Clément Janequin
Wie hat sich die Welt einst echauffiert über das «Je t'aime» von Gainsbourg/Birkin! Dabei war dieses Chanson kaum mehr als ein ziemlich einfallsloser Nachklang auf das, was einige Jahrhunderte davor in Paris gesungen wurde.
Da waren zum Beispiel die Chansons von Clément Janequin (ca. 1485–1560): Sie handelten von einer «amie Perrette», deren Hintern als Trompete dienen sollte. Oder sie erzählten von Martin und Alix, die ein Schwein zum Markt bringen wollten, aber hinter den Büschen landeten, was nicht unproblematisch war, da das an Alix' Fuss gebundene Schwein davonzog («serre Martin, nostre pourceau m'entraine»). Janequin setzte unter dem Titel «Le beau tétin» ein Loblied auf die weibliche Brust in überaus zärtliche Musik, was eine nicht weniger anschauliche Antwort seines Zeitgenossen Clemens non Papa über die hässliche Brust nach sich zog. Und so weiter, durch alle Facetten des «joly jeu».
Rund 250 Chansons hat Clément Janequin geschrieben, viele von ihnen wurden schon zu seinen Lebzeiten mehrfach gedruckt. Aber so berühmt er war, eine wirkliche Karriere hat er nicht gemacht. Nur die letzten elf Jahre lebte er in Paris; dort erhielt er zwar den ehrenvollen Titel «compositeur ordinaire du roi», aber keine reguläre Anstellung am Hof (offiziell liess sich Janequin damals, mit über 60 Jahren, als Student einschreiben). Davor war er in der Provinz aktiv gewesen – und zwar meist nicht in erster Linie als Musiker. Nach der Priesterweihe in Bordeaux war er Pfarrer in Orten wie Saint-Michel de Rieufret, Brossay oder Avrillé; die einzige Kapellmeisterstelle erhielt er an der Kathedrale von Angers (1534–37), und auch sie erlöste ihn nicht von seinen Geldsorgen, die ihm etliche Prozesse eintrugen. Ein Darlehen, das er einem Neffen nicht zurückzahlen konnte, führte zum Bruch mit der Familie.
Janequin hat seine ersten musikalischen Erfahrungen vermutlich als Chorknabe gesammelt, in seiner Heimatstadt Châtelleraut und dann in Bordeaux; sonst weiss man nichts über seine Ausbildung. Umso erstaunlicher ist, dass er schon sehr jung einen ganz eigenen Stil entwickelt hatte. Mehr noch als die Liebeslieder waren die tonmalerischen Stücke seine Spezialität: Chansons, in denen er das Geschrei der Marktfahrer in komplexe musikalische Gebilde übersetzte («Voulez ouyr les cris de Paris») oder mit ornithologischem Ehrgeiz und lange vor Olivier Messiaen Vogelstimmen auskomponierte («Le chant des oyseaulx»). In «La chasse» haben die vier Männerstimmen vom Schmettern der Hörner bis zum Hundegebell alles abzudecken, was eine Jagd akustisch hergibt, und am allerberühmtesten wurde «La bataille» über die Schlacht von Marignano: ein spektakuläres, überaus kunstvolles musikalisches Kriegsgemälde, das sofort in unzähligen Bearbeitungen die Runde machte.
Janequin wurde zum Vorreiter und Hauptvertreter dessen, was als Pariser Chanson in die Musikgeschichte eingehen sollte. Anders als in der bis ins 16. Jahrhundert hinein vorherrschenden franko-flämischen Polyfonie war die Faktur dieser Stücke etwas weniger kompliziert, der Text damit in der Regel verständlicher. Aber selbst wenn volkstümliche Melodien verarbeitet wurden, war der Satz alles andere als simpel: Chansons waren eine gehobene Kunst, auch und gerade bei Janequin. Er war zwar nicht der grösste Melodiker seiner Zeit (dieser Titel gebührt Claudin de Sermisy, der seine Sternstunden weniger in den deftigen als in den sehnsüchtigen Liebesliedern hatte). Aber wie er Motive durch alle Stimmen weiterreichen liess, wie er flinke Stilwechsel inszenierte und immer wieder neue Effekte erfand, das ist nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein intellektuelles Vergnügen.
Der Priester Janequin hinterliess übrigens auch geistliche Werke, die allerdings weit weniger bedeutend sind als seine Chansons. Und ein Testament: Man solle seiner Magd den Lohn auszahlen, den sie seit zweieinhalb Jahren nicht mehr erhalten habe, hiess es darin, und den dürftigen Rest an die Armen verteilen.
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