Ärger in der SessionDas Parlament muss das Geld für die Impfdosen von 2022 bewilligen
Bei der Beschaffung von Corona-Vakzinen sind dem Bund Fehler unterlaufen. National- und Ständerat fühlen sich übergangen – und wollen für 2023 weniger Arzneien kaufen.

«Wir sind bestürzt», sagte Sarah Wyss (SP, BS), Vizepräsidentin der nationalrätlichen Finanzkommission, am Mittwochmorgen vor den Medien. Und: «Es steht ausser Frage, dass das Parlament nicht übergangen werden darf.»
Dass es bei der Impfstoffbeschaffung zu Fehlern gekommen ist, war vergangene Woche bekannt geworden: Gesundheitsminister Alain Berset eröffnete eine Administrativuntersuchung. Die Resultate werden erst im August vorliegen. Doch die Bundesverwaltung hat über Pfingsten einen ersten Bericht mit einer Auslegeordnung verfasst. Was die Überprüfung zutage förderte und was nun geschieht.
Was hat die Sache ins Rollen gebracht?
National- und Ständerat müssen in der laufenden Session über Nachtragskredite entscheiden. Der Ständerat will einen Nachtragskredit von 314 Millionen Franken für die Impfstoffbeschaffung im Jahr 2022 auf 68 Millionen Franken kürzen. Er ist der Ansicht, es brauche nur 20 statt 33 Millionen Impfdosen. Während der Debatte zeigte sich aber, dass diese Kürzung eventuell gar nicht möglich ist, weil manche Verträge mit Impfstoffherstellern bereits unterschrieben sind – ohne Vorbehalt der Zustimmung durch das Parlament. Am Mittwochnachmittag ist der Nationalrat am Zug.
Kann das Parlament den Nachtragskredit nun kürzen oder nicht?
Das Parlament kann den Nachtragskredit für das Jahr 2022 nicht ohne Konsequenzen kürzen: Wird die beantragte Summe nicht gesprochen, wird die Eidgenossenschaft gegenüber den Impfstoffherstellern vertragsbrüchig. Allerdings geht es um einen geringeren Betrag als angenommen. Die Überprüfung ergab nämlich, dass nicht 314 Millionen Franken nötig sind, sondern lediglich 234 Millionen. Zu diesem Fehler kam es unter anderem, weil bereits bezahlte Reservationsgebühren «versehentlich» erneut kalkuliert wurden.
Hat der Bund das Parlament übergangen?
Das wird die Administrativuntersuchung klären. Diese wird auch Verantwortliche benennen. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass die vorgesehenen Abläufe in mehreren Fällen nicht exakt eingehalten wurden.
Was genau ist schiefgelaufen?
Fall Nummer 1: Der Bundesrat hat im Dezember 2021 entschieden, mit Impfstoffherstellern Optionen für die Beschaffung zusätzlicher Impfstoffdosen für das Jahr 2022 auszulösen. Zu diesem Zeitpunkt war unklar, ob die Mittel durch den Voranschlagskredit gedeckt waren. Der Bundesrat entschied deshalb, allenfalls nötige Mittel per Nachtrag zu beantragen. Ob dies rechtskonform war, wird die Administrativuntersuchung zeigen.
Allerdings konnte sich der Bund bei den meisten Vertragsabschlüssen mit Impfstoffherstellern auf einen vom Parlament bewilligten Verpflichtungskredit abstützen. Mit einem solchen Kredit ermächtigt das Parlament den Bund grundsätzlich, Verpflichtungen einzugehen. Danach muss das Parlament noch der Zahlung zustimmen. Wird ein Vertrag abgeschlossen, für den das Parlament der Zahlung noch nicht zugestimmt hat, muss im Vertrag ein Vorbehalt eingefügt werden.
Fall Nummer 2 und 3: Die Überprüfung ergab, dass sich der Bund in zwei Fällen nicht auf einen vom Parlament bewilligten Verpflichtungskredit abstützen konnte. Ein Fall war bereits bekannt und betrifft das Jahr 2020. Der andere Fall betrifft das Jahr 2021: Beim Abschluss eines Anfang Mai 2021 unterzeichneten Vertrages hatte das Parlament den notwendigen Verpflichtungskredit noch nicht gesprochen. Zwar wurde ein Vorbehalt eingebaut. Dieser war jedoch bis Ende Mai befristet. Das Parlament bewilligte die Erhöhung des Verpflichtungskredits erst im Juni 2021.
Was hat die Finanzkommission nun beschlossen?
Die Finanzkommission beantragt dem Nationalrat, dem Nachtragskredit von 234 Millionen für das Jahr 2022 ohne Kürzung zuzustimmen. Den Verpflichtungskredit für das Jahr 2023 will die Kommission dagegen kürzen, und zwar von 780 Millionen auf 672 Millionen Franken. Dem Rat liegen auch Anträge für höhere Kürzungen vor. Der Ständerat hat sich für eine Kürzung auf 300 Millionen ausgesprochen. Die Befürworter einer Kürzung sind der Ansicht, dass es weniger Impfdosen braucht. Der Bundesrat will für 2023 14 Millionen Impfdosen beschaffen. Fest steht, dass bei einer Kürzung die Impfstoffverträge nichtig werden: Der Bund müsste neue Verträge aushandeln. Damit würde eine bereits geleistete Reservationsgebühr im Umfang von über 26 Millionen Franken verfallen. Zudem ist laut dem Innendepartement (EDI) ungewiss, ob solche Neuverhandlungen das gewünschte Resultat brächten.
Wie rechtfertigt Gesundheitsminister Alain Berset das Vorgehen?
Das Innendepartement (EDI) von Bundesrat Alain Berset schreibt im Bericht, es sei dem Bund nicht immer möglich gewesen, Zahlungsvorbehalte in den Verträgen vorzusehen. Das Ziel sei gewesen, so rasch wie möglich genügend Impfstoffdosen zu sichern. Weiter weist das EDI darauf hin, dass der Bundesratsentscheid vom Dezember 2021 in eine Zeit fiel, in der sich die neue Omikron-Variante rasant verbreitete. Es sei unklar gewesen, wie gefährlich diese sei und ob allenfalls adaptierte Impfstoffe notwendig seien. Der Bundesrat wolle gewährleisten, dass die Bevölkerung Zugang zum jeweils wirkungsvollsten verfügbaren Impfstoff habe und dass Ausfallrisiken einzelner Hersteller minimiert würden. Deshalb sei es sinnvoll, weiterhin auf eine sichere Beschaffungsstrategie zu setzen. Diese Strategie habe der Bundesrat nicht zuletzt auf Basis der Diskussionen im Parlament gewählt. Damit werde bewusst in Kauf genommen, dass zu viel Impfstoff beschafft werde und dass ein Teil der Dosen entweder verkauft, weitergegeben oder allenfalls vernichtet werden müsse. Ähnlich äusserte sich Gesundheitsminister Alain Berset diese Woche in der Fragestunde des Nationalrates.
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