CS-Datendieb verurteilt – die Ermittlungen gehen weiter
Die Bundesanwaltschaft will nun mit neuen Argumenten gegen die deutschen Empfänger der illegal erworbenen Bankdaten vorgehen.
Von René Lenzin, Bellinzona Da sitzt er nun im Saal des Bundesstrafgerichts zu Bellinzona: S. L., der geständige Datendieb bei der Credit Suisse (CS). Klein an Statur, um die 30, dunkle Haare, dunkler Bart, dunkler Anzug, dunkle Brille. Er ist Schweizer, dem Namen und dem Aussehen nach liegen seine Wurzeln aber irgendwo zwischen dem Nahen Osten und dem indischen Subkontinent. Details darf die Öffentlichkeit nicht über ihn wissen, die entsprechenden Stellen in der Anklageschrift sind eingeschwärzt – auf Antrag des Gerichts, das ihm so eine gewisse Anonymität zusichert, nachdem es seinen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit vom Prozess abgelehnt hat. S. L. ist der deutschen Sprache perfekt mächtig. Auch wenn man davon im Gerichtssaal fast nichts zu hören bekommt. «Das möchte ich nicht beantworten», sagt er auf die Frage von Einzelrichter Walter Wüthrich nach seiner aktuellen Arbeitsstelle und seinem Einkommen. Und auf das Motiv für seine Tat angesprochen, verweist er auf «meine Aussagen während der Untersuchung». In dieser Untersuchung hatte er allerdings zunächst gar nichts gesagt. Erst als die Aussicht auf einen Deal im abgekürzten Verfahren bestand, begann er zu reden. Abenteuerliche Geschichte Dies fiel ihm wohl umso leichter, als sich sein Komplize, U. W., kurz nach der Verhaftung das Leben genommen hat. Dadurch wurde die Tatversion von S. L. zur gerichtlichen Wahrheit. Auch die abenteuerliche Geschichte, dass er aus reiner Neugierde recherchierte Kundendaten in einem Winterthurer Fitnesscenter hatte liegen lassen, wo sie zufälligerweise U. W. in die Hände geraten sein sollen (TA vom Dienstag). Daraufhin habe ihn U. W. angestiftet, Daten über reiche deutsche Kunden der CS zu beschaffen, die dieser anschliessend an die Steuerbehörden von Nordrhein-Westfalen weiterleitete, heisst es in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft (BA). Deren federführender Staatsanwalt, Carlo Bulletti, einigte sich mit der Verteidigung auf eine bedingte Haftstrafe von zwei Jahren, eine Busse von 3500 Franken und eine Ersatzforderung von 180 000 Franken. Als Motiv für die Tat «steht Geld im Vordergrund», sagte Bulletti, als er gestern das Strafmass begründete. Zwar sei S. L. nicht in finanzieller Not gewesen, aber in «einer gewissen Abhängigkeit von seiner damaligen tschechischen Lebenspartnerin, vor allem in finanziellen Aspekten». Das Gericht segnete den Deal ab, auch wenn die Strafdauer «sehr, sehr knapp» am unteren Ende dessen sei, was er noch durchgehen lassen könne, so Richter Wüthrich. Auch bei der Ersatzforderung bewege sich das Urteil am «unteren Rand des Ermessensspielraums». Die ganze Verhandlung inklusive kurzer Urteilsbegründung dauerte eine knappe Stunde. Es war einzig dem Richter und dem Ankläger zu verdanken, dass die Öffentlichkeit ansatzweise etwas mehr über den Fall erfuhr, als aus der Anklageschrift hervorgeht. Sonst herrschte Schweigen – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Insbesondere S. L. hat kein Interesse an Publizität. Immerhin hat er dem deutschen Fiskus zwischen 1500 und 2500 mutmassliche Steuerhinterzieher ausgeliefert und dürfte unter diesen kaum Freunde gewonnen haben. Ebenfalls kein Interesse an Publizität hat die CS. Sie möchte die peinliche Affäre möglichst diskret erledigen. Dass S. L. als Assistent eines Anlageberaters Zugang zu heiklen Kundendaten hatte, liess sich wohl nicht vermeiden. Erstaunlich ist aber, dass er über längere Zeit einen schönen Teil seiner Arbeitszeit für den Datenklau einsetzen konnte. Wenn S. L. für jede seiner Recherchen auch nur zehn Minuten brauchte, so hat er immerhin zwischen 250 und 420 Arbeitsstunden dafür verwendet. Neue Munition für Bundesanwalt Dank dem abgekürzten Verfahren blieb der Bank eine öffentliche Erörterung solcher Fragen erspart. Die Bundesanwaltschaft wiederum konnte ihre Ermittlungen relativ zügig zu Ende bringen. Das ist für sie nützlich, weil S. L. laut Bulletti «nicht die treibende Kraft» hinter dem Datenklau war, sondern U. W. – und die deutschen Steuerbehörden. Diese stellten sich bisher auf den Standpunkt, sie hätten nichts Illegales getan, weil ihnen die Daten ja angeboten worden seien. Nun hält jedoch ein rechtskräftiges Urteil fest: Sie haben nicht nur passiv Daten entgegengenommen, sondern aktiv Ergänzungen und Präzisierungen nachgefragt und erhalten. Das wäre dann Wirtschaftsspionage. Bis heute hat die deutsche Justiz sämtliche Rechtshilfegesuche in diesem Datenklaufall ignoriert. Nun hat Staatsanwalt Carlo Bulletti neue Munition, um ihr nochmals auf die Pelle rücken zu können. Das ist vielleicht nicht gerade die Kavallerie des deutschen Ex-Finanzministers Peer Steinbrück. Aber trotzdem nicht ganz ohne. Wortkarger Auftritt: Der Angeklagte S. L. verlässt das Gericht. Foto: Keystone
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