Das Auge der Regiestars
Er führte die Kamera für Martin Scorsese und Rainer Werner Fassbinder: Jetzt hat Michael Ballhaus seine Autobiografie geschrieben.
Es ist einer der selbstverständlichsten Sätze, geradezu ein kategorischer Imperativ der gebildeten Sentimentalität, dass man nur mit dem Herzen gut sieht und das Wesentliche für die Augen unsichtbar ist. Der Fuchs sagt ihn zum Kleinen Prinzen. Er wird bei Hochzeiten gern verwendet und überhaupt überall dort, wo es um den Kern des Erkennens geht in den menschlichen Beziehungen. Der grosse deutsche Kameramann Michael Ballhaus, der jetzt 79 ist und den grünen Star hat, würde ihn gewiss bestreiten. Seine Autobiografie, «Bilder im Kopf», ist die Lebenserzählung eines Augenarbeiters. Sozusagen: die Feier des Augenscheins durch einen, der einfach weiss, dass sein Auge, seine Kamera und die Kenntnisse über Licht und Brennweiten der Wesentlichkeit oft näher gekommen sind als die Ahnungen eines zur Kurzsichtigkeit neigenden Herzens. Er hat es ja bewiesen. Er war das Auge Fassbinders in fünfzehn Filmen und das Auge Scorseses in sieben. Und selbst diese beiden Regisseure, die Ballhaus ohne Zögern «genial» nennt (und «neurotisch und verrückt» den einen und «besessen» den anderen), haben oft die Überlegenheit eines Scharfblicks anerkannt, der die innere Wahrheit in Einstellungen auflösen konnte und in der Aufnahme eines Gesichts einen Charakter definierte. Zu schweigen von denen, die sich einfach auf Michael Ballhaus' Auge verlassen mussten, weil sie keine Ahnung hatten, wie sie sichtbar machen sollten, was sie mit dem Herzen ganz deutlich sahen. Mit dem Selbstbewusstsein des Künstlers, der weiss, was er kann, erzählt Ballhaus da beispielsweise von Peter Stein, dem Leiter der legendären Berliner Schaubühne seinerzeit. Für ihn hat er 1974 die Verfilmung von Gorkis «Sommergästen» fotografiert und hat erlebt, wie ein sensibler Theatermann an der frischen Luft auf echten Wiesen den vertrauten Bühnenboden unter den Füssen verlor. Die Kontrolle über die eigene Inszenierung englitt ihm, weil er sich den Zuschauer nicht vorstellen konnte, der sah, was die Kamera sah: fahrend, schwenkend, manchmal schwebend. Täglich der gleiche Satz, der fast schon eine Kapitulation war: «Mach doch du das, du weisst, wie es geht.»