Das ist die Kurz-Strategie
Sebastian Kurz könnte am Sonntag Kanzler Österreichs werden. Politexperte Peter Filzmaier über das Erfolgsgeheimnis des jungen Spitzenkandidaten.

Österreich hat einen der schmutzigsten Wahlkämpfe seiner jüngeren Geschichte hinter sich. Wer wird bei den Parlamentswahlen am Sonntag davon profitieren?
Die Empörung über die vielen Schmutzkübel ist zwar gross in Österreich, aber wenn jeder nur über die jeweils andere Seite empört ist, ändert sich am Wahlverhalten wenig. Nachdem sich vor allem ÖVP und SPÖ angefeindet haben, dürften aber am ehesten die Oppositionsparteien profitieren, vor allem die FPÖ. Die Frage ist nur, in welchem Ausmass.
Aussenminister Sebastian Kurz von der ÖVP hat laut Umfragen gute Chancen, Österreichs neuer Bundeskanzler zu werden. Er rühmt sich, mit der Schliessung der sogenannten Balkanroute eine Heldentat vollbracht zu haben. Ist das der Hauptgrund für seine grosse Popularität?
Es ist einer der Gründe, obwohl Kurz seinen Einfluss auf gröbste Weise übertreibt. Denn es hat nicht eine Person allein die Balkanroute für Flüchtlinge geschlossen, und ein entscheidender Faktor war der Deal mit der Türkei.
Was macht Kurz richtig?
Am interessantesten finde ich, dass er eine neue Strategie verfolgt. In Deutschland hat Angela Merkel mit Stabilität argumentiert und Traditionen betont, während Emmanuel Macron in Frankreich seine ursprüngliche Partei, die Sozialisten, verlassen hat, um eine neue Bewegung zu gründen. Kurz versucht, einen strategischen Mittelweg zu gehen. Er bleibt bei seiner Partei und nutzt deren Strukturen, um ihr gleichzeitig das dynamische Image einer Bewegung zu verleihen. Das ist das Neue und Spannende. Bisher ist Kurz damit erfolgreich.
Video - Österreich vor dem Regierungswechsel
ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist Favorit auf das Kanzleramt (Tamedia/Reuters)
Mit seiner rechten Haltung beim Thema Migration und Integration konkurrenziert Kurz vor allem die FPÖ.
Ja, er versucht offensichtlich, der FPÖ ihr grosses Thema wegzunehmen. Bisher war es die Strategie der FPÖ, alle Probleme unter dem Aspekt der Zuwanderung zu diskutieren. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt? Wird laut FPÖ verschärft, weil Flüchtlinge den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen. Bildung? Immer mehr Flüchtlingskinder, die kein Deutsch sprechen, sind ein Riesenproblem für die Schulen. Sozialleistungen? Sind schwieriger zu finanzieren, wenn immer mehr Flüchtlinge Anspruch darauf haben. Die Zuwanderung in allen Facetten aufzugreifen und alle anderen Probleme damit zu verknüpfen, machte die FPÖ so erfolgreich. Noch vor kurzem hätte man sich nicht vorstellen können, dass der Partei jemand diese Strategie wegnehmen könnte.
Hat sich die FPÖ durch die unerwartete Konkurrenz auf ihrem ureigenen Territorium radikalisiert?
Nein, eher im Gegenteil. Die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Hans-Christian Strache haben betont ruhig und gelassen reagiert.
Das ist doch seltsam. Würde man nicht erwarten, dass die FPÖ noch einen draufsetzt, wenn ihr jemand das wichtigste politische Thema streitig macht?
