«Das betrifft nur Macholänder, nicht die Schweiz»
Der Nationalrat berät heute die Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen. Eine Minderheit sträubt sich dagegen. Die Gründe.

23 Staaten haben die Istanbul-Konvention ratifiziert. Darunter Albanien, Bosnien, Serbien, Georgien, die Türkei. Das Übereinkommen des Europarats ist das weltweit erste und einzige bindende Instrument, das Frauen vor jeder Form der Gewalt schützen soll. In 80 Artikeln wird definiert, was Gewalt heisst, wie sie bekämpft und geahndet werden soll, mit detaillierten Vorgaben zu Prävention, Strafrecht, Opferberatung, Zeugenschutz.
Jetzt ist die Schweiz an der Reihe. Der Ständerat hat der Ratifizierung in der Frühlingssession zugestimmt, heute Mittwoch berät der Nationalrat die Vorlage. Im Parlament gibt es eine starke Minderheit aus SVP und Teilen der FDP, die sich gegen die Ratifizierung sträubt. Dies, obwohl der Bundesrat beteuert, dass die Schweiz dem Übereinkommen schon heute fast ganz genüge. Zusätzlicher gesetzgeberischer Handlungsbedarf entstehe nicht durch die Konvention. Einzig im Bereich der Beratung und des Monitorings könnte beziehungsweise müsste die Schweiz noch aktiver werden.
«Es bräuchte eine Männerschutz-Konvention»
Natalie Rickli (SVP, ZH) ist normalerweise im Bereich Frauenschutz sehr aktiv. Diesmal sieht sie es anders: «Die Konvention ist für die Galerie, der Bundesrat sagt es ja selber.» Im Unterschied zu anderen Unterzeichnerstaaten erfülle die Schweiz die Anforderungen bereits. «Viel wichtiger wäre es, im Inland Gesetze zu erlassen und durchzusetzen, damit Gewalttäter gegenüber Frauen endlich härter bestraft und Wiederholungstaten verhindert werden.»
Seitens der SVP ist der Genfer Nationalrat Yves Nidegger zuständig für die Vorlage. Er wird in der Ratsdebatte die Ablehnung beantragen. Für Nidegger ist die Konvention nicht nur unnötig, sondern auch verkehrt: «Es bräuchte in der Schweiz fast eine Konvention zum Schutz von Männern und Knaben.» Als Rechtsanwalt wisse er, dass es eine alte Idee sei, dass die Gewalt hauptsächlich von Männern ausgehe und nur Frauen treffe. «Macholänder sollen dafür sorgen, dass Frauen die gleichen Rechte bekommen wie Männer. Die Schweiz betrifft das nicht.»
Was heisst «wirtschaftliche Schäden»?
Es gebe noch einen weiteren kritischen Punkt, sagt Nationalrat Hans-Ulrich Bigler (FDP, ZH), der die Istanbul-Konvention ebenfalls ablehnt. Zwar begrüsse er die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Die Konvention weite allerdings die Definition dieser Gewalt auf «wirtschaftliche Schäden und Leiden» aus. In der Konvention heisst es: «Der Begriff ‹Gewalt gegen Frauen› bezeichnet alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können (...).»
Welche Konsequenzen die Ausdehnung des Gewaltbegriffs auf den wirtschaftlichen Bereich hat, sei völlig ungewiss, sagt Bigler. «Der Bundesrat geht darauf nicht ein, vielleicht, weil er diesen Punkt als nicht relevant erachtet.» Gleichwohl könnten Forderungen nach Regulierungen daraus abgeleitet werden, welche die Unternehmen belasten würden. Denkbar wäre etwa der Ruf nach Rücksichtnahme auf Frauen bei Mutterschaft bezüglich Arbeitszeiten oder Kinderbetreuung, spezifisch auf Alleinerziehende, oder Auflagen bezüglich Kündigung und Lohn.
«Keine Harmonisierung mit Türkei und Russland»
Dass isolationistische politische Kreise die Konvention ablehnen, scheint auf den ersten Blick klar zu sein. Nicht nur die SVP findet, die Schweiz solle sich keine internationalen Verpflichtungen aufladen. Auch FDP-Ständerat Thomas Hefti sagte während der Debatte im Februar: «Wir müssen die Probleme in diesem Bereich selber angehen, so, wie es unserem Schweizer Standpunkt entspricht.» Die Konvention sei kein Papiertiger, sondern ein detailliertes, weitreichendes Regelwerk, mit dem sich die Schweiz gesetzgeberisch viel zu stark binde, sagt der Glarner Rechtsanwalt. Es gebe keinerlei Notwendigkeit, dass die Schweiz ihr Recht mit demjenigen Russlands oder der Türkei harmonisiere.
Daneben dürfte es weitere Gründe geben, weshalb die Konvention bürgerlichen Politikern ein Dorn im Auge ist. Sie enthält auf rund 40 Seiten Bestimmungen wie diese: «Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen Massnahmen, um Veränderungen von sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Frauen und Männern mit dem Ziel zu bewirken, Vorurteile, Bräuche, Traditionen und alle sonstigen Vorgehensweisen, die auf der Vorstellung der Unterlegenheit der Frau oder auf Rollenzuweisungen für Frauen und Männer beruhen, zu beseitigen.» Alte patriarchalische Muster sollen überwunden werden. Eine Tendenz, gegen die sich die SVP bei jeder Gelegenheit wehrt. Ebenso die Bestimmung, dass Frauen im Asylprozess besonderer Schutz zukommt. Oder die Forderung, Lehrmittel zu Themen wie Gleichstellung, Aufhebung von Rollenzuweisungen und gewaltfreie Konfliktlösung in Beziehungen in die Lehrpläne zu integrieren.
Auch in der Schweiz gibt es Handlungsbedarf
Selbst Claude Janiak, der die Vorlage für die SP im Ständerat vertreten hat, spricht von einem umfassenden Regelwerk. Doch internationale Verträge würden ansonsten häufig als schwammig und wenig konkret bezeichnet – was für einmal nicht der Fall sei. In Bezug auf die Befürchtungen, die Schweiz lege sich damit zu enge Fesseln an, gab er Entwarnung: Es geschehe nichts ohne den Willen von Parlament und Bevölkerung. Die Konvention sei allenfalls ein Katalysator für künftige Massnahmen im Bereich Strafrecht und Prävention. Auch sei die Konvention nachverhandelbar, und man könne sie kündigen.
Ausserdem, sagte Claude Janiak im Ständerat, gebe es in der Schweiz leider durchaus Handlungsbedarf. So zählte die Polizeistatistik im Jahr 2015 17'207 Fälle von häuslicher Gewalt. Janiak musste diese Zahl nochmals überprüfen, als er sie bei der Vorbereitung gesehen hatte. Weil sie ihm so hoch erschien, dass er bei der Lektüre der Unterlagen erschrocken sei.
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