was der Rücktritt des Captains eigentlich für Auswirkungen auf das Team hat. Er sagt: «Die anderen Spieler sind jetzt mehr in der Verantwortung. Es ist klar, dass Vali seine Leistungen gezeigt hat und der Druck geht jetzt noch ein bisschen mehr in die Richtung der anderen.»
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