Das fulminante Jahr des Bitcoin
Trotz Warnungen und Kritik hat sich der Preis der Kryptowährung mehr als verzehnfacht.

Wäre der Bitcoin eine Person, müsste man Mitleid mit ihm haben. Obwohl 2017 sein Jahr war, wurde er belächelt, beschimpft und verteufelt. Für kriminelle Machenschaften soll er verantwortlich sein. Sogar sein baldiges Ableben wurde mehrfach angekündigt. Die bekannteste Kryptowährung sprüht aber auch zum Jahresende vor Lebensfreude. Die nackten Zahlen sprechen für sie: Der Wert einer Bitcoin-Einheit hatte sich bis Mitte Dezember auf einigen Handelsplätzen verzwanzigfacht.
Bei knapp unter 1000 Dollar ins Jahr gestartet, notierte die digitale Währung gestern bei rund 14'000 Dollar. Auch wenn der Bitcoin-Kurs in den vergangenen Tagen zeitweise massiv einbrach, stellt seine Performance als Spekulationsobjekt mit einem Plus von über 1300 Prozent selbst die erfolgreichsten Aktien in den Schatten.
Je stärker der Bitcoin-Preis in den vergangenen Monaten anstieg, umso heftiger äusserten sich etablierte Banker und Ökonomen gegen das neue Phänomen. Jamie Dimon, Chef der US-Grossbank JP Morgan, bezeichnete den Bitcoin im September als Betrug und prognostiziert, die Währung werde in einem Crash enden. Der US-Manager liess sich zur Aussage verleiten, dass er seine Mitarbeiter sofort entlassen würde, sollten diese mit der Kryptowährung handeln.
Für Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Glückssträhne zu Ende geht. Auch UBS-Präsident Axel Weber machte keinen Hehl daraus, dass er nichts von der Bitcoin-Euphorie hält. Weber forderte, dass die Finanzaufsicht aktiv werde.
Widersprüchliches Verhalten
Es ist ein Novum, dass gestandene Banker staatliche Regulierungen herbeisehnen und sich als Beschützer der Kleinanleger aufspielen. Für den ehemaligen Privatbankier Konrad Hummler ist ihr Verhalten einfach zu durchschauen: «Immer wenn sich ein Sektor bedrängt fühlt, führt er den Schutz von Dritten an, um sich selbst zu schützen.» Schwieriger zu verstehen sei jedoch der Widerspruch, dass die obersten Bank-Chefs gegen die Kryptowährungen schiessen und die eigenen Banken zugleich im selben Bereich unternehmerisch tätig seien.
JP Morgan zieht offenbar den Einstieg ins Geschäft mit Bitcoin-Optionen in Betracht. Die UBS tüftelt – gemeinsam mit der Konkurrentin CS und anderen grossen Finanzinstituten – in der Londoner Fintech-Schmiede Level 39 an verschiedenen Blockchain-Projekten und hat bereits viel Geld investiert. Blockchain ist die den Kryptowährungen zugrunde liegende Technologie. Ihr wird das Potenzial zugeschrieben, viele Bereiche und Industrien zu revolutionieren.
Andere hiesige Finanzinstitute wie Falcon, Leonteq, Vontobel oder Swissquote reagierten schnell auf die weltweite Krypto-Euphorie um Bitcoin und seine über 1000 weiteren Artgenossen. Sie bieten Spekulanten Möglichkeiten, mit den bislang nicht regulierten Währungen zu handeln oder Bitcoin-Produkte wie Zertifikate zu erwerben. Seit Mitte Dezember können Investoren mittels Bitcoin-Terminkontrakten auch an den renommierten US-Derivatebörsen auf steigende oder fallende Kurse setzen. Die Nachfrage nach Produkten rund um Bitcoin ist offenbar zu gross, um diese zu ignorieren. In Tiefstzins-Zeiten, in denen sich Sparen nicht lohnt und Obligationen häufig mehr kosten als einbringen, sind viele Anleger für Experimente bereit.
