Indigene Aktivistin im Museum der KulturenDarf der prächtige Federumhang in Basel bleiben?
Glicéria Tupinambá aus Brasilien stattet einem Federmantel aus dem 16. Jahrhundert, der sich im Depot des Museums der Kulturen befindet, einen Besuch ab.

Darf der prächtige, aus roten Federn gefertigte Umhang der Tupinambá im Basler Museum der Kulturen bleiben, oder gehört er restituiert? Glicéria Tupinambá, eine indigene Aktivistin der Tupinambás de Olivença im Bundesstaat Bahia, sagt bei unserem Treffen im Depot des Museums der Kulturen, sie wolle ihn nicht zurück. Auf einer Reise, die sie in mehrere ethnologische Museen Europas führt, hat sie kürzlich in Basel haltgemacht. Sie sah sich das kostbare, aus dem 16. oder 17. Jahrhundert stammende Stück an.
Glicéria Tupinambá trägt ein buntes, mit Blattmustern verziertes Shirt und einen traditionellen Feder-Kopfschmuck. Sie sei überglücklich, wenn sie das alte, aus über 10’000 Federn geknüpfte Kleidungsstück in aller Ruhe anschauen und auf sich wirken lassen könne, sagt sie. Sie wolle es ausmessen, es nachzeichnen und lernen, mit welcher Knüpftechnik ihre Vorfahren gearbeitet hätten.
Reise durch Europa
Wir treffen sie im Depot des Museums der Kulturen beim Tellplatz, wo in einem ehemaligen Fabrikgebäude in Dutzenden von Rollregalen Tausende von Objekten gelagert werden. Die Lagerräume wirken sehr ordentlich und aufgeräumt. Alexander Brust, Kurator der Abteilung Amerika des Museums, zeigt uns zuerst die Depots, die sich im Vergleich zu jenen anderer Museen in einem ausserordentlich guten Zustand befinden, wie er sagt. Zuerst bringt er uns in einen Aufenthaltsraum, wo Glicéria Tupinambá an einem Tisch mit mehreren Kuratorinnen aus Amsterdam, Paris und Brüssel Kaffee trinkt. Ein Kameramann filmt ständig, weil man über die Reise der indigenen Aktivistin zu den Federcapes in Europa einen Dokumentarfilm drehen will.

Nur noch elf Exemplare dieser Federcapes der Tupinambá gebe es in Europa, sagt Brust. Sie befinden sich in Museen in Kopenhagen, Berlin, Brüssel, Paris, Mailand, Florenz und eben in Basel. Die prächtigen Capes seien einst von Schamanen getragen und von europäischen Händlern gegen Messer, Äxte und Scheren getauscht worden, so der Kurator. Das Museum der Kulturen habe sein Exemplar 1918 zusammen mit weiteren, teils sehr alten Einzelobjekten aus der ehemaligen Sammlung der Geographisch-Comerciellen Gesellschaft in Aarau gekauft. Aus dem Schriftverkehr mit Aarau ergebe sich, dass man die genaue Herkunft der einzelnen Dinge nicht mehr habe zuordnen können und die Sammlung durch Reisende, Kaufleute oder Händler zustande gekommen sei.
Fasnachtskostüm oder Schamanenumhang
Von Glicéria Tupinambá erfahren wir, dass solche Capes im 17. Jahrhundert in Städten wie Amsterdam oder Antwerpen nicht selten auch an der Fasnacht getragen wurden, was auf zeitgenössischen Gemälden zu sehen sei. Sie seien aber auch als Zeichen der erfolgreichen Missionierung zur Schau gestellt worden. Für ihre Vorfahren in Brasilien hätten diese Umhänge indes eine grosse spirituelle Bedeutung gehabt, sagt sie. Diese seien davon ausgegangen, dass die Eigenschaften der Federn durch ihre Verwendung als Umhang auf sie übergegangen und sie so gewissermassen selbst zu Vögeln geworden seien.
Glicéria Tupinambá hat, wie sie erzählt, zwei Capes gemäss den in Europa aufbewahrten Mustern nachgeknüpft und mit Federn verziert, die ihr von den Vögeln im Wald überlassen worden seien, wie sie sich ausdrückt. Es sei dabei kein einziger Vogel zu Schaden gekommen, betont sie. Wenn sie einen selbst gefertigten Mantel trage, fühle sie sich auf ganz besondere Weise mit ihrem Territorium verbunden. Ihr sei es darum wichtiger, sich die kulturelle Praxis des Knüpfens eines solchen Umhangs anzueignen, als ein historisches Stück zu besitzen oder in das Museum von Bahia zu exportieren. Und es sei ihr auch wichtig, die Originale in Europa immer wieder studieren zu dürfen und so die ihnen innewohnende Kraft in sich aufzunehmen. «Ich bringe», sagt Glicéria Tupinambá, «die Stimme meiner Ahninnen und Ahnen mit mir heim, das ist das Wichtigste.»
Der Brand des Nationalmuseums
Zumal, und da kommen wir auf die politische Dimension dieser praktischen Aneignung eines historischen Objektes zu sprechen, die Grenzen des heutigen Territoriums der Tupinambá alles andere als sicher sind. Die Regierung von Jair Bolsonaro habe weissen Siedlern bei der Abholzung und wirtschaftlichen Ausnutzung der Gebiete indigener Völker weitgehende Freiheiten eingeräumt, sagt Glicéria Tupinambá. Das sei neuerdings unter Lula da Silva wieder eingeschränkt worden, dennoch erinnere sie sich noch immer mit Schrecken daran, dass 2018 das Nationalmuseum in Rio de Janeiro vollständig ausgebrannt sei und mit ihm unzählige Zeugen der materiellen Kultur. Es sei darum besser, die historischen Stücke in einem sicheren Museum in Europa zu wissen, als sie der Gefahr der innenpolitischen Kämpfe auszusetzen.
Das Museum der Kulturen Basel wird 2025 Ergebnisse der diesjährigen Forschungsreise von Glicéria Tupinambá ausstellen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.