«China sieht die Schweiz als Einfallstor»
Vor Ueli Maurers China-Besuch warnt SP-Politiker Fabian Molina: Die Schweiz dürfe Chinas Expansion nicht länger ignorieren, sagt er im Interview.

Bundespräsident Ueli Maurer besucht nächste Woche China, um eine Vereinbarung zur neuen Seidenstrasse zu unterzeichnen. Was erwarten Sie von ihm? Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um nach China zu gehen. Die Vereinbarung bringt der Schweiz kaum etwas. Sie soll dazu dienen, Banken und Versicherungen an Infrastrukturinvestitionen entlang der geplanten Seidenstrasse zu beteiligen. Das wiegt wenig im Vergleich zum Schaden, den wir damit anrichten: Die Schweiz untergräbt die gemeinsame China-Politik der EU, die immer kohärenter wird. Im Minimum muss Ueli Maurer bei seinem Besuch auf die Menschenrechtssituation eingehen. China hält über eine Million Uiguren in Konzentrationslagern interniert.
China will aber nicht über Menschenrechte reden, und die Schweiz hat wirtschaftliche Interessen. Wie kann Maurer beidem gerecht werden? Offiziell führen wir mit China im Rahmen des Freihandelsabkommens einen Menschenrechtsdialog. Das ist doch lächerlich! Die kleine Schweiz leidet unter Grössenwahn, wenn sie mit der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt auf Augenhöhe über das Thema reden will. Nur gemeinsam mit anderen Partnern kann sie gegenüber China etwas bewirken. Die Schweiz sollte sich mehr in die China-Strategie der EU einbringen. Nur so wird sie ihre Ziele erreichen.
Nun droht die Schweiz aber die EU zu verärgern: Bereits die Seidenstrasse-Vereinbarung zwischen China und Italien hat für Unmut gesorgt, weil man nicht will, dass einzelne Länder vorpreschen. Die europäischen Partner sind überhaupt nicht erfreut über die Schweizer China-Politik. Bern rühmt sich mit besonders guten Beziehungen zu Peking. Aber die Chinesen sehen die Schweiz vor allem als Einfallstor zu Europa. Es ist naiv, nur an den momentanen Profit zu denken und die politisch-militärischen Ziele Chinas auszublenden. Nur mit einer gemeinsamen Strategie gelingt es, das erstarkte China in Europa auf internationale Regeln zu verpflichten.
China will in marode italienische Häfen investieren. Daran ist die Schweiz via ihren Kredit an die asiatische Infrastruktur-Investitionsbank indirekt beteiligt... ... das zeigt doch, dass wir uns sogar mit Steuergeldern zum Komplizen einer Expansionspolitik machen, auf die wir gar keinen Einfluss haben. Ursprünglich hiess es, der Schweizer Kredit von 706 Millionen US-Dollar an die Bank werde für die Armutsbekämpfung in Asien eingesetzt. Von Projekten in Europa war keine Rede. Unter diesen Umständen muss die Schweiz ihre Beteiligung an der Bank aufgeben.
Die Schweiz hat dank dieser Beteiligung besseren Zugang zum asiatischen Raum – und sie profitiert auch davon, wenn marode italienische Infrastrukturen saniert werden. Wenn diese Häfen China gehören, gibt Italien die Kontrolle darüber ab. Der erwirtschaftete Gewinn gehört nicht mehr dem italienischen Volk. China geht es um geostrategische Interessen. Die Schweiz sollte das nicht unterstützen – dafür ist der chinesische Markt zu unwichtig.
China ist nach der EU und den USA der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz. Aber die europäischen Partner haben eine viel grössere wirtschaftliche Bedeutung für uns. Wir müssen uns ernsthaft fragen, zu welchem Preis wir einen privilegierteren Marktzugang in China wollen. Ist es uns egal, schleichend die Kontrolle zu verlieren? Wollen wir ein wirtschaftlich getarntes politisches Projekt Chinas unreflektiert unterstützen? Sehen wir einfach zu, wie sich die Machtverhältnisse global verschieben?
In einem aktuellen Vorstoss kritisieren Sie genau das: Die Schweiz agiere gegenüber China unkoordiniert. Inwiefern müsste sie ihre Strategie ändern? Wir haben ja gar keine Strategie! Auf Bundesebene interagieren alle sieben Departemente im Rahmen ihrer Zuständigkeit mit China, daneben schliessen zahlreiche Kantone und Städte Partnerschaften und Kooperationen mit dem Land ab. Es gibt keine übergeordneten Ziele, viele Beteiligte sehen nur das Geld. Darum sollten wir uns der europäischen China-Strategie anschliessen.
Die Schweiz hält aussenpolitisch aber ihre Souveränität und Neutralität hoch. Es wäre ein Tabubruch, ja. Aber souverän und neutral kann die Schweiz langfristig nur bleiben, wenn ihre Interessen gewahrt bleiben. Und das geht gegenüber China nur, wenn wir enger mit unseren EU-Partnern zusammenarbeiten. Die Schweiz verschläft gerade die wichtigste geopolitische Veränderung des Jahrhunderts. Wir müssen endlich eine breite politische Debatte darüber führen, wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen.
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