Weder Hackerangriffe noch Emissionsverbote in Ländern wie China oder Warnungen vor der in Bälde platzenden Blase konnten den Höhenflug des Bitcoin in diesem Jahr stoppen. Die grösste Gefahr kam von «Innen», doch der Bitcoin überlebte die heftigen Diskussionen um Veränderungen in seiner Software. Im August kam es zu einer ersten Abspaltung («hard fork») des Bitcoin-Protokolls, wodurch die Konkurrenzwährung Bitcoin Cash entstand. Zwei Monate später folgte mit dem Bitcoin Gold eine zweite Abspaltung. Eine dritte Abspaltung war für November geplant (SegWit2x), wurde jedoch verschoben. Im Kern geht es um die Frage, wie die Speicherkapazität der Bitcoin-Blockchain erhöht werden soll, damit die Transaktionen zwischen Personen schneller und billiger werden, denn das Bitcoin-Netzwerk ist an die Grenzen seiner Kapazität gestossen.
«Wissenschaftlich gesehen ist es sehr schwierig, spezifische Gründe für die Preisentwicklung herauszugreifen», erklärt Fabian Schär, Blockchain-Dozent an der Universität Basel. Bitcoin habe aber in den vergangenen Wochen seine Robustheit eindrücklich unter Beweis gestellt. Die Diskussion ähnelt einem ideologischen Kampf und wird zuweilen in aggressivem Ton geführt. Nur wenige der selbst ernannten Experten und Kommentatoren geben zu, dass sie bezüglich der Zukunft von Kryptowährungen und der Blockchain-Technologie genau so wenig wissen wie alle anderen.
Für viele Bitcoin-Kritiker ist der Fall klar: Die pure Gier auf schnelles Geld treibt den Preis in die Höhe. Für sie stellt sich nicht die Frage, ob sich der Bitcoin in einer Blase befindet, sondern vielmehr, in welcher Phase und wann diese platzt. Es fehle jegliche ökonomische Substanz hinter der Rally. Andere fokussieren ihre Kritik auf den riesigen Energieverbrauch, der für die Herstellung von Bitcoins vonnöten ist.
Neue Generation von Spekulanten
Wiederum andere monieren, dass der Bitcoin als Zahlungsmittel nicht geeignet sei. Weltweit gibt es bisher nur einige zehntausend Geschäfte, in welchen Bitcoins offiziell angenommen werden. Auch seien die Transaktionen viel zu langsam und zu teuer, um bestehende Systeme für Zahlungen abzulösen. Die extremen Kursausschläge von bis zu 25 Prozent an einem Tag erfordern permanente Preisanpassungen bei den Händlern. Der Bitcoin als Spekulationsobjekt steht dem Bitcoin als Zahlungsmittel im Weg.
Ein Tunnelblick ist beim Phänomen Bitcoin wenig hilfreich. Der Preis für die virtuelle Währung steigt, so lange die Besitzer Käufer finden, die bereit sind mehr bezahlen, als sie selber bezahlt haben. Die Preissprünge dürften zwar in erster Linie von Spekulanten getragen werden, aber auch von Personen, die an die Zukunft von Bitcoin oder generell von Kryptowährungen glauben. Die Enthusiasten sehen darin mehr als ein riskantes Spekulations- oder Wertaufbewahrungsobjekt. Der Bitcoin hat etwas Revolutionäres. Zentrale Abwicklungsstellen wie Banken sind nicht mehr nötig.
Auch haben plötzlich Millionen von Menschen, zum Beispiel in Entwicklungsländern, und eine neue Generation von Spekulanten Zugang zur Finanzindustrie, von der sie bisher ausgeschlossen waren. Sie brauchen nicht mehr als ein Handy, ein digitales Portemonnaie und ein kleines Startkapital.
Bitcoin existiert seit weniger als zehn Jahren und hat als junge Währung viele Schwächen. Flacht 2018 das Interesse an den bisher völlig unkontrollierten Kryptowährungen nicht ab, wird sich eine Vielzahl von Machtfragen stellen, beispielsweise zur Besteuerung. In vielen Ländern stehen mögliche Regulierungen weit oben auf der Agenda fürs neue Jahr. Bisher ist die Marktkapitalisierung der Kryptowährungen mit rund 500 Milliarden Dollar trotz Hype gering. Befürworter und Kritiker sind sich für einmal einig: Es besteht kein Risiko fürs Finanzsystem. Gefahr läuft nur der einzelne Anleger. Warnungen gab es zuhauf.
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