Das Ende der Todesstrecke
Nächsten Freitag wird die Miniautobahn zwischen Andelfingen und Schaffhausen im Zürcher Weinland eröffnet. Feuerwehrkommandant Heiner Wipf hofft, dass er dort nie mehr einen Toten bergen muss.
Miniautobahn A 4 Von René Donzé Marthalen – Heiner Wipf ist kein Mann, der mit seinen Erlebnissen plagiert. Der 48-jährige Bauernsohn aus Marthalen hat grosse, starke Hände, breite Schultern, eine stattliche Statur und hellblaue Augen. Diese haben schon viel Schreckliches gesehen. Viele Unfälle, viele Verletzte, viele Tote. «Ich habe sie nie gezählt», sagt der Kommandant der Stützpunktfeuerwehr Weinland. Er weiss auch nicht, wie oft er in seiner Feuerwehrkarriere an die A 4 ausrücken musste. Mitte der Neunzigerjahre machte sie als «die neue Todesstrecke» Schlagzeilen, als innert drei Wochen sieben Personen ums Leben kamen. Seit 1993 ereigneten sich zwischen Andelfingen und Schaffhausen 417 Unfälle mit 21?Todesopfern, 41 Schwerverletzten und 87 Leichtverletzten. So weit die Statistik der Kantonspolizei. Das ganze Dorf ist betroffen «Die A 4 ist eine sehr emotionale Strasse», sagt Heiner Wipf. Allein aus seinem Wohn- und Heimatort Marthalen haben in den letzten Jahren drei Menschen ihr Leben auf dem nördlichen A?4-Teilstück verloren. In einem Fall rückten die Weinländer Feuerwehrleute nichts ahnend nach Uhwiesen aus. Auf der Unfallstelle erkannte einer von ihnen das Wrack als das Auto seiner Frau. «Das war ganz ganz schlimm für uns alle», sagt Wipf. Er liess seinen Kollegen sofort von Freunden betreuen. Die anderen machten sich an die Bergung. Das ganze Dorf nahm Anteil am Schicksal des Witwers und seiner jugendlichen Kinder. Wie bereits wenige Jahre zuvor, als ein Ehepaar aus dem Dorf das Leben verloren hatte. Ihr kleines Auto war frontal von einem Raser erfasst worden. «Sie hatten keine Chance», sagt Wipf. Der Unfallverursacher überlebte. Vieles hat Wipf wieder vergessen, verarbeitet im Gespräch mit Kollegen nach den Einsätzen oder «abgeladen» bei seiner Frau. «Manchmal kommen die Bilder auch erst Tage nach dem Einsatz wieder hoch», sagt Wipf. Seinen ersten Einsatz leistete er als junger Feuerwehrmann vor 24 Jahren. Damals brannte ein Auto bei Benken aus. Von der Hitze wurde der Strassenbelag beschädigt. Ein Flick an dieser Stelle erinnerte ihn noch Jahre später an den Unfall und an die beiden Toten, die Wipf erst sah, nachdem er die Flammen erstickt hatte. Viele Einsätze in der Nacht Inzwischen ist die Reparaturstelle verschwunden unter dem neuen Belag der Miniautobahn, die nächsten Freitag eröffnet wird. «Endlich», sagt Wipf. Er versteht nicht, warum erst jetzt die Strecke durch eine Mittelleitplanke sicherer gemacht wurde. Seit Jahrzehnten hat der Kanton versucht, die Todesstrecke zu entschärfen. Ursprünglich passten beinahe zwei Fahrzeuge nebeneinander auf eine Spur. Das verleitete zu gefährlichen Überholmanövern. «Vor allem nachts mussten wir oft ausrücken.» Mitte der Neunzigerjahre wurden die Spuren optisch verengt. 2003 kamen die doppelte Sicherheitslinie und die orangen Leitbaken in der Mitte dazu – die Zahl der Unfalltoten nahm deutlich ab. Der letzte tödliche Unfall ereignete sich vor wenigen Wochen: Eine Frau wollte bei Benken auf die Autostrasse fahren, touchierte einen Lastwagen, schleuderte und prallte mit ihrem Auto rückwärts in einen entgegenkommenden Lastwagen. Sie war in Marthalen als langjährige Mitarbeiterin des Altersheimes bekannt. Heiner Wipf hofft, dass die Zahl der schweren Unfälle abnehmen wird. Frontalkollisionen sollten auf diesem Abschnitt nicht mehr vorkommen. Dennoch ist er nicht zufrieden mit dem Neubau ohne Pannenstreifen. «Wer eine Panne hat, steht beim Aussteigen mitten auf der Strasse, sofern er nicht gerade eine der Ausstellbuchten erwischt.» Man hätte gescheiter «richtig ausgebaut», findet er. Als Kommandant der Stützpunktfeuerwehr Weinland schaut er auch sorgenvoll in Richtung Süden. Das Teilstück zwischen Andelfingen und Winterthur ist nach wie vor zweispurig und wird erst in etwa fünf Jahren ausgebaut. Ein Feuerwehrmann erkannte auf der Unfallstelle das Wrack als das Auto seiner Frau. Feuerwehrkommandant Heiner Wipf hätte lieber eine richtige Autobahn gehabt – mit Pannenstreifen. Foto: Doris Fanconi Bildlegende. Foto: Vorname Name, Agentur Bildlegende. Foto: Doris Fanconi
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch