Neue UnkrautvernichterDas plant Syngenta nach dem Pestizid-Triumph
Der Agrarchemieriese schwenkt um: Trotz dem Abstimmungssieg soll das Umweltrisiko durch Unkrautvernichter in Europa reduziert werden.

Eigentlicher Gewinner bei beiden Agrarinitiativen sind nicht die Bäuerinnen und Bauern – sondern Syngenta, der weltgrösste Hersteller von synthetischen Pflanzenschutzmitteln. Sein Spritzmittel Avoxa gegen Unkräuter und Ungräser in Getreidefeldern wird nun weiter in der Schweiz versprüht.
Doch die Landwirtschaft soll sich in den nächsten Jahren auch ohne die gescheiterten Initiativen stark ändern. Zum einen wegen eines geplanten Pestizidgesetzes. Zum anderen wegen der neuen Trends zu Präzisionslandwirtschaft und geneditiertem Saatgut.
Neues Gesetz in Planung
«Der Markt bei Pflanzenschutzmitteln wird sich verändern», sagt Olivier Felix vom Bundesamt für Landwirtschaft. Anfang 2023 soll ein neues Gesetz die Reduktion der Risiken von Pestiziden vorschreiben, bis Mitte August sind die neuen Vorschriften in der Vernehmlassung.
Vorgesehen ist, dass alle zugelassenen Spritzmittel neu überprüft werden müssen. Solche, die im Vergleich zu anderen Produkten ein höheres Risiko für Biodiversität und Gewässer darstellen, dürfen von Landwirten, die Direktzahlungen bekommen, nicht mehr eingesetzt werden.
«Zeichnet sich ab, dass die Risiken nicht zurückgehen, kann für hochtoxische Pestizide die Zulassung zurückgezogen werden.»
Ziel ist, die Risiken bis 2027 zu halbieren. In einem Zwischenbericht soll 2025 festgestellt werden, ob dieser Zeitplan eingehalten werden kann. «Zeichnet sich ab, dass die Risiken nicht zurückgehen, kann für hochtoxische Pestizide die Zulassung zurückgezogen werden», erklärt Felix.
Sprich: Reicht der Stupser bei den Landwirten über die gestrichenen Direktzahlungen nicht aus, dann werden riskante Spritzmittel vom Markt genommen. (Lesen Sie hier über erste Ergebnisse des Reduktionsplans in einem Berner Pilotprojekt.)
Syngenta braucht Jahre für ein neues Produkt
Für Syngenta heisst das, dass sich die Firma mit neuen Produkten positionieren muss, um weiter im Geschäft zu bleiben. Das gilt für den ganzen europäischen Markt, denn die Regeln in der Schweiz und der EU sind harmonisiert. Die EU hat mit ihrem Green Deal ähnliche Reduktionsziele. «Null Rückstände ist zwar unmöglich, aber wir haben es geschafft, die Abbauzeit und die Rückstände in der Ernte und dem Boden extrem stark zu reduzieren», sagt Forschungschefin Camilla Corsi.
Syngenta muss Trends früh vorwegnehmen können. Denn um einen Wirkstoff zu finden und auf seine Umweltrisiken zu testen, braucht Syngenta bis zu vier Jahre. Die Kosten dafür belaufen sich im Schnitt auf rund 280 Millionen Dollar. Weitere fünf bis sechs Jahre dauert das Zulassungsverfahren. Viel dieser Arbeit geschieht in der Schweiz: Das grösste Forschungszentrum des inzwischen nach China verkauften Konzerns liegt immer noch in Stein AG.
Obwohl der Konzern weiterhin das hochgiftige Spritzmittel Paraquat vertreibt, arbeitet er schon seit Jahren auch an risikoärmeren Chemikalien. Syngenta will nicht nur die Rückstände reduzieren, die Pestizide sollen auch zielgenauer werden.
«Wir müssen dazu auch wissen, wann, wo und in welchen Mengen Pflanzenschutzmittel genau zum Einsatz kommen.»
Um Risiken zu reduzieren, muss man diese auch messen. «Dafür braucht es transparente, risikobasierte Indikatoren, die das Schadenpotenzial für Mensch und Umwelt berücksichtigen», sagt Robert Finger, Professor für Agrarökonomie und -politik an der ETH Zürich. Die Zielerreichung sollte zudem regelmässig überprüft werden und die Ergebnisse öffentlich zugänglich sein. «Wir müssen dazu auch wissen, wann, wo und in welchen Mengen Pflanzenschutzmittel genau zum Einsatz kommen», fordert Finger.

Laut Olivier Felix, der beim Bundesamt für Landwirtschaft den Aktionsplan Pflanzenschutzmittel koordiniert, sollen die Messungen die Giftigkeit einer Substanz definieren und die vorgesehenen Reduktionsziele für die nächsten fünf Jahre berücksichtigen.
«Das Geschäftsmodell hat sich nicht verändert. Mit dem Wechsel zu weniger giftigen Produkten will Syngenta nur künftigen Verboten zuvorkommen.»
Die Pestizide in der Schweiz dürften also auch ohne Generalverbot umweltfreundlicher werden. Für die Menschenrechtsorganisation Public Eye bleibt Syngenta trotz dem Wandel ein unverantwortliches Unternehmen. «Das Geschäftsmodell hat sich nicht verändert. Mit dem Wechsel zu weniger giftigen Produkten in Europa will Syngenta nur künftigen Verboten zuvorkommen», kritisiert Sprecher Oliver Classen. Dem Konzern gehe es nach wie vor allein um Rendite.
Nicht nur den Ansprüchen von NGO, auch den eigenen Wachstumszielen konnte Syngenta nicht genügen. Das zeigt ein Rückblick: 2013 setzte sich der Konzern die Vorgabe, bis 2020 allein bei «strategischen Nutzpflanzen» wie Mais oder Weizen einen Jahresumsatz von 25 Milliarden Dollar zu erzielen. Die Getreidepreise boomten damals, und der Konzern wuchs jährlich um rund zehn Prozent. Tatsächlich erreichte der Gesamtumsatz von Syngenta im vergangenen Jahr gerade einmal 14,3 Milliarden Dollar, und das Wachstum lag bei fünf Prozent.
Isabel Strassheim ist seit 2019 Wirtschaftsredaktorin bei Tamedia. Sie berichtet aus Basel vor allem über die Pharma- und Chemiebranche.
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