Kolumbiens Ex-Präsident verhaftet«Das ist nicht zu glauben»
Kolumbiens Öffentlichkeit ist erschüttert. Denn der Mann, der das Land in den letzten zwanzig Jahren geprägt hat wie kein Zweiter, ist verhaftet worden. Ex-Präsident Álvaro Uribe soll Zeugen bestochen haben.

Ein Erdbeben. Das ist kein besonders origineller Vergleich, aber auf die jüngsten Ereignisse in Kolumbien trifft er zu.
Am Dienstag haben fünf Magistraten des kolumbianischen Obergerichts einstimmig die Verhaftung von Álvaro Uribe angeordnet. Er wird beschuldigt, Zeugen bestochen zu haben. Zwar kommt der 68-Jährige nicht ins Gefängnis, sondern muss in Hausarrest auf seinen Prozess warten. Sollte er verurteilt werden, drohen ihm 12 Jahre Haft.
Das ist etwa so, wie wenn die deutsche Justiz Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl festgenommen hätte.
Álvaro Uribe ist in Kolumbien die überragende politische Figur der letzten Jahrzehnte. Als Präsident erreichte er zwischen 2002 und 2010 historische Popularitätswerte. Er ist Begründer der rechtskonservativen Regierungspartei Centro Democrático und politischer Ziehvater des amtierenden Staatschefs Iván Duque.
Dass die Justiz gegen kolumbianische Ex-Präsidenten ermittelt, ist normal.
Nach Ablauf seiner eigenen Amtszeit hat er sich nicht zurückgezogen, wie es für einen Ex-Präsidenten in Kolumbien üblich ist, sondern er hat für den Senat kandidiert. Zweimal ist er mit einem Glanzresultat gewählt worden, 2018 mit dem besten in Kolumbiens Geschichte.
Und dieser Mann ist verhaftet worden? Dass die Justiz gegen kolumbianische Ex-Präsidenten ermittelt, ist normal. Allein gegen Uribe laufen fast 60 Verfahren, die Vorwürfe reichen von Mord über Drogenschmuggel bis Stimmenkauf. Aber noch nie haben die Ermittlungen zur Festnahme eines früheren Staatsoberhaupts geführt. Bis zum Dienstag, dem 4. August. «Das ist nicht zu glauben», schreibt die Zeitschrift «Semana».
Drei Dinge waren es, die Uribe als Präsidenten populär machten: Erstens wirkte der in Medellín geborene Sohn eines Viehzüchters auf viele glaubwürdig, wenn er sich gegenüber der arroganten Oligarchie aus der Hauptstadt Bogotá als Aussenseiter gebärdete. Seine hemdsärmelige Art, seine volkstümliche, oft derbe Sprache halfen ihm dabei.

Zweitens erlebte Kolumbien während Uribes Präsidentschaft in den Nullerjahren einen grossen wirtschaftlichen Aufschwung. Das lag zwar vor allem an den hohen Weltmarktpreisen für Rohstoffe und Agrarprodukte; es ging damals ganz Lateinamerika vergleichsweise gut, auch links regierten Ländern wie Brasilien, Argentinien oder Bolivien. Aber Uribes Beliebtheit profitierte trotzdem davon.
Und drittens ging der frühere Anwalt mit militärischer Härte gegen die linke Guerilla vor. Ihren einsamen Höhepunkt erreichte Uribes Popularität, als es der kolumbianischen Armee am 2. Juli 2008 in einer spektakulären Operation gelang, die grüne Politikerin Ingrid Betancourt und weitere Geiseln der marxistischen Rebellentruppe Farc zu befreien. Dass sein Nachfolger Juan Manuel Santos später mit den Rebellen Frieden schloss, betrachtet Uribe bis heute als Verrat am Vaterland.

In Uribes Regierungszeit ereigneten sich aber auch viele Skandale. Der Geheimdienst bespitzelte ohne rechtliche Grundlage Oppositionelle, Richter und Journalisten. Die Armee ermordete mehr als 2200 Unschuldige, zumeist Jugendliche aus Elendsvierteln. Um ein von Uribe ausgesetztes Kopfgeld auf Guerilleros einzustreichen, behaupteten die Soldaten danach, die Toten hätten der Farc angehört.
Und immer wieder geriet Uribe in Verdacht, Komplize, Mitglied oder sogar Mitbegründer der schlimmsten Terrororganisation in Kolumbiens jüngerer Geschichte zu sein, der Paramilitärs.
Mehrmals verurteilten kolumbianische und US-amerikanische Richter enge Mitarbeiter des Präsidenten, weil sie mit der rechtsextremen Mördertruppe kollaboriert hatten. Und stets behauptete Uribe, er habe davon nichts gewusst. Seine Kritiker und Ankläger bezichtigte er seinerseits, Sympathisanten der Farc zu sein.
Mit den Paramilitärs hat auch Uribes Verhaftung zu tun. 2014 verklagte der Ex-Präsident den linken Senator Iván Cepeda. Dieser hatte behauptet, Uribe habe gemeinsam mit seinem Bruder eine paramilitärische Todesschwadron gegründet. Cepeda stützte sich auf die Aussagen mehrerer inhaftierter Paramilitärs. Uribe bezichtigte ihn, die Zeugen bestochen zu haben.
Für seine Anhänger ist es unerträglich
Nach jahrelangen Ermittlungen stellte die Justiz das Verfahren gegen Cepeda ein – und eröffnete stattdessen eines gegen Uribe. Er sei es gewesen, der die Inhaftierten durch Geld und Drohungen dazu bewegen wollte, ihre Aussagen zurückzuziehen. Laut dem Obergericht soll die Verhaftung des Ex-Präsidenten nun verhindern, dass er den Prozess gegen sich weiter zu beeinflussen versucht.
Nach seiner Festnahme twitterte Uribe: «Der Entzug meiner Freiheit stürzt mich in tiefe Traurigkeit wegen meiner Frau, meiner Familie und wegen all jener Kolumbianer, die noch immer glauben, ich hätte etwas Gutes fürs Vaterland getan.» In krasser Missachtung der Gewaltentrennung kritisierte der amtierende Präsident Iván Duque die Richter.
Uribes Verhaftung unterstreicht eine der wenigen positiven Entwicklungen in der jüngeren Geschichte Lateinamerikas: dass die Justiz, ob in Brasilien, Peru, Zentralamerika oder eben in Kolumbien, oft nicht mehr davor zurückschreckt, selbst die Mächtigsten anzuklagen und gegebenenfalls zu verurteilen.
Doch für Uribes Anhänger ist es unerträglich: Ehemalige Farc-Guerilleros, die schreckliche Verbrechen begangen haben, sitzen aufgrund des Friedensvertrages als Abgeordnete im Kongress. Und ihr grosser historischer Gegner in Hausarrest.
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