Na ja, das wäre zumindest mit sehr grossen Risiken verbunden. Dann hätte nämlich die Kurz-Strategie lauten können: Wer rechte Standpunkte vertritt, aber nicht so radikal ist wie Strache, der landet automatisch bei mir. Man darf nicht vergessen, dass die FPÖ bei dieser Wahl 30 Prozent gewinnen will. Sie muss also auch für Wechselwähler und gemässigte Personen aus der politischen Mitte attraktiv sein. Ausserdem kann die FPÖ darauf hoffen, dass Kurz gewissermassen ihre bisherige Arbeit miterledigt, bisherigen FPÖ-Positionen Glaubwürdigkeit und Gewicht verleiht und die Partei so in der Wählergunst mit nach oben nimmt.
Mehrere FPÖ-Politiker haben oder hatten Verbindungen zu rechtsnationalistischen Burschenschaften oder zu sonstigen bräunlichen Personen und Gruppierungen. Sebastian Kurz auch?
Nein. Es gab höchstens ein paar vergleichsweise kleine Fälle. Kurz war mehrere Jahre lang Obmann der Jungen ÖVP, und in dieser Gruppierung gab es einige Studentenpolitiker, die auf dem Nachrichtendienst Whatsapp ganz üble antisemitische Anne-Frank-Witze gemacht haben. Das ändert aber nichts daran, dass Kurz rechte politische Positionen vertritt und trotzdem persönlich unverdächtig ist, ein Rassist oder Antisemit zu sein.
Gibt es sonstige Leichen in seinem Keller? Etwa im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen?
Im Wahlkampf sind zumindest keine zum Vorschein gekommen.
Worin besteht sein politisches Programm?
Interessanterweise greift sein Wahlprogramm nur in einem Kapitel das Thema Migration auf, aber in der Hälfte der anderen Kapitel kommt die Zuwanderung auch vor. Das ist quantitativ sogar mehr als im Wahlprogramm der FPÖ. Ansonsten hat Kurz die Strategie verfolgt, sich im Detail möglichst wenig festzulegen. Seine Wahlversprechen unterscheiden sich nicht von jenen anderer Parteien: Steuersenkungen, Bürokratie- und Verwaltungsreform, Bekämpfung der Kriminalität, Veränderungen zum Bessern in allen möglichen Bereichen. Eine wirkliche programmatische Zukunftsvision für Österreich ist bei Kurz bisher nicht zu erkennen, aber das wäre angesichts seines Alters von 31 Jahren wohl auch etwas viel verlangt.
Welches ist seine grösste Schwäche?
Zunächst muss man anerkennen, dass Kurz als Aussen- und Integrationsminister immer gut vorbereitet war und sich kaum je eine Blösse gegeben hat. Als Spitzenkandidat musste er sich dann in kurzer Zeit sehr viele Gebiete aneignen. Um es mal freundlich zu sagen: In den meisten dieser Sachgebiete ist er mehr Generalist als Spezialist.
Würden Sie Kurz als Populisten bezeichnen, vergleichbar mit einem Geert Wilders oder mit Marine Le Pen?
Nein, das wäre sehr unfair. Schon allein deshalb, weil Kurz überzeugter Europäer ist. Er sieht die EU als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems. Er hat auch versprochen, nur mit Parteien eine Koalition einzugehen, die sich zur Europäischen Union bekennen. Zu populistischen Regierungen wie der ungarischen oder polnischen hat er zwar deutlich weniger Berührungsängste als andere Politiker, aber es würde ihm nie in den Sinn kommen, ein Urteil des europäischen Gerichtshofes infrage zu stellen.
Gibt es eigentlich in der österreichischen Öffentlichkeit keine Bedenken, dass bald ein 31-Jähriger die Regierungsgeschäfte führen könnte?
Kurz' Alter war ein Thema, als er mit 25 Jahren Staatssekretär wurde. Aber das Problem hat er überwunden, weil ihm im Amt keine groben Fehler unterlaufen sind und er kommunikativ sehr gut auftrat. Jetzt kommt ihm zugute, dass er dank seiner Jugendlichkeit das Prinzip Veränderung glaubwürdiger vertritt, als es bei einem 65-jährigen Langzeitminister der Fall wäre.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch