Bundesrat kann die Pestizidgegner nicht besänftigen
Der Bundesrat will den Pestizideinsatz senken. Doch die Vorschläge gehen den Trinkwasserschützern zu wenig weit. Sie halten an ihrer Initiative fest.

Ökologischer und klimaschonender: Auf diese Formel lässt sich eindampfen, was der Bundesrat in seiner 250 Seiten starken Botschaft zur Agrarpolitik ab 2022 darlegt. «Die Vorlage trägt den Anliegen der Bevölkerung Rechnung», sagte Agrarminister Guy Parmelin (SVP) am Donnerstag vor den Medien.
Neu soll die Landwirtschaft einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Heute ist sie für knapp 15 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Schweiz verantwortlich. Bis 2030 soll sie im Vergleich zu 1990 ihren Ausstoss um 20 bis 25 Prozent senken. Klimafreundlicher produzieren sollen die Bauern, indem sie die Nährstoffverluste begrenzen, die «Nutzungsdauer» der Kühe verlängern, dank finanziellen Anreizen auf Alternativen zu fossilen Energieträgern setzen und die Kohlenstoffspeicherung in den Böden verbessern.
Mit der Reform will der Bundesrat aber nicht nur seine Klimapolitik stärken. Er versucht auch, zwei Volksinitiativen auszubremsen: zum einen die Pestizidinitiative, die ein Verbot synthetischer Pestizide verlangt. Zum anderen die Trinkwasserinitiative, die mit einem Finanzhebel die Landwirtschaft umpflügen will: Neu sollen nur noch jene Bauern Subventionen erhalten, die auf Pestizide verzichten, ebenso auf Antibiotika in der Tierhaltung und zugekauftes Futter.
Verstösse schneller ahnden
Der Bundesrat setzt beim ökologischen Leistungsnachweis an, den jeder Bauer, der Direktzahlungen erhalten will, erfüllen muss. Diese Landwirte dürfen Pestizide, von denen ein «erhöhtes Risiko» ausgeht, künftig nicht mehr verwenden, ausser es seien keine alternativen Lösungen zum Schutz der Kulturen vorhanden. Jene Pestizide mit einem «unannehmbaren» Risiko für Mensch oder Umwelt sollen laut Bundesrat ohnehin vom Markt verschwinden.
Agroscope, die landwirtschaftliche Forschungsanstalt des Bundes, muss nun für alle zugelassenen Pestizidwirkstoffe das Risikopotenzial ermitteln und für die problematischen Stoffe Alternativen suchen. Die Landwirte ihrerseits müssen dafür sorgen, dass deutlich geringere Pestizidmengen als heute vom Hof oder Feld in Gewässer und Böden versickern, etwa bei der Reinigung von Spritzgeräten.
Die Schraube anziehen will der Bundesrat auch bei Verstössen gegen die Gewässerschutzgesetzgebung. Um die Direktzahlungen zu kürzen, braucht es heute einen rechtskräftigen Entscheid oder eine Verfügung, künftig soll es genügen, wenn Kontrolleure vor Ort den «Mangel» feststellen.
Der Bundesrat will auch bei den Nährstoffen handeln. Mit einem verbindlichen Absenkpfad will er sicherstellen, dass die Stickstoff- und Phosphorüberschüsse bis 2025 um 10 Prozent, bis 2030 um 20 Prozent sinken. In der Pflicht sieht der Bundesrat dabei zuerst die Branchenorganisationen. Erst wenn sich abzeichnen sollte, dass die Ziele unerreicht bleiben, will er 2025 auf dem Verordnungsweg zusätzliche Massnahmen ergreifen.
Wir tragen den Anliegen der Bevölkerung «Rechnung und wollen die Umweltbelastung verbindlich weiter reduzieren.»
Keine verbindlichen Reduktionsvorgaben sieht der Bundesrat dagegen bei den Pestiziden vor. Er überlässt hier das Zepter dem Parlament. Einen ersten Pflock hat die Wirtschaftskommission des Ständerats am Montag eingeschlagen – mit einer parlamentarischen Initiative, die sie einstimmig gutgeheissen hat. Die Ständeräte wollen die Ziele des bundesrätlichen Aktionsplans Pflanzenschutzmittel verbindlich auf Gesetzesstufe verankern. Konkret sollen die Risiken des Einsatzes von Pestiziden bis 2027 um 50 Prozent sinken.
Eine Minderheit will eine Reduktion von 70 Prozent bis 2035 ins Gesetz schreiben. Dabei sollen die betroffenen Akteure – nebst den Bauern sind das private Anwender und die öffentliche Hand – die Massnahmen «in erster Linie selber definieren». Erst wenn die Ziele nicht erreicht werden, soll der Bundesrat «weiterführende Massnahmen umsetzen müssen», heisst es im erläuternden Bericht zur parlamentarischen Initiative der Kommission.
Rückläufiger Trend
Insgesamt wähnt sich der Bundesrat auf gutem Weg. «Wir wollen die Umweltbelastung verbindlich weiter reduzieren», sagte SVP-Magistrat Parmelin. Die bundesrätliche Zuversicht ist nicht zuletzt eine Folge der rückläufigen Verkaufszahlen bei jenen Pestiziden, die Bauern ausschliesslich in der konventionellen Landwirtschaft anwenden dürfen. Nach oben zeigt der Pfeil dafür bei den Wirkstoffen, die in der Biolandwirtschaft erlaubt sind.
«Die Vorschläge des Bundesrats führen nicht dazu, dass die Umweltziele erreicht werden.»
Das Parlament wird wohl beide Geschäfte – also die AP22+ und die parlamentarische Initiative der Wirtschaftskommission – gemeinsam beraten. Dies wird laut Fahrplan des Bundesrats 2021 der Fall sein. Die Abstimmung über die beiden Volksbegehren soll aber noch heuer stattfinden. Bleibt es dabei, wird die Bevölkerung über die Initiativen befinden, ohne dass sie weiss, ob die nun geplanten Verschärfungen tatsächlich umgesetzt werden.
«Dieses Vorgehen zeigt, dass die Bevölkerung nicht ernst genommen wird», kritisiert Franziska Herren, Promotorin der Trinkwasserinitiative. Die Vorschläge des Bundesrats und auch jene der Ständeräte gehen ihr zu wenig weit. «Sie führen nicht dazu, dass die Umweltziele erreicht werden können, und schützen die Gesundheit der Bevölkerung viel zu wenig.» Die Trinkwasserinitiative wolle einen grundlegenden Wandel. Ein Rückzug des Begehrens kommt für die Initianten deshalb nicht infrage.
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